Weihnachten um1950
Sehr gut erinnere mich an die Zeit, als rundum in der ganzen Umgebung noch Häuser und Grundstücke mit Trümmern und Ruinen zu unserem gewohnten Anblick gehörten.
Wir waren geboren in der letzten Kriegszeit und kannten es nicht anders. Daher war es auch normal dass wir auf verwilderten Grundstücken und Wiesengeländen auf Bunkern fangen oder verstecken und die Jungs mit wahrer Leidenschaft Räuber und Gendarm spielten. Zugeschneit bekam selbst diese etwas grotesk anmutende Kulisse einen etwas geheimnisvollen Zauber.
Nun war schon der vierte Advent vorbei und alle freuten sich auf Weihnachten. Es war ein großer Gegensatz zu den heutigen Weihnachtsfesten, und besonders zu den Wünschen die von den Kindern geäußert wurden. Die Geschäfte lockten auch mit schön geschmückten vielfältigen Auslagen, aber das Angebot war durchaus sehr bescheiden. Etwas dämmrige Beleuchtung, ein paar Strohsterne, kleine Engelchen und wenige bunte Kugeln verbreiteten oft mehr Zauber als die große Überflutung die heute stattfindet und den wahren Sinn des Festes oft vergessen macht.
Natürlich wurden auch Wunschzettel diktiert oder von den Größeren geschrieben, aber die Wünsche sahen doch ganz anders aus.
Für mich war es immer ein untrügliches Zeichen dass das Fest nahte,
wenn ich morgens aufwachte und meine heiß geliebte Puppe nicht mehr im Puppenwagen lag. Niemand verstand warum ich diese - wie alle fanden - hässliche Puppe so liebte. Dabei hatte meine Mutti mir diese Puppe nur beschaffen können, weil sie diese gegen ein selbst genähtes Jackenkleid eintauschen konnte. Das allerdings erfuhr ich erst viele Jahre später.
Diese Puppe hatte einen mit Sägespänen gestopften Körper, und ein starr wirkendes, und daher nicht sehr lebendiges Gesicht mit aufgemalten Haaren. Für mich aber war Monika – so hieß das gute Stück – das Liebste das ich hatte.
Ja, wunderschön fand ich all diese kleinen Geheimnisse und Heimlichkeiten, die doch auch versprachen dass es eine kleine Überraschung geben würde. Manchmal lag am Morgen ein kleines Silberfädchen irgendwo das mir sagte dass das Christkind wohl den Wunschzettel abgeholt haben musste. Wenn man ganz viel Glück hatte, dann lag auch mal ein kleines Stückchen Schokolade in buntes Papier gehüllt da anstelle des Wunschzettels.
Das steigerte die Spannung schon oft ins Unermessliche, und es fiel schwer die Zeit abzuwarten bis denn der Hl. Abend da sein würde. Wenn der Himmel sich gegen Abend rötlich färbte hieß es: „Das Christkind und die Engelchen backen nun Plätzchen.“ War das aufregend!
Schon wurde die Phantasie zu den unvorstellbarsten Bildern animiert, was denn da sonst alles passieren würde. Komisch, manchmal duftete es am nächsten Morgen dann auch bei uns in der Küche so als hätte das Christkind mal eben ein paar der Leckereien vorbeigebracht.
Das hat sich natürlich irgendwann geändert und ich war mit Feuereifer beim Backen der Plätzchen dabei, wenn auch schon vom Teig mehr in meinen Bauch wanderte als ich je auf das Backblech gebracht habe. Selbst die regelmäßig wiederkehrenden Bauchschmerzen konnten mich vom Naschen nicht abbringen. Dann durfte ich die duftenden Kekse mit Zuckerguss und buntem Streusel verzieren, das war wirklich eine tolle und für mich spannende und aufregende Sache, der ich mich mit Feuereifer widmete.
Klar hatte ich damals auch Wünsche zu Weihnachten. Kleine Wünsche konnten schon geäußert werden, aber in der Hauptsache gab es Dinge die man nötig brauchte, weil man im letzten Jahr wieder ein gutes Stück gewachsen war.
