Kooperation mit dem Künstlerkollektiv Anagoor
Uraufführung von "Germania. Römischer Komplex" im Theater an der Ruhr

Bernhard Glose, Simone Thoma und Marco Menegoni (v.l.) berichten in der Uraufführung vom Leid des Andersdenkenden in der Uraufführung "Germania. Römischer Komplex". Roberto Ciulli obliegt es, sich direkt an das Publikum zu wenden. | Foto: Franziska Götzen
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  • Bernhard Glose, Simone Thoma und Marco Menegoni (v.l.) berichten in der Uraufführung vom Leid des Andersdenkenden in der Uraufführung "Germania. Römischer Komplex". Roberto Ciulli obliegt es, sich direkt an das Publikum zu wenden.
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Erst wenn man das Fremde im eigenen Innern erkennt, ist man in der Lage, das Fremde in anderen zu sehen, zu akzeptieren und zu respektieren. Wie ein roter Faden zieht sich diese Erkenntnis, die zugleich ein Appell ist, durch die Uraufführung von „Germania. Römischer Komplex“ im Theater an der Ruhr. Damit wird zugleich ein weiteres Kapitel der erfolgreichen Zusammenarbeit mit dem italienischen Künstlerkollektivs Anagoor geschrieben.

Eigentlich war die Uraufführung schon zu Beginn des letzten Jahres terminiert. Doch Corona machte den Akteuren einen Strich durch die Rechnung. „Wir waren mit dem Stück komplett fertig, alles passte und die Vorfreude war groß“, erinnern sich Regisseur Simone Derai und Dramaturgin Paola Barbon. Regisseur Derai spricht von einem Schiff, das bereit war, in See zu stechen.

Die „Besatzung“, neben Marco Menegoni von Anagoor auch Roberto Ciulli, Bernhard Glose und Simone Thoma vom Theater an der Ruhr, hatte viel Energie aufgebracht, die ein ganzes Jahr konserviert wurde. Jetzt steht der Stapellauf an.

Bild- und
sprachgewaltig

Die bild- und sprachgewaltige Aufführung der italienischen Performancegruppe Anagoor beeindruckt und berührt durch ihre gedankliche und ästhetische Konsequenz. Macht will vergessen, der Dichter will erinnern. Mit Texten von Durs Grünbein, Antonella Anedda, Frank Bidart und Tacitus im Gepäck begibt sich Simone Derai zum Knochenfeld der Varusschlacht. An den Ort, an dem für ihn die gemischten Gebeine der gefallenen Römer und Germanen von den gemeinsamen Geschicken derer berichten, die damals wie heute Ländergrenzen schützen oder überschreiten.

Der Ausgangspunkt von „Germania. Römischer Komplex“ ist Tacitus’ ethnographischer Bericht „Germania“, erschienen Ende des ersten Jahrhunderts nach Christus. Da hatte Tacitus zu Papier und zu Gehör gebracht, wie im Jahre 9 n. Chr. drei römische Legionen, angeführt vom Feldherren Varus, die Grenze nach Germanien überschritten.

Ihr Auftrag war es, die rechtsrheinischen Gebiete bis zur Elbe dem Römischen Reich einzuverleiben. Es kam jedoch anders als geplant. Die von Arminius alias Hermann der Cherusker angeführten germanischen Stämme vernichteten in der Varusschlacht im Teutoburger Wald die römischen Legionen. Der dem römischen Kaiser Augustus zugeschriebene Satz „Varus, Varus, gib mir meine Legionen wieder“ hat sich bis heute eingeprägt.

Tacitus und sein Werk werden nur untergeordnete Rolle spielen. „Wir haben seine Worte, seine Analytik in poetische Formen gegossen“, sagt Simone Deria im Gespräch mit der Mülheimer Woche und bringt zugleich den Kern der Inszenierung auf den Punkt: „Wir wollen zeigen, dass bis in die heutige Zeit Machtstreben und unterstellte Andersartigkeit zu schlimmen Auswüchsen geführt haben.“

Der Ursprung
allen Übels

Wenn es gelänge, diese Schranken in den Köpfen der Menschen aufzulösen, sei man schon einen gewaltigen Schritt weiter. Dass das nicht so einfach sei, beweisen gerade in diesen Tagen aktuelle politische Entwicklungen. Das Säbelrasseln könne zu unkontrollierbaren Reaktionen und Eskalationen führen.

Tacitus hatte die „Anderen“, die Germanen, als Grund der römischen Expansionspolitik ausgemacht. Die jedoch hatten sich gewehrt und ihrerseits die Römer als „Ursprung allen Übels“ gesehen. Eine Geschichte, die sich im Laufe von mehr als zwei Jahrtausenden mehrfach wiederholte.

Die Musik, mal laut, mal leise, mal einfühlsam, mal schrill, spielt in Derais Inszenierung keine untermalende Rolle, sondern eine prägende. Die Gebeine der Gefallenen in der Varusschlacht, scheinen so etwas wie die Tonträger des Leids zu sein, aus denen die Musik schallt.

Roberto Ciulli obliegt es in der Inszenierung, sich persönlich an das Publikum zu wenden, von seinen ganz persönlichen Anfangserfahrungen als Fremder in Deutschland zu berichten. Sehr emotional. Eingespielt wird zudem ein Video, aufgenommen von Schauspielern des Theaters an der Ruhr, in dem in den römischen Palast des Augustus „geschaltet“ wird. Dieser hält darin den ihm zugesandten abgetrennten Kopf des Varus in seinen Händen.

Warnung vor
Kopflosigkeit

Vor Kopflosigkeit warnt auch „Germania. Römischer Komplex“. Die Anagoor-Inszenierung hat es in sich. Der Uraufführung am Samstag, 5. Februar, folgen weitere Vorstellungen am Sonntag, 6. Februar, sowie am Wochenende 19. und 20. Februar. Karten gibt es unter Tel. 0208 / 599 01 88 sowie über die Homepage www.theater-an-der-ruhr.de.

Autor:

Reiner Terhorst aus Duisburg

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