Fragen an die Geschichte
Nonnentunnel?
CUNICULUM MONIALIS (2021)
Gab es in Mülheim-Saarn einen Nonnentunnel? Einen, durch den und in dem Nonnen und Mönche leibhaftig kommunizieren konnten? Warum sollen Röhren, wie mir mein Physiklehrer beizubringen versuchte, nur selbst kommunizieren und nicht auch der leidenden Menschheit die physische Möglichkeit dazu erschließen, warum also nicht in Gestalt eines weitläufigen Tunnels von Damen- zu Herrenkloster?
In den Veröffentlichungen über die Ausgrabungen unter dem Saarner Kloster berichtet man uns von einer freigelegten Kanalröhre mit seitlichen Stützwänden. Leider wurde der Geländeeinschnitt wieder eingeebnet. Hätte man da, so fragt sich der interessierte Laie, nicht weitergraben sollen? Und vielleicht auch mal an anderen Stellen?
Sicher, die gefundenen Gerätschaften aus dem Klosterleben stehen einem Klostermuseum gut an, wenn auch eine Rosenkranzproduktion nur noch begrenztes Entzücken auszulösen vermag. Aber welche gewinnträchtigen Scharen von Besuchern würden erst durch einen „Nonnentunnel“ angezogen, wenn man nur einen kleinen Anhaltspunkt für einen solchen präsentieren könnte?
Er muss sich ja nicht unbedingt 33 (!) km bis zum Kloster Kamp geschlängelt haben. Andererseits ist ein Tunnelsystem über Duissern und Sterkrade, wo sich Saarns Filialen befanden, durchaus denkbar. Sie könnten sich etwa auf halber Strecke in unterirdischen Gewölben getroffen haben, wobei die Mönche aus Kamp-Lintfort vielleicht noch ein bisschen entgegenkommender waren als ohnehin zu vermuten ist. Hatte ihr Abt doch die geistliche Oberaufsicht über die frommen Saarner Adelsfrauen.
Es sei hier kurz angemerkt, dass Mönche nicht nur beim Bau von legalen Brunnen gelegentlich auf hoch gelegene Kohlenflöze stießen, sondern auch und gerade beim Nonnentunnelbau. Der Bergbau im Ruhrgebiet ist sicher auch durch solche Bemühungen inspiriert worden, was sich häufig in Flöznamen wie „Jungfer“ widerspiegelte. Aber das nur am Rande.
Unsere Überlegungen wieder aufnehmend, scheint mir indes der klösterliche Nahblick die Ruhr hinauf plausibler. Kloster Werden, bereits um 800 als Benediktiner-Kloster gegründet, liegt Luftlinie gerade mal 8 km vom Saarner „Mariensaal“ entfernt. Das Ruhrtal mit seinem Lehm- und Schotteruntergrund ist wie geschaffen, um leicht einen Tunnel, der durch Holzbalken abgestützt war, voranzutreiben. Allerdings weiß niemand, wie lange er die zahlreichen Wassereinbrüche durch Überschwemmungen der Ruhr überstanden hätte. Es sei nur an das „Cheele-Water-Loch“ erinnert, in dem einst eine ganze Postkutsche versunken sein soll.
Man fragt sich allerdings auch, wer die „passage secret“ gegraben haben könnte und wo das Erdreich abgeblieben ist. (Ist vielleicht der Auberg dadurch entstanden?)
Möglicherweise aber nahm der Tunnel trotz dieser Einwände unterirdisch den gleichen Verlauf wie der 13 km lange oberirdische Pfad, auf dem 1834 Felix Mendelssohn-Bartholdy auf seinem Braunen zur Orgelvisitation nach Werden ritt. Wobei ihm Kirschkuchen aufs Pferd gereicht wurde. Aber das nur am Rande.
Es muss natürlich zahlreiche Luftschächte gegeben haben, etwa in Schloss Hugenpoet und Kettwig vor der Brücke.