So wählte man dann schon sehr sorgfältig und mit Bedacht was man denn unbedingt gerne hätte und sich sehnsüchtig wünschte.
So standen dann ein Puppenkleid, ein kleines Buch oder besonders schöne geringelte bunte Strümpfe ganz oben auf der Liste. Die bange Frage kam schnell hinterher: Hatte das Christkind so viel Geld, es musste ja so viele Kinder beschenken? Lieber noch mal überlegen ob es etwas gab was einem doch noch wichtiger gewesen wäre. Vielleicht doch lieber ein kleines Köfferchen um Puppendoktor spielen zu können? Das waren schwere Entscheidungen für uns Kinder damals, aber die Vorfreude auf das Fest und alles was damit zu tun hatte brachte genug aufgeregte Stimmung.
Verwandte würden kommen, das gute Porzellan würde auf dem Tisch stehen das nur an Weihnachten aus dem Schrank geholt wurde, und die
Oma, die weit weg über den Rhein wohnte und der Patenonkel würden kommen, bei uns übernachten und auch die Christmette mit uns gemeinsam besuchen. Der Gedanke daran ließ die Augen leuchten, das ganze Gesicht fröhlich strahlen.
Eine herrliche Vorstellung sah ich vor meinem geistigen Auge: ein schön geschmückter Weihnachtsbaum der wieder auf der alten Singer-Nähmaschine in der Ecke stehen würde. Wie immer würde er mit vielen warm flackernden Kerzen, silbernen Kugeln, passendem Lametta das wie eine Girlande über die Arme des Baumes gelegt sein würde, und fröhlich Funken sprühenden Wunderkerzen geschmückt sein. Daneben würde ich stehen, strahlend über das friedliche und schöne Bild das alles so warm und festlich erscheinen ließ.
Ach ja, es wurde auch Zeit wieder ein Gedicht zu lernen, denn es war Tradition dass ich irgendwann einen matten Lichtschein unter der Türe sehen, dann ins festliche Weihnachtszimmer gerufen würde, und zuerst ein Gedicht aufsagte ehe man gemeinsam feierlich Weihnachtslieder singen würde und ich ungeduldig auf die Bescherung warten müsste.
Noch einmal schlafen, dann würde ich meine Großmutter und den Patenonkel aus dem damals für mich unendlich weit entfernten Ort am Rhein wiedersehen. In der Tat war es nicht so einfach damals über die Rheinbrücke zu kommen, denn viele Verkehrsmittel gab es zu der Zeit nicht, die es einem so angenehm und schön bequem gemacht hätten seine Lieben oft zu besuchen. Auto, Telefon und Handy waren zu der Zeit undenkbar. Aber zu Weihnachten, dem Fest von Christi Geburt, das auch ein Fest der Familie war, wurde das Wiedersehen auf jeden Fall möglich gemacht.
Eine unruhige Nacht mit vielen wunderschönen Vorstellungen und phantastischen Gedanken, erfüllt von großer Freude ging endlich vorüber. Der Tag war gekommen, und ich kann kaum sagen wie schrecklich es war die Stunde bis zum Wiedersehen und erst recht zum Hl. Abend zu überstehen, ohne furchtbar ungeduldig zu werden.
Endlich, nach schier unendlicher Wartezeit klingelte es stürmisch an der Tür und ich flog erst der Oma, dann dem Patenonkel in die Arme, und hatte so viel auf einmal zu fragen und zu erzählen, dass ich gar nicht alles schnell genug heraus plappern konnte. Ach war das schön sie wieder für einige Tage hier bei uns zu haben. Oma konnte tolle Geschichten erzählen, und mein Onkel war für mich sowie der Allerbeste.
Es war immer ein wenig eng da es nur ein Schlafzimmer und eine Wohnküche gab, aber das war überhaupt kein Problem. Die Lieben waren da und da wurde schon irgendwie Platz geschaffen, indem man einfach näher zusammenrückte.
