Zeitzeichen - Freiheitskampf des Kulturbundes
Wie wir nach der Befreiung vom Nationalsozialismus unsere kulturelle Freiheit zurückerkämpft haben

Präsidialrat und Landesleitung des Kulturbundes im Präsidium der Kundgebung im Funkhaus Berlin am 26.11.1947 | Foto: Mülheimer Kunstverein und Kunstförderverein KKRR
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  • Präsidialrat und Landesleitung des Kulturbundes im Präsidium der Kundgebung im Funkhaus Berlin am 26.11.1947
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Zum Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus (der am 8. Mai 1945 endete) hat der Mülheimer Kunstverein KKRR eine Zusammenfassung des anschließenden Kampfes des Kulturbundes in Berlin erstellt.  Die dort enthaltenen Reden sind ein wichtiges Zeugnis, wie die künstlerische Freiheit seinerzeit mühsam erkämpft werden musste.
Interessant dabei, dass der Mülheimer Lehrer Matthias Koch im Jahr 2008 den ursprünglichen "Aufbau Verlag" des Kulturbundes übernommen hat.

Der verbotene Kulturbund um 1945

Quelle: Flyer "Aufbau Verlag" 1947

Titel der historischen Schrift aus dem Archiv des Mülheimer Kunstvereins KKRR | Foto: Aufbau-Verlag Kulturbund
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Zitat:
„An der historischen Stätte seiner Gründungskundgebung vom 4. Juli 1945 hatte der Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands die geistigen Menschen Berlins zu einer Kundgebung zusammengerufen, in der zu dem Verbot im amerikanischen und im britischen Sektor von Berlin Stellung genommen werden sollte.

Alle Säle des Berner Funkhauses waren vor Beginn überfüllt, auf den Treppen stauten sich die Menschen; viele Hunderte mussten umkehren, weil sie keinen Platz finden konnten. Berlins Kulturträger gaben Antwort auf den Versuch der antidemokratischen Unterdrückung ihrer freiheitlichen Organisation. Die Versammelten richteten an den Alliierten Kontrollrat und an die Londoner Außenministerkonferenz den Wunsch, das Verbot des Kulturbundes aufzuheben.
Diese große Kundgebung der Berliner Kulturträger war ein Ausdruck ihres demokratischen Verantwortungsbewusstseins und ihrer aktiven Haltung für die eigene Sache der demokratischen Kultur und für die Demokratisierung Deutschlands. Die Berliner Kulturträger bezeugten durch die Tat, dass sie nicht schweigend die Errichtung neuer Scheiterhaufen für den fortschrittlichen Geist, nicht schweigend die Unterdrückung ihrer demokratischen Organisationen erdulden wollen. Johannes R. Bechers Ruf, der Unterdrückung in ihrem Beginn zu widerstehen: „principiis obsta!", drückte die tiefe Bedeutung dieser Kundgebung in dem Ringen unseres Volkes um seine demokratische Erneuerung aus.
In diesen entscheidungsschweren Wochen, in denen in London über Deutschlands Zukunft entschieden werden soll, war diese Kundgebung deutscher geistiger Menschen aller Weltanschauungen zugleich das Bekenntnis zur kulturellen und nationalen Einheit eines demokratischen, friedfertigen Deutschlands.

Der Verlauf der Kundgebung

PROFESSOR DR. HEINRICH DEITERS
"Im Namen des Präsidialrates und der Landesleitung Berlin des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands erlaube ich mir, die heutige Kundgebung zu eröffnen. Sie findet in demselben Saale statt, in dem der Kulturbund im Juli 1945 zum ersten Male vor die Öffentlichkeit getreten ist. Wir danken Ihnen aufs herzlichste für Ihr Erscheinen. Insbesondere begrüße ich die Vertreter der Besatzungsmächte, unter ihnen die Vertreter der Sowjetischen Militäradministration.
Unsere heutige Kundgebung steht unter dem Satz:

Freiheit dem Kulturbund!

Podium und Eröffnungsrede in Berlin | Foto: Kulturbund

Ich erteile das Wort zuerst unserem Freunde, Herrn Professor Bennedik."

PROFESSOR BERNHARD BENNEDIK
"Vor fast 2½ Jahren hatte ich die Ehre, die erste öffentliche Kundgebung des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands in diesem gleichen Saal im Namen und im Auftrage des Bundesvorstandes zu eröffnen. Wir standen damals unter dem unmittelbaren Eindruck des Zusammenbruches, der totalen Katastrophe, des totalen Endes, des totalen Verbrechens, das totalen Zusammenbruch bedeutete. Wir hatten uns zusammengefunden in dem Gedanken, dass ebenso notwendig wie das Aufräumen der Straßen und Städte auch das Aufräumen der Geister war. Wir waren uns darüber klar, dass nur auf der Grundlage einer geistigen Kulturerneuerung die Möglichkeit bestand, das deutsche Volk in eine wahrhafte Demokratie hin. einzuführen.

Wir waren uns ebenfalls darüber klar, dass dies nicht etwa eine Angelegenheit von Wilmersdorf oder Tempelhof sein konnte, sondern dass es eine Angelegenheit Deutschlands war. Und so war alles, was wir taten, darauf gerichtet, dass eine deutsche Entwicklung entstehen müsse, eine geistige und kulturelle Entwicklung des Aufbaues. Heute, nach 2½ Jahren, spreche ich vielleicht wieder zu den gleichen Teilnehmern der damaligen öffentlichen Kundgebung des Kulturbundes.

