Die Formen Kindergeburtstag
Wenn ein Zwergengeburtstag ansteht, gibt es zwei Möglichkeiten: Man verfällt Tage vorher besorgt um den Wohnungsfrieden in Übellaunigkeit oder die Sause findet aushäusig statt.
Ganz klar, ich halte mich an letzteren Plan. Wie im Vorjahr buchte ich: 1 x Indoorspielplatz* mit Sack und Pack. Auf der Fahrt griffen Geflügel und seine Gäste eines ihrer liebsten Themen auf, ebenfalls wie letztes Jahr ging es ums Kotzen.
Geflügels Freundin gab den Ring frei: "Neulich musste ich ganz viel brechen."
"Ins Auto?", fragte mein Kleines hocherfreut.
"In den Flur", antwortete die Freundin stolz.
"Ich breche immer im Auto, wenn mir heiß ist."
Der dritte Bündnispartner ergänzte: "Du hast schon mal bei Amelie auf die Hose gekotzt."
"Stimmt", nickte Geflügel und die Freundin komplettierte: "Im Stau war das, als wir zu Nadines Hochzeit fuhren."
Toll, jetzt ging das wieder los!
"Leute", mischte ich mich ein, "erzählt aber nicht noch mal von den Kartoffelhappen und den zerkauten Möhrchen! Das konnte ich das ganze Jahr über nicht vergessen!"
Alle hingen kurz ihren Gedanken nach. Plötzlich, nachdem sie sich die Sache mehr oder weniger erneut durch die Köpfe gehen lassen hatten, sagte die Freundin: „Als ich gebrochen habe, hing das Essen in meinen Haaren!“ Sie fächerte ihr langes blondes Haar auf, sodass es bis zum Kumpel auf den Nachbarsitz fiel.
„Wann war das?“, fragte der Kumpel.
„Keine Ahnung … Aber Nudeln hingen drin."
„Gedrehte?“
„Nein", sagte die Freundin, "ganz lange Spaghetti.“
„Ess ich total gerne."
Geflügel fragte: „Und was hat deine Mama gesagt?“
„Habe ich nicht verstanden. Ich musste so laut würgen.“
An der Stelle schaltete ich das Radio ein.
Aber lassen Sie uns thematisch zum Indoorspielplatz vorauseilen!
Selten sehe ich so viele Kinder heulen wie in einer Indoorspielhalle. Dauert sicher nicht mehr lange und solche Plätze werden wegen Grausamkeit gegen das Kindeswohl verboten.
Ich hingegen liebe derartige Spielplätze! Nirgends kann ich so gut arbeiten wie hier. Bierzeltgarnitur mit Sitzpolster und Rückenlehne; ab und an fülle ich Becher mit Sprudel, seltener die Chipsschüssel oder die Apfelschnitzel. Normalerweise ablenkungsfrei, der Lärmpegel bleibt gleich, es ist schön warm und keiner spricht mich an.
Heute allerdings war der Wurm drin. Ständig heulte einer. Los ging es, da hatte ich noch nicht einmal die Schuhe aus. Auf der Rutsche knallten zwei meiner Hänse mit den Köpfen zusammen. Bei einer tropfte danach Blut vom Ohrläppchen, beim Andern von der Stirn. Im Lauf des Nachmittags rollte sich eine Dritte eine Schürfwunde und ein Vierter meinte, sein Kopf würde falschherum draufsitzen. Ständig beschwerten sie sich über den Schimpfwortschatz fremder Kinder – als sie jedoch dazu übergingen, mich auch bei Belangen auswärtiger Kinder zu Hilfe zu rufen, verwahrte ich mich entschieden: „Es ist gut, dass ihr euch um in Not geraten Kinder kümmert. Aber sucht deren Betreuungspersonal. Die kennen sich, von denen lassen sie sich schneller aufheitern.“
Neben meinem Bierzelttisch feierte eine Großfamilie. Das dicke Mädchen trug ein langes Spitzenkleid und hatte die Haare vermittels Lockenstab zu einer kunstvollen Turmfrisur aufgebaut. Genau das Richtige für einen wilden Spielnachmittag. So kam es, dass die dicke Prinzessin ständig plärrte. Mal trat sie sich mit den Knien auf den Kleidersaum und kam nicht vorwärts, ein anderes Mal verhedderte sich ihre Gardine in einer Aufhängvorrichtung des Kletterturms. Die Cousinen waren ähnlich gekleidet und die ganze Bagage fiel durch körperliche Ungeschicklichkeit auf.
Als die dicke Prinzessin wieder einmal plärrend in einem Turm feststeckte, wurde es einem anderen Prinzesschen offensichtlich zu blöd und es warf sich vor den Geschenkeberg der Dicken. Neugierig fetzte das Prinzesschen das bunte Papier von den riesigen Pakete. Erst eins, dann zwei – beim Dritten kriegte das die Dicke in ihrem Rapunzelturm spitz ...
Ich sage Ihnen weiter nichts! Sofort kam der Kassenwart des Ladens gerannt. Er fürchtet wohl, ein Gast hätte sich den Hals gebrochen.
Eben wollte er sich beruhigt in sein Kassierstübchen zurückziehen, als ihm auffiel, dass auf der Bierzeltgarnitur der Großfamilienfeier verbotenes Essen gereicht wurde. Überall in der Halle hängen Bilder, dass das Mitbringen von würzigen Speisen nicht gestattet ist. Klar, Indoors wollen halt ihre eigene Gastronomie unters Volk bringen. Kuchen, Süßkram und Getränke dürfen Gäste hingegen supermarktgünstig selbst ankarren.
(Wo wir einmal dabei sind: Verboten ist vermittels Schild ebenfalls, dass Erwachsene auf den Spielgeräten herumturnen!)
Der Kassenwart wiegte also den Zeigefinger vor der Nase der Mutter; sie hob die Brauen: Nix verstehen. Die anderen Beleibten verstanden offensichtlich besser, denn sie begannen hektisch zu spachteln. Der Kassenwart zog zwischen zwei Schüsseln mit lecker aussehendem Inhalt ein bemaltes Schild hervor und reicht es der Mutter. Was blieb ihr anderes übrig: Sie nickt und begann den anderen Müttern die Schüsseln wegzunehmen. Die schaufelten noch schneller und der Kassenwart ging wieder.
Das Geburtstagskind steckte übrigens immer noch plärrend fest, was die Mutter veranlasste, einen wohlgenährten Jungen zur Rettung auszusenden. Der Junge knurrte, er spekulierte auf weitere Speisen. Als Tischlein-deck-dich kurzzeitig abgeräumt war, packte die Mutter der Dicken eine gelbe Cremetorte aus. Natürlich knickste oben in der Tortenmitte eine graziöse Schokoladenprinzessin. Die anderen Mütter klatschen Beifall, winkten die Kinder heran und setzten ihnen bescheuerte Papphütchen auf. Alt wie jung machte sich über die Torte her: Alle zufrieden.
Kaum war die Torte verputzt, sammelten die Mütter erneut ihre verlustig gegangenen Kinder ein - die Dicke musste wieder irgendwo befreit werden - und packten zusammen. Das Gastspiel dauerte nicht einmal zwei Stunden.
Ich möchte mich an dieser Stelle bei allen Beteiligten für die grandiose Unterhaltung bedanken!
Ich komme sehr gerne wieder!
*Indoorspielplatz = Halle mit riesigen, fangnetzgesicherten Klettertürmen und Rutschen für Kinder bis 12 Jahre
Autor:Anke Müller aus Mülheim an der Ruhr |
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