Fluchen auf Mölmsch Platt
Der glühende Götterhammer

Dr. Johannes Rating hat in einem Beitrag zum Mülheimer Jahrbuch 1950 am Beispiel zweier Mölmscher Redensarten versucht darzustellen, wie sich religiöse Begriffe seit den Kelten und Germanen in der mündlich tradierten Sprache verewigt haben. Nicht der eigentliche Glaube, aber die bildhaften Vorstellungen der Menschen wurden zu Sprachbildern verfestigt, die später in völlig anderen Zusammenhängen benutzt und emotional verstanden wurden.
Eine entsprechende „säkularisierte“ Übersetzung des oben zitierten Fluches wie „Zum Donnerwetter!“ verschweigt, dass hinter dem Wort Donner der germanische Gott „Donar“ steckt.
Der Beitrag ist vielleicht etwas spekulativ, dennoch als Lektüre zu empfehlen, und für Mundartfreunde auf jeden Fall interessant.

Was verschafft uns hauptsächlich Kenntnisse der vergangenen Geschichte? Zunächst wohl stoffliche Ueberreste, wie von Bauwerken, Gerätschaften, Waffen, schriftliche Urkunden auf mehr oder weniger dauerhaftem Material, auch künstliche Bodenverän¬derungen wie Grabstätten, Wälle, Gräben, Straßen und Höhlen, dann besonders Kunst-werke wie Plastiken, Schnitzereien, Gemälde und Zeichnungen. Aber die materiellen Beweisstücke vermögen dies nicht allein. Auch der flüchtige Klang des gesprochenen Wortes läßt in kurzen, wenig beachteten, stehenden Redensarten und Ausrufungen, wie sie Kraftausdrücke und Beteuerungen darstellen, ebenfalls uraltes Geistesgut von Völkern erkennen, die oft schon seit sehr langer Zeit verschollen und vergessen sind. Ja, wie es hier gezeigt werden soll, scheint das ungeschriebene Wort manchmal dauerhafter zu sein als der Stoff.
Dies ist eigentlich sehr erstaunlich, sollte man doch meinen, daß die Zeiten, als man noch alte Mythen, Sagen und Märchen sammelte, um sie durch Aufzeichnungen vor dem Vergessenwerden zu retten, schon längst und endgültig vorüber seien. Denn trotz liebevoller Niederschrift sind sie im breiten Volk leider heute nur noch wenig be¬kannt, dabei doch gerade dort, wo früher ihre eigentliche Heimstätte war.
Bei der jetzt bestehenden Herrschaft der allgewaltigen Maschine greifen deren aus der materiellen Welt stammende Seelenkräfte, nämlich Kausalität, Nüchternheit und Sachlichkeit und damit eine unverkennbare Interessenlosigkeit für alles Nichtmaterielle immer mehr um sich. Es wird vielleicht nicht mehr lange dauern, dann werden Begriffe wie zum Beispiel Nibelungen oder Gral, unbekannte Worte für die meisten sein.
