Bundeswehr
Brief aus der Grundausbildung

Foto: Franz B. Firla

Hamburg-Wentorf, den 2.5.64

Liebe Eltern und Geschwister!

Wir haben hier alle mit furchtbaren Blähungen zu kämpfen, weil man vor lauter Appellen und Feuerwachegerenne nicht mehr in Ruhe mal seinem Geschäft nachgehen kann. Hier stinkt es wie in einem Elefantenzelt. Wenn ich abends die Stube abmelde mit „Stube gereinigt und gelüftet“ dann muss ich mir arg das Grinsen verkneifen, denn im selben Augenblick lassen die kleine Schweinchen
unter der Bettdecke wieder Luft ab, lautlos aber kräftig im Geschmack. Dazu strömt dann noch der betörende Duft aus sechs paar Schweißsocken, die auf den Stuhllehnen ausatmen. In diesen freien Tagen müssen wir sogar zum Frühstück marschieren. Die Kantine bringt nichts rüber in unsere Batterie. Dafür dürfen wir bis 6:30 schlafen, also eine Stunde länger, welch ein Luxus! Was den Wehrsold anbelangt, ich bekomme monatlich 69,- DM, die ich jeweils in zwei Hälften ausbezahlt bekomme.
Freitag habe ich mir ein großes Vergnügen bereitet. Ich bin nämlich alleine nach Hamburg rein. Das geht nämlich ganz einfach und kostet nur 1 DM. Ich setze mich vor der Kaserne in den Bus zum Bergedorf und nehme von dort die S-Bahn zum Hamburger Hauptbahnhof. Der ist kaum größer als der Kölner, das Dach ist jedoch gewölbt und macht einen bombastischen Eindruck. Das Treiben um den Bahnhof scheint mir noch intensiver als in Köln zu sein. Im Bahnhof gibt es aööes mindestens dreimal: Restaurants, Wartesäle, Imbiss-Stuben, Zeitungskioske, Fahrkartenschalter und Gepäck aufbewahrungshallen. Um den Bahnhof herum rennt man nur gegen hohe Häuser, lauter Hotels, eines eleganter, luxuriöser als das andere. Busse stehen in rauen Mengen zur Verfügung. Westlich vom Bahnhof ist das Deutsche Schauspielhaus, nicht weit davon entfernt das Theater am Besenbinderhof. Ich will versuchen, am Ende der Grundausbildung einen Nachturlaub zu bekommen, um mir dann einmal eine Vorführung anzuschauen. Neben den Hotels, oder genauer gesagt, den weißen Steinklötzen leuchtet die Reklame der Kinopaläste und Tanzlokale. Alles in allem wirft es einen um, besonders, wenn man nur aus dem bescheidenen Bundeshauptstädtchen Bonn kommt. Beim nächsten Ausgang werde ich weitere Kreis um den Hauptbahnhof ziehen und einmal die Alster, den Hafen und die Reeperbahn kennenzulernen.
Vor zwei Tagen hatten wir Grußabnahme durch den Leutnant unserer Batterie. Ich habe es erst beim dritten Anlauf geschafft, ungehindert das Ziel zu erreichen. Der Herr Leutnant hatte Anstoß an meinem wunderbar federnden Schritt genommen, er meinte, es sähe aus wie bei einem
9Schaukelpferd. „Jawohl Herr Leutnant!“ Ich lernte dann den richtigen zackigen Soldatenschritt. Es war furchtbar. Ich dachte die ganze Zeit an ein kleines Kind, wie es die ersten Gehversuche unternimmt und dem dabei die Knie zittern, weil es damit rechnen muss, jeden Augenblick auf dem Allerwertesten zu landen. Aber dann hat es ja irgendwie geklappt. Der Gruß war übrigens von vorne herein in Ordnung. Von nun an müssen wir in Uniform ausgehen. Dazu haben wir zwei Stunden Anstandsunterricht bekommen: Im Kino die Kamellen nicht zu laut lutschen, Beine nicht über den Vordersitz hängen lassen und im Bus aufstehen, wenn eine schwangere Frau kommt oder eine alte Oma heranzittert. Blinde immer über die Straße bringen und nicht an Bäume pinkeln. Man kommt sich vor wie bei Idioten. Und das ist leider wahr. Wir haben einen auf der Stube, der nicht weiß, wieviel Zentimeter ein Meter hat. Aber man selbst verblödet hier auch.
Manchmal beim Gewehrappell, wenn wir den Lauf zwanzigmal durchgezogen haben und dann noch „Elefanten“ und „Felsblöcke“ gefunden werden, dann möchte man auf den Spind langen, den Klappspaten herunterholen und den lieben Vorgesetzten eins überzuziehen.
In der Hoffnung, am Montag gleich Post von Euch zu bekommen (ich werde rasen, wenn ich aufgerufen werde), verbleibe ich bis zum nächsten Mal

Euer schwergeprüfter Abiturientenknabe

Franz

Autor:

Franz Bertram Firla aus Mülheim an der Ruhr

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