Redensart

Noch immer

Man sagt manchmal etwas, was höchst problematisch, ja unsinnig ist. Aber es sagen ja alle, und dann wird es schon stimmen.
So ist es auch mit dem intimen Geständnis: „Ich liebe dich noch immer“. Obwohl hierbei innerlich gewaltige Emotionen wogen, wollen wir versuchen diese mal auszuklammern und nur auf die Wörter zu schauen. Auch die Person und die jeweiligen Umstände lassen wir mal auf Seite.
Fangen wir an beim Wortsinn des Wortes „immer“. Der steht völlig unstrittig für „ewig“, wie der Pleonasmus „immer und ewig“ beweist. In unserem Beispielsatz bedeutet „immer“ genaugenommen aber „von einem Zeitpunkt an durchgängig“, denn jede menschliche Liebe hat einen Anfang. Ewige Liebe kann es nur für den lieben Gott geben, wenn es ihn denn gibt.
Was aber will uns dieses „noch“ sagen? Normalerweise verweist es ebenfalls auf einen Zustand, der andauert, aber möglicherweise in der Zukunft endet.
Ist das nicht ein Widerspruch zu „immer“, das ja ewig bedeutet, also eben nicht aufhört? Auch wenn es irgendwann mal angefangen hat?
Also entweder „noch“ oder „immer“! Aber „immer noch“?
Eine mögliche Erklärung: Wenn ein Zustand lange andauert, zum Beispiel der des Verliebtseins, dann wird gefühlsmäßig ein mögliches Ende ausgeklammert, und man empfindet ihn als immerwährend. Vielleicht kommt hier aber auch einfach das Erstaunen zum Ausdruck über die Hartnäckigkeit des Gefühls, dem man sich ausgeliefert fühlt, besonders wenn der Geliebte nicht zurückliebt oder umgekehrt die Freude über die Beständigkeit der Zuneigung.
Logisch, das zeigt die kleine Untersuchung, ist unsere Sprache nicht „immer“, schon gar nicht in Gefühlsangelegenheiten.

PS:
Prominentes Beispiel:

„Der Mond, und noch immer er scheinet so hell
Zum Tanz, den sie schauderlich führen.“

Goethe, aus dem Gedicht: Totentanz