Eine Berliner Tageszeitung hat geglaubt, uns ein schlechtes Gewissen vorwerfen zu müssen. Die Redakteure und die Mitarbeiter dieser Tageszeitung mögen vieles, wenn nicht alles besser wissen als wir. Aber unser Gewissen, das kennen wir besser. Unser Gewissen ist rein. Es wäre für uns das beste Ruhekissen, wenn wir gesonnen wären, uns schlafen zu legen. Wir haben nicht die Absicht, es zu tun. Ganz im Gegenteil! Gerade die Vorgänge der letzten Zeit zeigen, dass wir noch wacher sein müssen als vorher.

Wenn ich hier auch mit etwas schmerzlichen Gefühlen sprechen muss, so spreche ich doch mit derselben Zuversicht und demselben Vertrauen wie vor 2½ Jahren. Wir sind verboten worden anscheinend wegen formaljuristischer Gründe. Wir dürfen daran keine Kritik üben, wir wollen daran keine Kritik üben. Aber es ist nicht vorstellbar, dass hier formale Gründe die Triebfeder sein sollten. Um dies zu verstehen, brauchen wir nur auf das zu sehen, was hier in 2½ Jahren geschehen ist.
Wir sind uns darüber klar gewesen, dass ein solcher geistiger Neuaufbau nur geschehen konnte auf der Grundlage: frei und unabhängig von jeder Parteipolitik. Nichts erscheint uns wichtiger, als auf der Basis des kulturellen Lebens sich ganz bewusst freizuhalten von jeder parteipolitischen Bindung. Wir können mit gutem und mit reinem Gewissen sagen: das haben wir durchgesetzt. Wir können das im Gegensatz zu unseren Gegnern mit unzähligen Fällen unwiderleglich beweisen. Den Beweis des Gegenteils ist man uns bis auf den heutigen Tag schuldig geblieben. Ich glaube, man hat nicht einmal den Versuch gemacht, einen solchen Beweis zu führen.

Wir haben in diesen 2½ Jahren eine außerordentliche Resonanz gefunden, wir haben sie in der Sowjetunion gefunden, in Amerika. Wir haben sogar eine besondere Resonanz in England gefunden. Und darum ist uns das Vorgehen der britischen Militärregierung besonders schmerzlich, weil wir gerade von der britischen Militärregierung nicht vermuten konnten, dass sie unserer Arbeit ein Hindernis in den Weg legen würde.

Blick in den Sendesaal Berlin | Foto: Kulturbund

Um die Schwere dieser Frage zu verstehen, muss man sich ganz kurz unser Programm vorstellen:
Zum ersten - Menschlichkeit, die nicht zuerst einen Anspruch stellt, sondern Menschlichkeit, die bereit ist, jedem anderen, welcher Rasse, welcher Farbe, welchen Glaubens und welcher Klasse er auch sei, menschlich gegenüberzutreten. Daraus glauben wir den Anspruch erheben zu können, dass man auch uns gegenüber menschlich ist.
Zweitens Freiheit! Nicht die zügellose Freiheit, sondern Freiheit, die ihre Beschränkung da erkennt, wo sie die Freiheit des anderen zu achten und zu respektieren hat.
Das Dritte aber ist das größte. Ohne dieses Dritte gibt es weder Menschlichkeit noch Freiheit. Das Dritte ist der Frieden!

Und auch Frieden für uns können wir nur dann beanspruchen, wenn wir die Bereitschaft zum Frieden nicht nur durch Worte, sondern auch durch Taten erkennen lassen. Es ist vielleicht nichts notwendiger, als dass Deutschland, das deutsche Volk, eine Garantie schaffe, im Gegensatz zu der Vergangenheit ein Volk des Friedens, ein Volk mit der Welt und in der Welt zu werden. Und darum stelle ich an den Anfang dieser Veranstaltung die Frage: Warum wird eine Organisation, deren Ziel und deren Programm in den drei Begriffen: Menschlichkeit, Freiheit, Frieden ganz klar umrissen ist, verboten?
Warum hindert man uns in unserer Arbeit? Ich frage nur: Warum?"

Die abschließende Erklärung hatte folgenden Wortlaut:

„Die im Großen Sendesaal des Berliner Rundfunkhauses zahlreich versammelten Vertreter des Berliner geistigen Lebens erheben feierlich Protest vor der deutschen und der internationalen demokratischen
Öffentlichkeit gegen das Verbot des Kulturbundes im amerikanischen und englischen Sektor von Berlin.
Dieses erste Verbot einer großen demokratischen Organisation muss sich gegen die Demokratisierung Deutschlands auswirken, die von den Vereinten Nationen am Ende des Krieges als die entschiedene Aufgabe zur Sicherung des Friedens erklärt wurde.
Dieses Verbot ist ein Schritt zur weiteren Aufspaltung des kulturellen und nationalen Lebens unseres Volkes. Die im Berliner Funkhaus Versammelten bitten den Alliierten Kontrollrat und die Londoner Außenministerkonferenz, den Berlinern zu gestatten, dass sie einer einheitlichen demokratischen Kulturorganisation als Mitglieder angehören dürfen.
Die Versammelten erklären sich gegen alle geistigen, wirtschaftlichen und politischen Sektoren- und Zonengrenzen, sie erneuern ihr Bekenntnis zur Einheit Deutschlands, in der auch dem Kulturbund die notwendige Freiheit zu seiner Betätigung gegeben werden soll.
Die Versammelten wenden sich an alle geistig interessierten Menschen Berlins und fordern sie auf, dem großen Werk der demokratischen kulturellen Erneuerung Deutschlands weiterhin ihre Kraft zu leihen und ihm immer neue Kräfte zu gewinnen." 
Zitatende

Fortsetzung unter diesem Link "Kunststadt-MH.de"

Autor:

Alexander Ivo Franz aus Mülheim an der Ruhr

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