Die uferbegleitende Ruhrtalbahn könnte der letzte Vertuschungsversuch der katholischen Kirche gewesen sein, wobei das bis dahin versteckte Erdreich aus dem Tunnel hier möglicherweise einer unverdächtigen Verwendung als Dammbaumaterial zugeführt wurde.
Leider fehlen uns bisher immer noch die alten Schriften, die von einem jungen Bauern aus Mintard erzählen, der beim Pflügen plötzlich aus dem Ackerboden Klopfgeräusche aufsteigen hörte. Und wie er deshalb bezichtigt wurde, Kontakt mit dem Satan in der Hölle zu unterhalten und am Ende eine vom Pfarrer in Mintard anberaumte Teufelsaustreibung nicht überlebte. Und wie andere Zeugen ins Kloster Werden verschleppt, um dort mit glühenden Eisen gezwungen wurden, ins Kloster einzutreten und ein Schweigegelübde abzulegen, wahlweise Zunge ab!
Nein, es können auch kürzere Geheimgänge gewesen sein wie die üblichen in einer Burganlage, die auch Klosterinsassen erlaubten, nach draußen zu gelangen, ohne gesehen zu werden. Mitunter wäre es wohl schon höchst zufriedenstellend gewesen, wenn Jungfer Friederike bei Dicken am Damm einen als Fischer verkleideten Ludgeraner empfangen hätte dürfen.
Diese Erdstollen müssen auch nicht unbedingt mit Wissen der Äbte und Äbtissinnen gegraben worden sein. Bei manchen allerdings ließe sich das leicht denken. Dagegen spricht, dass es die mehrfach abgesetzte Äbtissin von Reuschenberg gab, die in ihrem Haus außerhalb der Klostermauern gerne auch männliche Besucher empfing.
Es gab schließlich diese berühmten Niedergänge(!) des Klosterwesens, wovon Saarn nicht völlig verschont wurde, um es vorsichtig auszudrücken. Und es gab währenddessen umfassende Absetzbewegungen in dem Sinne, dass Äbtissinnen in Saarn am laufenden Band abgesetzt wurden, während sich die Untergebenen selbst absetzten. Via Nonnentunnel? Diese unwürdigen Zustände hinterließen in der Bevölkerung einen solchen Eindruck, dass sie sich sogar in ironischen Bezeichnungen für Ziegelformen in der Dachdecker-Fachsprache niedergeschlagen haben. Eine „Mönch-Nonnen-Deckung“ beispielsweiser besteht aus konkaven und konvexen Ziegeln, wobei immer ein Mönch oben zwei Nonnen unten deckt. Die Flut von Schriften in der Literatur und Werken der Kunst, die sich der Kritik an dem zeitweiligen Mönch-Nonne-Treiben mehr oder weniger genussvoll hingeben, kann jeder heute im Internet besichtigen.
Halten wir uns doch lieber auch mal an Fakten, wie die verbürgten Berichte über die entwichene Kapitularjungfer Dorothea in „Germania sacra“ des Erzbistums Köln:
„Am 4. April 1579 heißt es von ihr, daß sie aus dem Kloster Saarn entwichen sei (HStA Duss. Herrsch. Broich Akten 1091). Vom 8. November 1590 (KL Saarn Akten 14) bis 25. August 1594 (Herrsch. Broich Akten 1091) als Kapitularjungfer nachgewiesen. 1582 behauptete sie, tuschen seventich und achtentich jaren (Mölmsch Platt! Anmerkung d.Verf.) dem Kloster anzugehören, und erklärte, seit 14 Jahren das Abendmahl in beiderlei Gestalt zu nehmen. Sie war damals seit Jahren nicht mehr im Kloster Saarn. Am 14. März 1594 wird sie durch den Abt von Kamp ermahnt, zum alten Glauben zurückzukeh¬ren (HStA Düss. Herrsch. Broich Akten 1091; vgl. a. $ 7. S. a. zur gleichen Sache die drei folgenden Klosterfrauen und Catharina von Gysenberg in $ 25 Priorinnen).“
Wie ist die Zisterziennserin Dorothea von Asbeck herausgekommen? Gibt es bereits zu dieser Zeit einen Geheimgang, der nach draußen führt? Halfen ihr dabei die Mönche der Abtei Werden?