Oder aber es müßte sich auf kulturellem Gebiet ein plötzlicher und grundlegender Umschwung vollziehen, der gegen alle Erwartung und durch unbekannte Kräfte sehr bald einsetzen müßte.
Doch hören wir uns zunächst einmal zwei besonders interessante Mülheimer Kraft¬ausdrücke an, nachdem wir uns vorher noch kurz über örtliche und geschichtliche Verhältnisse orientiert haben-
Fast tausend Jahre dauerte es, bis die Germanen aus dem Raum der dänischen Inseln, Jütlands und Schleswig-Holsteins, wo sich ihre Rasse gebildet hatte, bis zum Nieder¬rhein vorgedrungen waren, wo sie einige hundert Jahre vor Christi Geburt eintrafen. Die hier schon seit langem sitzenden Kelten, auch Gallier genannt, ein älteres, indo¬germanisches Brudervolk, verdrängten und überlagerten sie. Der unterworfenen Be-völkerung drückten sie den Stempel ihrer Sprache, Religion und Sitte auf, ohne aber ganz den keltischen Charakter der so entstandenen Mischbevölkerung verwischen zu können. So sind einige geographische Namen wie z. B. die des Rheins, seiner Nebenflüsse und viele Stadt- und Ortsbezeichnungen keltisch geblieben und ebenfalls auch manche Erinnerung an keltischen Religionskult hat sich erhalten, wie hier gezeigt werden soll.
Meine Eltern sprachen untereinander fast nur plattdeutsch, wie es ihre Vorfahren nicht anders gewohnt waren. Nur mit mir sprachen sie aus Gründen der Bildung hochdeutsch. Ging aber einmal aus irgendeinem Grunde das Gefühl mit ihnen durch, so bekam auch ich ein unverfälschtes Platt vorgesetzt, das allerdings weniger an mich gerichtet, als ein lebhaftes Selbstgespräch ihrerseits war.
Als Sextaner war ich einmal lange krank und mußte, um den großen Wissensausfall auszugleichen, bei einem Kollegen unseres Ordinarius Nachhilfestunden nehmen. Die Versetzung nach Quinta wurde dadurch gesichert. Aber welch eine Hohe Rechnung mußte ich meinem Vater präsentieren! Zuerst las er die Aufstellung mit der hohen Endsumme ohne etwas zu sagen, darauf kratzte er sich wie mechanisch hinter dem Ohr und brachte durch die Zähne merkwürdig mühsam, langsam und betont zentner¬schwere Worte heraus: „Heiliger Steine Fiftehn!" Und nach einer Weile: „Chlönig chlatten Dunnerbeitel" (e und i sind hier deutlich getrennt auszusprechen, das e aber nicht als al). Hier haben, wir die Wortfossilien, um sie ihres hohen Alters wegen so zu benennen, denn sie stammen aus germanischer und das erste sogar aus vorgerma¬nischer, also aus keltischer Zeit.

