Der Salzstreuer
Als Schüler und Student war ich über Jahre hinweg aus finanziellen Gründen gezwungen, manch zweifelhaften Job anzunehmen. So auch schon 1961. Nach ein paar Wochen in der Verteilerstelle der Hauptpost arbeitete ich ab dem Sommer im Rheinhotel Dreesen als Salzstreuer. Eine Perforierung meiner Schädeldecke bei gleichzeitiger Umwandlung von Hirnmasse in Salz war dazu gottlob nicht nötig, hatte ich doch durch mein zerstreutes Wesen die günstigsten Voraussetzungen für diese geschmackvolle Dienstleistung. Sie müssen sich vorstellen, zur damaligen Nachkriegszeit, da stand noch nicht auf jedem Tisch eine Gewürz-Menage. Da rief man die Bedienung, wenn man Salz, Pfeffer, Senf usw. brauchte.
Der Gast hob leicht die Hand und ließ seine Finger diskret zappeln, ein angedeutetes Rieseln eben.
Als berufener Salzstreuer balancierte man mit der Linken ein kleines Tablett mit einer Salzschale etwa in Scheitelhöhe, steuerte so zielstrebig den Tisch an und verabreichte dort möglichst elegant und mit tiefer Verbeugung die gewünschte Prise. Trinkgeld gab‘s wenig, da es als kostenloser Sonderservice des Hotels betrachtet wurde. Dass man mehrfach an den selben Tisch gerufen wurde, war durchaus keine Seltenheit und hob wohl nicht nur den Geschmack der Suppe, sondern würzte sicher auch mancher Dame den Abend. Der Anblick junge Männer war rar in jenen Jahren.
Vor der Erfindung des demokratischen ein- bis multilöchrigen Salzstreuers wurde allgemein von Hand gesalzen. Zwischen Daumen und Zeigefinger, auf Wunsch einsamer Damen auch zwischen Mittel- und Ringfinger. So erklären sich schließlich auch die gesalzenen Rechnungen.
Natürlich musste man im kulinarischen Streudienst, um sich nicht als untauglich zu erweisen, ständig mit den Blicken herumschweifen, wo sich gerade eine akute Salzknappheit andeutete. Besonders natürlich bei Suppengerichten.
Beim Frühstück waren bis zu 30 professionelle Salzstreuer im Einsatz. Abends, wenn die Meersalzstreuer als Neptun verkleidet auf der Rheinterrasse herumwandelten, wurden mitunter auch Streuerinnen in freizügigen Meernixentrikots zugelassen. Hierzu sei fairerweise angemerkt, dass ich meinen damaligen Job eigentlich der deutschen Sprache verdanke, in welcher der Streuer des geschlechtsneutralen Salzes männlich und nicht wie z.B. in Frankreich und Italien weiblich ist. Das wiederum erinnert mich an die berühmtesten „Salzstreuerin“ der Welt: die Saliera von Cellini, ein Geschenk an den französischen König und heute in einem Wiener Museum zu bestaunen.
Wo wir gerade in Österreich sind: „Im Salzkammer gut, Salz kammer gut lustig sein ….“ Ja, es gab auch einige Amouren, die sich aus versehentlich versalzenen Suppen oder über das Handgelenk verstreuten Prisen entwickelten. Eine war sogar aus Salzwedel oder Salzburg, vielleicht sogar –gitter. Die hatte es aber nicht auf mich, sondern einen hasenflinken Herrn abgesehen und glaubte sich meiner Unterstützung versichern zu müssen, da sie von einer Jagdmethode gehört hatte, bei der gezielt gestreutes Salz entscheidend zum Erfolg beiträgt.
(Leider kam diese Methode jüngst bei der Löwin in Berlin nicht zum Einsatz, da es sie nicht gab)
Gut, dass Sie fragen: Die Bekleidung der Hotelsalzstreuer wurde gestellt: Weiße Hose, schwarzes Pagen-Jackett und abends ein weißes „Schiffchen“ auf dem Kopf. In Erinnerung an das schiffförmige Gefäß, das im Mittelalter auf dem Tisch bereitstand und wo sich jedermann und -frau die weißen Körnchen herausfingern konnte.
Bei den Pfefferstreuern war das Jackett in Beige, und sie hatten große schwarze Körner im Haar. Beide Streuer, Salz- sowie Pfefferstreuer, wurden nach geleisteten Stunden, nicht nach Streueinsätzen bezahlt.
Das war auch ein Grund, warum ich 1963 gegenüber in Königwinter als Pfefferstreuer anheuerte, das war ruhiger, man hatte mehr Zeit für sich, besonders beim Frühstück. Nur ein paar komische Engländer wollten Pfeffer auf die Eier.
Längst hat man die lebenden Salzstreuer wegrationalisiert, ihre Aufgabe hat entweder der gelochte Kollege aus der Tisch-Menage übernommen oder sie wird in besonderen Fällen vom Bedienungspersonal miterledigt, wenn es sich beispielsweise um den Wunsch nach grobem Himalaya-Salz aus der Salzmühle handelt.
Mein Gott, als „Salzmüller“ im Rheinhotel! Es wäre geradezu mahlerisch gewesen!
Und erst in diesen Tagen seligen Erinnerns wird mir klar, für welch sinnbildlicheTätigkeit mich das Schicksal schon im zarten Mannesalter auserwählt hatte. Denn ist nicht jeder Mensch nur ein Salzkorn in einem Streusel der Schöpfung?
PS: Manche verlieren im Alter die Erinnerung an Episoden ihrer Jugendzeit. Bei mir scheint eher das Gegenteil zuzutreffen. Ich erinnere Dinge, die es vielleicht so gar nicht gegeben hat. Mein Arzt sagt, es wäre SAlzheimer.
Autor:Franz Bertram Firla aus Mülheim an der Ruhr |
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