„Bei den Untersuchungen während den Sanierungsarbeiten am ehemaligen Klostergebäude im Herbst 2008 wurden weitere außergewöhnliche Befunde entdeckt, die bisher nicht bekannt waren und offenbar auch bewusst von den kirchlichen Behörden bis heute verschwiegen wurden.
Damit verbunden gibt es zahlreiche Hinweise, wonach sich diverse verborgene, nicht zugängliche Gewölbekeller aus früheren abteilichen Zeiten unter dem Gebäude befinden, die offenbar zu außergewöhnlichen Zwecken genutzt, vermauert und mit Schutt verfüllt wurden. Eine ähnliche Maßnahme, wie die zu den Befunden in und unter der Abteikirche, um somit den wahren Grund zu verschweigen.“
Diese Mutmaßungen erfährt man im geduldigen Internet, gewiss. Aber sie stellen ungeduldige Fragen, die in Werden nicht eindeutig beantwortet werden.
Wo waren z. B. die Klosterkerker, die es sicher gab? Fritz Reuter vermutet in seiner „Urgeschichte von Mecklenburg-Vorpommern“, dass dort häufiger störrische Klosterbrüder saßen, die unliebsame Bücher schrieben. Und das jahrzehntelang, bis sie darüber starben. Wir wissen z.B. sehr wenig über das alte Saarn in vorklösterlicher Zeit. Etwa von Adam und Eva an bis Honorius, dem Papst, der sich das Kloster genehmigte.
Aber um 800 und auch noch 1214 muss das Wissen darüber ergiebiger gewesen sein als später. Warum sind uns so wenige klösterliche Schriften erhalten, die dieses Wissen weitergeben ohne eine Verfälschung durch christliche Sichtweisen?
Der Bruder Kellermeister war beileibe nicht nur mit der Hege und Pflege des Weins und des klostereigenen Gebräus beschäftigt. An seinem Schlüsselbund hingen sicher auch Schlüssel zu gewissen unterirdischen Verließen. Ja, man darf fast sicher sein, dass sich die überirdische Mönchszellenkultur unterirdisch fortpflanzte.
Wusste die Äbtissin Agatha von Heinsberg davon? Sie wollte unbedingt 1808 nach der Aufhebung im Kloster bleiben. Bei all diesen Fragen ist Saarn sicher kein Einzelfall. Auch in Lüneburg fragt man sich: „Gab es wirklich keinen (!) Tunnel zwischen dem Frauenkloster Lüne und dem Männerkloster Sankt Michaelis in Lüneburg?“
Vor den Toren der alten Salzstadt Lüneburg gibt es nämlich ein Benediktinerinnen-Kloster, worum sich seit dem Mittelalter Gerüchte ranken: Es soll einen geheimnisvollen Tunnel geben, der soll vom Benediktinerinnen-Kloster Lüne – einem Frauenkloster – zum Lüneburger Kalkberg geführt haben, etwa drei Kilometer lang, bis zum Männerkloster Sankt Michaelis“. Dass das Bedürfnis nach Nonnentunneln bei der durchschnittlichen Bevölkerung höher ausgeprägt ist als bei durchschnittlichen Nonnen, zeigt auch ein Bericht aus Zerbst, Sachsen-Anhalt, wo man unterirdische Gänge angeblich sogar mit einer großen Kutsche befahren konnte. Zu den abenteuerlichsten Legenden zählen angebliche Geheimgänge unter dem gesamten Stadtgebiet, also auch zwischen Franziskanerkloster und Frauenkloster.
Aus Neustadt an der Weinstraße wird vermeldet, dass dort ein kleiner Tunnel als "Nonnentunnel" unter den Neustädtern bekannt sei. Dort soll sich früher eine Nonne erhängt haben und seitdem werden dort immer wieder spuckhafte Erscheinungen beobachtet. Das sind Geschichten, da kann man in Saarn nur von Träumen.
