11 Gebote
Entschuldigungsgebot

Entschuldigungsgebot
Ich liege auf dem Sterbebett und eine schier unendliche Menschenschlange zieht vorbei: Politiker, Schlagersänger, Religionsstifter, Fischhändler, Romanschriftsteller, Ärzte, Zwölftonkomponisten, Tankstellenpächter, Drehbuchautoren, Geistliche, Generäle, Gastronomen, Fernsehprogrammgestalter usw., und jeder einzelne Vertreter seiner Zunft bleibt kurz an meinem Kopfkissen stehen, um das eine Wort zu sagen: „Entschuldigung!“ Wie aus einem Blütenwind rieseln diese Entschuldigungen auf meine letzte Liegestatt und verbreiten ein wohliges Gefühl später Gewissheit, dass diese Welt, die ich nun verlasse, doch eigentlich human und solidarisch gemeint war, und die Anerkennung des Menschen als tief empfindendes Wesen als Grundsatz, wenn auch verdeckt, immer vorhanden war.
Wenn ich aus diesem Traum aufwache, denke ich jedes Mal an die zehn Gebote und die Dringlichkeit einer Ergänzung: „Du sollst dich entschuldigen, wenn du anderen geschadet hast!“
Aber sinkt der Wert der Entschuldigung nicht, wenn sie ein Gebot ist? Wie ehrlich wird sie dann noch gemeint sein? Dann müsste man sich das aber auch bei anderen Geboten fragen. Wie ehrlich ist es, wenn man einen Menschen nicht tötet, nur weil sich das nicht gehört?
Die ehrliche Entschuldigung aber ist Ausdruck menschlicher Nächstenliebe, als öffentliches Eingeständnis von Schuld und Versäumnis festigt sie eine humane und solidarische Gesellschaft.
Bleibt die Frage, an wie vielen Sterbebetten ich selbst hätte stehen müssen. Oder anders: Habe ich noch Zeit, bei irgendwem eine Entschuldung anzubringen? Ich sollte es nicht versäumen.

Autor:

Franz Bertram Firla aus Mülheim an der Ruhr

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