Natürlich wurde nun auch zwischen den Erwachsenen fleißig getuschelt und alles schien noch geheimnisvoller zu werden, aber es war sooo schön dass sie zum Fest bei uns sein und wir alle gemeinsam feiern konnten.
Ich wurde mit meinem Patenonkel auf die Rodelbahn geschickt, was mir ungeheuer viel Spaß und die Wartezeit erträglicher machte weil ich so recht gut abgelenkt war. Als dann die Gaslaternen überall angezündet wurden, marschierten wir beide mit hochroten Wangen vom Toben im Schnee wieder heim. Heute weiß ich, dass in der Zeit zu Hause alles gut vorbereitet und für den HL. Abend gerichtet wurde.
Die Zeit bis zur Bescherung würde ich allerdings oben bei den Nachbarn verbringen die auch eine Tochter und einen Sohn hatten die allerdings älter waren, und mich mit Spielen nochmals ablenkten.
Daaa, was war das? Hörte ich da recht, war das ein Glöckchen gewesen das da gerade geklingelt hatte? Ich lauschte ganz still und andächtig, um ja sicher zu gehen dass ich mich nicht verhört sondern das Silberglöckchen des Christkindes gehört hatte. Da hörte ich aber den Papa und die Mutti schon rufen: „ Evchen komm schnell, das Christkind war da!“
Ich stürmte die Treppe hinunter und blieb fast andächtig an der Wohnungstür stehen. Warmer Lichtschein strahlte mir entgegen, ein Weihnachtsbaum im schönsten Kleid das man sich nur denken kann. Flackernde echte Wachskerzen, Silberkugeln, Engelchen mit Trompeten und Harfen, Silberlametta und ganz viel Engelshaar hüllten den Baum in einen geheimnisvollen Zauber.
Sprachlos vor Staunen und Freude verharrte ich auf der Schwelle, ehe mich Mutti langsam ins Zimmer schob, direkt zu dem wunderbar mild und warm schimmernden Baum.
Papa drückte mir eine Wunderkerze in die Hand und zündete sie an, für mich das Zeichen dass es Zeit würde mein Gedicht auf zu sagen. Brav und ganz ernsthaft machte ich das auch, innerlich vor Aufregung aber fast zerspringend.
Ich blickte nur in strahlende Gesichter, diese besondere Stimmung hatte immer etwas ganz besonders Friedliches, erfüllte wohl alle Herzen mit Freude, Liebe und Frieden.
Alle wünschten sich frohe Weihnachten und stimmten die üblichen Lieder an, die ich zwar auch gerne mitsang, aber die Ungeduld in mir ließ mich fast zerspringen.
Endlich, nach einer kleinen Ewigkeit wie mir schien war aber auch das vorbei. Nun durften die Geschenke ausgepackt werden. Meine Mutter dirigierte mich in eine Ecke des Zimmers, wo ein funkelnagelneuer Puppenwagen stand mit einer wunderschönen Babypuppe in einem herrlichen von Mutti genähten Taufkleidchen mit passendem Häubchen darin, wie ich sie immer schon hatte haben wollen. Das registrierte ich auch mit Freude und bedankte mich artig, machte mich aber nicht richtig froh. Ich hatte nur den Wunsch, meine alte Puppe Monika endlich wieder zu sehen die einfach für mich unentbehrlich war. Eine große Liebe eben, auch wenn niemand verstand warum ich ausgerechnet an diesem Strohbalg so hing. Plötzlich jedoch hatte ich sie entdeckt. Mutti hatte sie etwas neben dem Sessel versteckt damit ich erst die neue Puppe mitsamt dem Puppenwagen sehen würde. Mit einem lauten Jubelschrei stürzte ich mich auf mein geliebtes altes Schätzchen, bewunderte ihr neues Kleidchen dass meine Mutter wieder in vielen Nächten genäht hatte, und die hübschen Strick- und Häkelsachen zum Anziehen an denen sie bestimmt manche Nacht gesessen hatte um mir eine Freude zu machen und die Puppe wieder etwas neuer und hübscher strahlen zu lassen.