Bestens bekannt ist der Klostertunnel in Berlin, allerdings nur als U-Bahnstation. Keine noch so bescheidene Geschichte von sehnsüchtig-emsigen Klosterfrauen lässt sich aus ihm ans Tageslicht befördern. Er heißt nur so, weil die Rendezvous der U-Bahnzüge hier unter einer Klosterkirche stattfinden.
Der Begriff „Mönchstunnel“ ist relativ selten anzutreffen, so als habe man in der damaligen Männergesellschaft den Verdacht klösterlicher Untreue in biblischer Weise auf die Frauen abwälzen wollen. Der berühmteste ist wohl der 540 m lange Mönchstunnel am Kyffhäuser, der aber lediglich einen künstlich angelegten Wasserlauf beherbergt.
Ernüchternd wirkt auch schließ- und endlich, dass dem empirisch nachweisbaren Geheimgangsyndrom wenig konkret Nachweisbares gegenübersteht. Die Zahl wirklicher Geheimgänge bleibt in Deutschland deutlich unter einem Dutzend.
Aber das muss niemanden bekümmern. Sind wir doch bei jeder Burg- oder Klosterbesichtigung gefordert, unsere Phantasie anzustrengen, um aus oft kärglichen Mauerresten das ehemalige Bauwerk im Geiste wiedererstehen zu lassen. Wer will uns da verbieten, über die im Besichtigungsprospekt vorgegebenen Daten und Fakten hinaus zu schweifen. Und schwingt bei aller Neugier nicht auch ein wenig Verständnis für die Frau in der Klosterfrau mit, die ihre natürlichen Neigungen nicht immer im Geist der Melisse ertränken wollte und konnte?
Und nicht wenige sehen in der rasant schrumpfenden Nonnen- und Mönchpopulation einen Beweis dafür, dass es diese Tunnel einmal gegeben haben muss. Wer auch immer zu ihrer Verstopfung und Verödung beigetragen haben mag, der Schuss ging nach hinten los!
Es sei mir ganz zum Schluss noch ein Hinweis gestattet: Wenn auch die Archäologie in Saarn und anderswo im Augenblick noch versagt, so finden Nonnentunnel-Freunde in der Literatur der Klosterromane eine reiche Auswahl an Nonnenschicksalen. Wem der Titel des 1925 von Максим Горький geschriebene Romans „Der Sohn der Nonne“ in unserem Zusammenhang jedoch als absolutes Muss erscheint, wird leider enttäuscht werden. Der Sohn ist nicht aus einem Tunnelerlebnis hervorgegangen. Seine Mutter war bereits Mutter, bevor sie ins Kloster ging.
Dass eine leibhaftige Nonne sich öffentlich für einen Tunnelbau einsetzte, hat es zuletzt im Jahr des Herrn 2012 gegeben. Schwester Martina setzte sich an die Spitze einer Bewegung, die in Offenburg eine Güterzug-Trasse in einen Tunnel verlegt haben wollte. Es war ihr schlicht zu laut.
Im Übrigen bin ich überzeugt, dass der nach diesen ausschweifenden Ausführungen einsetzende Siegeslauf des Nonnentunnel-Contents den Spitzhacken der Nonnentunnel-Archäologie neue Flügel verleiht.
PS. Nach Fertigstellung des Artikels erreichte mich die Nachricht, dass es wieder Mülheimer Klosternachwuchs gibt. Leider nur in Form eines Ü30 Mönchs. Dieser lebt auch nicht in einem Kloster, sondern in einer Hütte im Wald, wo ein buddhistischer Bettelmönch-Orden ein sog. Waldkloster errichtet hat. Die Tunnel-Option, soweit bekannt, entfällt.
Mit histoklitterialen Grüßen
Ihr
Franz B. Firla
Bild 1: Quelle: Fuchs, Eduard <1870 - 1940>: Geschichte der erotischen Kunst. -- München : Langen. -- Das zeitgeschichtliche Problem. -- 1908. -- 412 S. : Ill. -- Nach S. 48]
Autor:Franz Bertram Firla aus Mülheim an der Ruhr |
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