Auffallend ist zunächst beim ersten Ausspruch die altertümliche, sprachliche Form, wie sie nur in ganz alten, sogenannten toten Sprachen gebräuchlich ist. Frei übersetzt lauten beide vielleicht so: „O du Fünfzehnerschaft der heiligen Steine! Glühend glatter Donnerschlagmeißel!" Der zweite Ausspruch meint die Waffe des germanischen Wettergottes Thor, oder Donar, den Blitz, der meistens als Hammer, hier aber wegen seiner baumspaltenden Kraft als Meißel, bezeichnet wird-
Mit Fünfzehnerschaft wird ein Urtempelbezirk benannt, wo die Pfeiler in Form von länglichen Natursteinen aufrecht und in bestimmter Weise ausgerichtet stehen, das Dach aber noch fehlt. Es ist wohl nicht daran zu zweifeln, daß es sich um einen heidnischen Tempel handelt, denn im Christentum sind heilige Steine wenig oder überhaupt nicht bekannt.
Wenn nun eine heidnische Kultstätte gemeint ist, dann aber keine germanische. Von alten römischen Schriftstellern wissen wir nämlich, daß die Germanen keine Gottesbilder aufstellten, keine Tempel hatten und auch keine Steine als Heiligtümer verehrten. Sie pflegten ihre Gottesdienste ursprünglich im Wald oder in Hainen abzuhalten. Nur da, wo sie bodenständiges Brauchtum ihrer Ortsvorgänger, also der Kelten, übernehmen mußten, haben sie an einzelnen wenigen Stellen von heiligen Steinen in ihrem Kult Gebrauch gemacht. Es waren dann aber meistens von Natur besonders auffällige Felsgruppen, wie z. B. die Externsteine.
Von den Kelten wissen wir aber, daß sie in der älteren Zeit Steingehege bauten, wie sie heute noch in Nordfrankreich und in Südengland vorzufinden sind. (Stonehenge). Sie haben ein ehrwürdiges Alter und stellen die primitiven Urformen der kochkultivierten, altägyptischen Tempel dar mit ihren mächtigen Säulenhallen, bei denen das Dach auch noch keine bedeutende architektonische Rolle gespielt hat.
Besonders aber beweist die Zahl 15 den keltischen Ursprung. Wie die Zahl 7 für das Judentum und deshalb auch für das aus ihm hervorgegangene Christentum eine heilige Zahl bedeutet, so auch die Zahl 15 für die keltische Religion. Vielleicht heißt in Frankreich, dem allen Gallien, unser Ausdruck „in 14 Tagen" nur deshalb „in 15 Tagen", um die von den Kelten auf die heutigen Franzosen vererbte Vorliebe für die heilige Zahl 15, unbewußt-selbstverständlich, zu bekunden. Genau so wie wir anstatt „in 7 Tagen" umgekehrt „in 8 Tagen" sagen. Denn wir als Christen vermeiden nämlich gerne — auch unbewußt — die Nennung heiliger Worte, da ja dem jüdischen und demnach auch dem christlichen, religiösen Gefühl die mißbräuchliche aber auch schon die unnötige Aussprache des Gottesnamens und heiliger Dinge widerstrebt.
Dann kommt noch folgendes hinzu. Das Christentum setzte nach Eroberung der antiken Welt auch bei den Germanen seinen Siegeszug fort. Seine Missionare mußten, ihrem hohen Auftrag gemäß, alles heidnische Brauchtum vergessen machen. Da, wo es nicht gelang, formten sie es im christlichen Sinne um. So verwandlte sich — allerdings hatte man bei den Engländern, Niederländern und — Mülheimern damit keinen Erfolg — den Wodanstag in den neutralen Mittwoch (= Chosdag = Godestag = Wednesday), während die anderen Wochentage, wie auch die Monatsnamen ihre vorgermanisch keltischen und römischen Namen behalten durften. Denn diese hielt man, da ihre Bedeutung bereits bei der Bevölkerung vergessen' oder auch nur verblaßt war, für den neuen Glauben für ungefährlich. Auf diese Weise waren die alten Götter sogar zu Teufeln und bösen Dämonen geworden oder sie hatten Platz und Namen von christlichen Heiligen annehmen müssen. Ebenso wurden heidnische Festtage zu christlichen, wie z. B. das Wintersonnenwendfest zum Weihnachtsfest erhoben wurde. Nur in heimlich gebrauchten Beschwörungen und Zauberformeln sowie in Kraftausdrücken wurden alte Götternamen noch gebraucht, aber „beileibe" nicht öffentlich. Oder man verstümmelte den Ausspruch, wie im vorhergehenden Satz den Ausdruck „beileibe", womit der Leib des Herrn im Abendmahl gemeint ist, ein heiliger Begriff, der nach christlichem Gefühl nicht zum Zweck der Beteuerung oder Betonung entweiht werden dürfte. Unter der gleichen hemmenden Wirkung des Gewissens stehend, vermied man damals schon zur Abschwächung des sündhaften Fluchens den Namen des Gottes auszusprechen und nannte bloß ein Attribut desselben, wie hier Tempel und Waffe.
