Törchen Nummer 14
Jeden Tag öffnet sich im Lokalkompass-Adventskalender Mülheim ein Törchen. Hinter jedem Törchen versteckt sich ein Beitrag eines Lesers der Mülheimer Woche oder eines registrierten Mitgliedes des Lokalkompasses. Wir wünschen allen eine besinnliche und schöne Adventszeit!
Der Tisch
Der Tisch stand mitten im festlich geschmückten Wohnzimmer. Der Geruch von Tannenduft und Weihnachtsgebäck erfüllte den Raum. Hergestellt war er aus edlem Vollholz. Noch heute konnte er die kundigen Hände des Meisters auf seiner Oberfläche fühlen. Wie an ihm gesägt, geschliffen, gefeilt, poliert wurde. Allein bei diesem Gedanken rieselte ein wohliges Gefühl durch seine Adern. Bei der Frau, die ihn kaufte, war es Liebe auf den ersten Blick. Regelmäßig wurde er von ihr mit Möbelpolitur verwöhnt. Dieser herrliche Geruch nach Aprikosen, diese ölige, samtige Konsistenz, die auf ihm verrieben wurde. Damit er noch schöner, noch wertvoller, noch haltbarer wurde. An ihm wurde gegessen und getrunken, gelacht und gestritten. Sie liebten, achteten, brauchten ihn.
Wie sehr liebte er das Baby seiner Familie, das mit Vorliebe auf ihm gewindelt wurde. Zuerst diese weiche Babydecke, es war ein Gefühl, als könnte er damit das Kleine in seine schützenden Arme nehmen. Und dann das Baby, sicher auf seinem starken Rücken und zufrieden vor sich hin glucksend. Es waren für ihn unbeschreibliche Glücksmomente. Vielleicht liebte das Kind ihn ja auch. Er freute sich auch immer auf den Tag, an dem die Männer auf ihm Skat kloppten“. Für ihn war es eine Art Massage, wenn die Karten mit Schmackes auf seinem Tischrücken „abgelegt“ wurden.
Einmal wöchentlich wurde die Liste der zu erledigenden Hausarbeiten auf ihm ausgebreitet und besprochen. „Julia, diese Woche ist das Badezimmerputzen deine Aufgabe.“ Kreisch! „Warum immer ich, der Stefan hat fast gar keine Pflichten und ich muss immer alles machen.“ „Du hast noch gar nichts gemacht und ich bringe immer den Müll runter.“ Diese Litanei ließe sich noch endlos weitererzählen, aber unser Tisch wusste den Ausgang des Gesprächs. Deshalb konnte er sich behaglich zurücklehnen und entspannen. Alles blieb beim Alten und jeder war zufrieden.
Unser elitärer Tisch wurde selbstverständlich auch zum Hausaufgaben erledigen benutzt.
„Ich habe eine Eins in Geschichte.“
„Streber.“
„Mach du doch erst mal selber.“
„Will ich doch gar nicht.“
„Kannste doch gar nicht.“
Was sollte er dazu sagen, seine Kinder waren die nettesten und klügsten Kinder auf der Welt. Punkt.
Am ersten Weihnachtstag hatte sich seine geliebte Familie um ihn versammelt. Er strömte noch den angenehmen Geruch nach Aprikosen aus, und fühlte sich wohl in seiner gepflegten Haut. Doch was waren das für Reden, welche in seiner Anwesenheit geführt wurden? Das erste Mal wurde er stutzig, als ausgerechtet die Frau, die ihn so umsorgte das Wort „Verkauf“ in den Mund nahm.
Ein mulmiges Gefühl beschlich ihn. Was sollte verkauft werden? Hatte es doch immer mit Abschied und Verlust zu tun. Am liebsten hätte er sich die Ohren zugehalten. Er wollte es gar nicht wissen. Doch mit dem Ohrenzuhalten eines Tisches, ist es ja solch eine Sache. Also musste er sich dem Ungeheuerlichen stellen.
„Unser Tisch ist zu klein.“ „Ich möchte gerne einen Neuen.“
Ihm wurde übel. Er hatte es geahnt. Aussortiert, ausrangiert nach all den Jahren. Zwei Sätze, die sein ganzes Leben zunichte machten. So einfach geht das. Wohin sollte er entsorgt werden? Eventuell zu einer neuen Familie, welche ihn nur als Möbelstück sah und ihn auch dementsprechend behandelte? Abgeschoben in einen Möbelverkauf? Er weinte. Auf seine Weise.
Ich habe mich überbewertet. Hochmut kommt vor dem Fall. Seine ganze Weltanschauung, sein Innerstes, stellte er in Frage.
Aber vielleicht ……..?
Hoffnung machte sich in ihm breit. Sie mussten, mussten es einfach wissen.
Er war doch der Beste. Vollholz halt. Und den Schreibtisch, den konnte er noch nie leiden.
Foto und Beitrag von Petra Tollkötter
Autor:Regina Tempel aus Mülheim an der Ruhr |
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