„ Meine Monika, meine Monika,“ rief ich immer wieder voller Freude und Glück. Alle standen ein wenig enttäuscht und fassungslos um mich herum weil sie nicht begreifen konnten, warum ich mich nun nicht auf die neue Puppe und den schönen Puppenwagen so stürzte wie auf das alte Ding. So ist es aber nun mal mit einer großen Liebe; egal ob sie schön oder hässlich ist, man liebt sie einfach. Das war in diesem Falle nun einfach unübersehbar. Bei der Gelegenheit will ich hier gleich anmerken dass an einem der nächsten Weihnachten ich diese Puppe verzweifelt gesucht aber nie mehr gefunden habe. Das war ein schrecklich trauriges Weihnachten für mich, und nichts konnte mich über den Verlust hinwegtrösten. Die Enttäuschung saß zu tief.
Nun, an diesem Tag aber gab es nur glückliche Gesichter. Mein Vater packte die obligatorischen Socken von Oma aus, die selbst beim Socken-Stricken immer noch ein Buch auf dem Tisch liegen hatte und über den Brillenrand hinweg lesen konnte und dabei die herrlichsten und kompliziertesten Strickmuster ohne einen Fehler fabrizierte. Papa liebte die dicken warmen Socken immer sehr, Mutti bekam ein schönes Stück Seife, und Onkel Herbert ein gestricktes warmes Wämschen, das man heute Pullunder nennen würde. Auch ich bekam Socken von der Oma, dazu einen warmen Schal und von meinem Onkel einen neuen Holz - Schlitten.
So wurden ein paar Geschenke ausgetauscht die jeden erfreuten und recht zufrieden ausschauen ließen.
Natürlich hatte auch ich für jeden mit viel Eifer und Freude eine Kleinigkeit gebastelt, liebevoll verpackt und freute mich über die Freude der Großen. Sie freuten sich, lobten auch recht gut was ich da fabriziert hatte an Zeichnungen und kleinen Basteleien. Nachdem sich die erste Aufregung gelegt hatte, gingen wir zu Tisch und freuten uns auf den wundervollen Schweinebraten den es nur an diesem Tag gab.
Dann wurde es auch schon bald Zeit sich auf den Weg zur Kirche in die Christmette zu machen, was ich ganz besonders liebte. Gemeinsam stapften wir durch den weichen Schnee, den warmen Schal um den Hals geschlungen, und dem einladenden feierlichen Ton der tönenden Glocke folgend. Eine wunderbare Atmosphäre war das immer für mich, auch die festlich geschmückte Kirche schien anders als sonst, mit all den warm schimmernden Kerzen, den feierlichen Gesängen und der wundervollen Krippe am Altar.
Mit Freude, Frieden, Glück und Zufriedenheit im Herzen stapften wir später zurück in Richtung Zuhause, und lauschten dabei dem Bläserorchester, das in der Weihnachtsnacht immer feierliche Weihnachtslieder vom Kirch- und Rathausturm erklingen ließ. Glücklich und zufrieden aber todmüde fiel ich anschließend ins Bett, träumte weiter von all den schönen Dingen dieses Hl. Abends, allen kleinen Freuden und Überraschungen die man sich gegenseitig bereitet hatte. Im Traum malte ich mir aus, wie am morgigen Tag der Besuch auf der Dohne bei Onkel und Tante und meinen beiden Cousinen ausfallen würde. Dort würden wir alle gemeinsam hingehen, und auch unter dem Weihnachtsbaum sitzen und gemeinsam die schönen Weihnachtslieder singen, alle gemeinsam begleitet von Mundharmonikas und Gitarren. Eine große Freude erfüllte uns schon wenn wir daran dachten einfach so schön beieinander sein zu können.
Gerne denke ich zurück an diese Zeit; sie war still, besinnlich und feierlich, und schon ein kleines Geschenk machte sehr, sehr glücklich.
Autor:Evelyn Gossmann aus Mülheim an der Ruhr |
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