So haben also unsere beiden Mülheimer Kraftausdrücke dieselben 4-5 Jahrtausende der bekannten Geschichte durchlaufen, in denen neben- und nacheinander alle großen Kulturen sich entfaltet haben. Dabei wurden sie doch nur von Mund zu Mund weitergegeben. Wie Flüchtlinge, die einen breiten Strom mit starkem Eistreiben überqueren müssen und deshalb unter Lebensgefahr von Eisscholle zu Eisscholle springen, haben sie sich durch besondere Umstände begünstigt und von ürsprünglichen Lebenskräften angetrieben, bis zu unseren Tagen hindurchgerettet. Dabei verloren sie ihre anfängliche Frische und lebendige Kraft keineswegs, was wir sofort feststellen, wenn wir ihnen unvermutet begegnen.
Die Ursache ihrer Unverwüstlichkeit muß darin gesehen werden, daß sie inhaltlich mit Religionen und damit auch mit dem Gewissen in Beziehung stehen. Die Religionen stellen als Grundlagen der Kulturen etwas äußerst dauerhaftes dar. Die Kraftausdrücke bringen seelische Entspannung zustande, die zum Leben durchaus notwendig sind. Seelische Schwingungen im Kraftfeld des Gewissens, so kann man sie sehr gut mit physi¬alischen Energien vergleichen, die ja auch unzerstörbar sind. Während die seelischen Schwingungen in ihrer Bedeutung für das Leben dieselben bleiben, werden sie aber vom Gewissen verschieden bewertet, weil dieses in den verschiedenen Kulturen und auch schon in deren einzelnen Epochen unterschiedliche Prägungen erhält.
Das Gewissen als Ueber-Ich, das über dem intellektuellen Bewußtseins-Ich und über dem dumpfen animalischen Ich zu herrschen bestrebt ist, entwickelt sich ständig zu höheren Formen. Hierin liegt der Sinn der menschlichen Geschichte. In unserer biologischen Entwicklung bekommen wir keine wesentlichen Aenderungen unseres anatomischen oder physiologischen Wesens wie z. B. Flügel oder Kiemen, auch der Intellekt hat sich in der uns bekannten geschichtlichen Zeit nicht geändert und wird es in Zukunft wohl auch nicht wesentlich. Denn in der Häufung des Wissens neuer Kausa-litätszusammenhänge und in der Anwendung neuer Kombinationen dieses Wissens ist kein grundlegender Fortschritt des schon bestehenden Intellektzustandes des Menschen zu sehen.
Was sich aber verhältnismäßig schnell und tiefgreifend ändert, ist dasjenige geistige Organ, das uns besonders von den übrigen Lebewesen unterscheidet, das Gewissen. Seiner geistigen Wesensart nach muß es schneller und empfindlicher reagieren als jedes andere biologische Organ, wenn diese Art zu reagieren nicht sogar als überwirklich anzusehen ist. Die Veränderung des allgemeinen Gewissens zeigt sich am Anfang neuer Kulturen in neuen oder veränderten religiösen Ideen. Viele Menschen glauben heute auf Grund von gewichtigen und zwingenden Gründen, daß Gewissensänderungen durch Kräfte bewirkt werden, die aus einer anderen Welt, als wie sie unsere Wirklichkeit ist, stammen. In neuer Zeit gibt es in der Naturwissenschaft der Physik hierzu Parallelen, die nicht zu Meinungen oder Glauben gezogen werden, sondern zu Beobachtung und Experiment.
Flüchtige, gesprochene, undeutliche Anklänge an alte Religionen, die tief unter der ethisch höchsten Religion des Christentums stehen, können also älter sein als materielle, geschichtliche Beweisstück^! Denn wo ist das alte Haus der keltischen Gottheit ge¬blieben? Selbst die Stelle, wo es gestanden hat, ist uns nicht mehr bekannt. Es fehlt auch jeglicher Anhaltspunkt dafür, daß es sich auf dem alten Mülheimer Kirchenhügel befand, dort wo jetzt die Ruinen der Petrikirche anklagend gen Himmel ragen.
Sollte eines Tages ein glückliches Geschick es fügen, daß wir doch noch Reste dieser Tempelanlage in unserer engeren Heimat finden, so würde sicherlich der eine oder andere alte Mülheimer erstaunt und freudig ausrufen: „Heiliger Steine fiftehn". Chlönig chlatten Dunnerbeitel. Nee, wat et nee ahl chechewen hebt!"

Dr. med. Johannes Rating im Mühlheimer Jahrbuch 1950, Seite 165 ff

Autor:

Franz Bertram Firla aus Mülheim an der Ruhr

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