Café „Kränzchen“ auf dem Friedhof

Lünen | Foto: Michael Rottmann

Wenn der Friedhof nach frischem Kaffee duftet und die Buttercremeschnitte beim Blick über die Gräber die Trauer zu einem süßen Erlebnis werden lässt.

Guck an die Schweizer, die trauen sich was, dachte ich, als ich in einem Schweizer Tageblatt von der Eröffnung des ersten Friedhofcafés in der Schweiz las. Im gleichen Artikel fand sich auch der Hinweis, dass es so etwas in Deutschland schon länger gebe. Stimmt! Ohne langes Suchen wurde ich in Berlin, München, Hamburg, Regensburg, Soest usw. fündig. In letzterem gibt es das doppeldeutige Café „Kränzchen“.
Man ist ja erst etwas schockiert. Aber hatte ich mich nicht schon dann und wann gewundert, warum um Gottes Willen an den Hauptwegen der Friedhöfe keine Automaten aufgestellt sind, wo man sich seinen Coffee Togo ziehen kann, besonders an useligen Novembertagen?
Ja, aber Kuchen, Buttercreme? Würde ich beim Blick über Gräber etwas davon runterkriegen?
Ein Kommentar zu einem Berliner Friedhofscafé: „Ob zusammen mit einem Besuch des Alten St-Matthäus-Kirchhofs, oder nur so: hier findet man ein sehr originelles, beliebtes Cafe, mit einem recht gemischten Publikum. Das Café ist Anlaufstelle für Trauerfeiern, für die musikalischen und künstlerischen Projekte des Friedhofs, für normale Friedhofsbesucher, aber auch für Liebhaber von Kaffee und hausgebackenem Kuchen. In der milden Jahreszeit sitzt man auch sehr schön draussen“.
(https://www.tripadvisor.de/ShowUserReviews-g187323-d2290130-r419742537-Cafe_Finovo-Berlin.html#)
„Die Vorstellung, in einer ehemaligen Leichenhalle auf einen Latte Macchiato einzukehren hat schon etwas Bizarres. Genau das kann erleben, wer das Café Strauß in Kreuzberg besucht. Die Besucher sitzen auf der überdachten Terrasse und genießen in der Nachmittagssonne die legendäre Friedhofsruhe. Das Angebot an Speisen ist übersichtlich: Croissants, Quiches und Brezeln, Kuchen, Kekse und Roggenbrotschnittchen, die etwa mit Rote-Beete-Creme, Hummus oder Rucola-Walnuss-Pesto belegt sind, 90 Cent kostet das Stück. Einmal im Monat finden im Café auf dem Friedhof Veranstaltungen statt, Ausstellungen, Konzerte oder Lesungen“. (Hauptstadtportal)
So wie in Berlin hat Cafémania auch andernorts längst die Friedhöfe erreicht, wie übrigens alle Punkte , wo sich Menschen (notgedrungen) begegnen. Auch Krankenhausflure riechen nicht mehr nach Desinfektionsmitteln, ihre zahlreichen Selbstbedienungsecken verströmen Latte Macchiato-Düfte.
Trotzdem, ist das mit Friedhöfen nicht etwas anders? Hält hier nicht auf dem einzig verbliebenen Terrain für Trauer und Besinnlichkeit der pure Kommerz schamlos seinen Einzug?
Wird man demnächst dort gar Kindergeburtstag und Hochzeiten feiern?
Man bedenke: Wir gingen noch mit der Vorstellung von Skeletten unter der Erde auf den Friedhof. Da hat doch seit der mehrheitlichen Feuerbestattung eine andere Vorstellung Platz gegriffen, die weniger Horror verbreitet. Es ist die der harmlosen Asche in einem schönen Gefäß. Das lässt die heutige Generation wesentlich entspannter über den Friedhof gehen.
Was die Vereinbarkeit von Speisen und Verstorbene angeht, scheint sich unser Totenkult alten Formen zu nähern, wir müssten nur konsequent die Toten ins Angebot mit einbeziehen.
„Speiseopfer spielen im Totenkult vieler Kulturen eine wichtige Rolle. Schon in der Antike bei den Griechen und Römern gab es alljährliche Gedenkfeiern, zu denen sich die Familien der Verstorbenen am Grab versammelten, um dort gemeinsam zu essen und zu trinken. Der Tote erhielt dabei immer einen Teil der Speisen als Opfer. In der Vorstellung der alten Ägypter mussten die „Seelen“ auch im Jenseits genährt werden, um ein Weiterleben nach dem Tod zu ermöglichen. Die Toten waren daher darauf angewiesen, dass die Lebenden sie mit Nahrung versorgten.“ (in: „Nahrung für die Seelen“ Deutsche Innungsbäcker- Homepage).
Auch der Gedanke einer Aufhebung der ghettoartigen Abgrenzung von Tod und Leben liegt nahe.
Wenn man die Geburt als den Anfang unseres Lebens ansieht, dann gehört der Tod als Abschluss, so merkwürdig es klingen mag, mit zum Leben.

Eine andere Sache ist es, ob es einem gelingt, in dieser Umgebung den nötigen Appetit aufzubringen. Berichte im Netz haben meine Bedenken mehr als zerstreut. Ich meine jetzt nicht die Rehe, die angesichts des reichen Grünangebotes über manchen Friedhof herfallen. Nein, man kann ohne Übertreibung sagen: Früher hörte man vielleicht die Würmer schmatzen, heute sind es die Angehörigen am Bratwurststand. Kein Witz: In Kreuzberg wurde schon 2013 Bratwurst auf dem Friedhof angeboten, als Teil eines Konzeptes, das „mehr Leben auf dem Friedhof“ fördern will.

Bei diesem Angebot fragt man sich endgültig, ob da nicht die Grenzen des guten Geschmacks überschritten sind.

Vielleicht aber spiegelt die seltsame Friedhofsgastronomie doch nur unsere Unfähigkeit zu trauern wider. Nach dem Motto: "Trauer ja, aber bitte mit Sahne!" Wahlweise Bratwurst.

Ich bin gespannt, ob sich der Trend zum „Café Silenzio“ durchsetzt und interessiert an Erfahrungen anderer LKler aus der engeren Umgebung.

Autor:

Franz Bertram Firla aus Mülheim an der Ruhr

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