Corona
Zahlenpandemie


Zu meiner Grundschulzeit hieß das Lesebuch „Die sieben Ähren“ und war katholisch. Das hört sich nach frisch, fromm, fröhlicher Landmann an, aber es gab daneben auch „Die Welt der Zahl“. Zwar war ein Apfelbaum mit schönen roten Äpfel darauf, die Früchte dienten aber nur dem Zählen. Zusammen mit den sieben Ähren auf dem Lesebuch wurde unmissverständlich demonstriert: Das ungezählte kindliche Paradies ist hiermit beendet. Nie wäre ich in den ersten sieben Jahren meines Lebens auf die Idee gekommen, Äpfel oder Ähren zu zählen!

Ja, es gibt ja auch gar nicht, diese Zahlen, weder im Organischen noch Anorganischen. Dennoch scheinen sie im Ernst des Lebens das Wichtigste überhaupt zu sein. Wir zählen einfach alles, was es so gibt, und unseren kranken Nachbarn auch. Die Fokussierung auf Zahlen, Fakten und Statistiken lässt Zählen wichtiger als Erzählen erscheinen. Denn die nackte Zahl der Infizierten verrät nichts über den einzelnen. Ist das erlaubt? Darf man Kranke ohne ihre Erlaubnis einfach wie Schafe zählen und ihre Krankheit zum Rechenexempel machen? Manchmal glaube ich wirklich, wir leiden unter einer chronischen Zahlenpandemie.

Autor:

Franz Bertram Firla aus Mülheim an der Ruhr

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