Stadtarchiv mit Reihe Iudaica in Mülheim
Spannende Erinnerungen an Jüdisches Leben

Der Leiter des Stadtarchivs, Dr. Stefan Pätzold, hofft darauf, dass die Veranstaltungen in der Reihe Iudaica ab Juni live stattfinden können. | Foto: PR-Foto Köhring
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  • Der Leiter des Stadtarchivs, Dr. Stefan Pätzold, hofft darauf, dass die Veranstaltungen in der Reihe Iudaica ab Juni live stattfinden können.
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Mit mehr als 1000 Veranstaltungen wird 2021 in Deutschland an 1700 Jahre jüdisches Leben erinnert. Sieben Veranstaltungen, die das Stadtarchiv in seiner Reihe Iudaica beisteuert, beleuchten das jüdische Leben in Mülheim.

Den Auftakt der Reihe bestreitet der Leiter des Stadtarchivs und ausgewiesene Mittelalter-Historiker Stefan Pätzold mit seinem Vortrag "Juden in den Stadtrat!". Pätzold schlägt einen Bogen vom 321 erlassenen Dekret Kaiser Konstantins, das den Kölner Juden den Einzug in den Stadtrat gewährte bis zu den ersten urkundlichen Erwähnungen jüdischen Lebens in Mülheim. Im heutigen Mülheimer Stadtgebiet wurden nach seinen Recherchen erstmals 1508 jüdische Bürger belegt. In dem Dokument von 1508, so Pätzold, gehe es um eine jährliche Schutzabgabe von fünf Goldgulden, die die damals vor allem als Hausierer, Krämer und Handwerker in Mülheim lebenden und arbeitenden Juden an die Broicher Herrschaft entrichten mussten.

Pätzold weist darauf hin, dass es sich auch beim konstantinischen Dekret um eine Geldfrage gehandelt habe. Damals, so erklärt er, habe es in Köln an reichen Bürgern gemangelt, die sich eine Mitgliedschaft im Stadtrat leisten konnten. Denn im frühen Mittelalter hätten die Stadträte ihre Beschlüsse und deren Resultate auch selbst bezahlen müssen.

Wechselvolle Geschichte

Erst ab 1750 gab es in Mülheim auch eine Synagoge, die sich an der heutigen Ecke Schloßstraße/Friedrich-Ebert-Straße befand. Von den 12.000 Mülheimern des Jahres 1809 waren 193 jüdischen Glaubens. 1907 war die Jüdische Gemeinde so stark, dass sie sich einen repräsentativen Synagogenbau am damaligen Viktoriaplatz leisten konnte. Diesen Bau würdigte die Mülheimer Lokalpresse damals als "Zierde unserer Stadt." Doch nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde auch in Mülheim der Antisemitismus zur Staatsdoktrin. Jüdische Beamte wurden entlassen. Jüdische Kaufleute wurden boykottiert. Jüdische Bürger wurden aus Vereinen ausgeschlossen. Jüdische Unternehmer wurden von städtischen Aufträgen ausgeschlossen. In der Reichspogromnacht ging auch die Mülheimer Synagoge in Flammen auf. Jüdische Bürger wurden in sogenannten Judenhäusern interniert und ab 1941 in die Vernichtungslager deportiert. Rund 270 jüdische Mülheimer fielen dem Holocaust zum Opfer. 1933 hatten noch rund 650 Menschen zur jüdischen Gemeinde in Mülheim gezählt.

Nicht wenige waren auch in Sportvereinen aktiv und als Sportler erfolgreich. Ihren Lebens- und Leidensweg zwischen Assimilation und Ausgrenzung skizziert der Vortrag des Dortmunder Sport-Historikers Dr. Henry Wahlig, der am 28. Oktober im Haus der Stadtgeschichte an der Von-Graefe-Straße zu Gast sein wird.

Ältestes Denkmal jüdischen Lebens

Auf das älteste, noch existierende Denkmal, jüdischen Lebens in Mülheim, blickt die Essener Historikerin Nathanja Hüttenmeister, wenn sie am 24. Juni, 16 Uhr, mit einer Führung über den 1750 angelegten Jüdischen Friedhof an der Gracht und einem um 18 Uhr anschließenden Vortrag im Haus der Stadtgeschichte, die jüdische Friedhofskultur im Allgemeinen und die Geschichte des Mülheimer Friedhofs im Besonderen beleuchtet. Im Gegensatz zur christlichen Kultur kennt die jüdische Kultur bis heute ausschließlich Erdbestattungen.

Ausstellung antijüdische Postkarten  

Dass der Antisemitismus in Deutschland nicht erst 1933 mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten begann, zeigt eine Präsentation der Bundeszentrale für politische Bildung, die vom 14. Juni bis zum 31. August im Foyer des Hauses der Stadtgeschichte antijüdische Postkarten zeigt, die vor dem Ersten Weltkrieg im damaligen deutschen Kaiserreich abgeschickt und abgestempelt wurden. Vor allem in rechten bürgerlichen Kreisen war der Antisemitismus vor 1914 weit verbreitet, obwohl die jüdische Bevölkerung, die einen Anteil von unter einem Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachte, gesellschaftlich gut integriert und ausgesprochen staatstreu war. 

Seit 2004 werden auch in Mülheim Stolpersteine des Kölner Künstlers Gunter Demnig verlegt, die unter anderem an die jüdischen Opfer des NS-Regimes erinnern. Einige von ihnen werden am 3. September ab 16 Uhr Ziel eines von Anne Kebben geführten Stadtrundgangs sein.

Vorträge im Netz zu sehen

Zum Abschluss der Reihe Iudaica, deren Veranstaltungen zurzeit alle unter dem Corona-Vorbehalt stehen, stellt der Mülheimer Kunsthistoriker Dr. Gerhard Ribbrock am 11. November den jüdischen Maler Arthur Kaufmann vor. 1888 in Mülheim geboren, floh er 1933 vor den Nationalsozialisten zunächst in die Niederlande und 1936 in die USA. Eines seiner Hauptwerke - "Die geistige Emigration" befindet sich heute im Bestand des städtischen Kunstmuseums.

Ausstellung unter Schutzbedingungen sehen

Alle Vortragsveranstaltungen im Haus der Stadtgeschichte beginnen, so sie den Corona-bedingt stattfinden können, jeweils donnerstags um 18 Uhr. Auch die Postkarten-Präsentation der Bundeszentrale für politische Bildung steht aus platz- und organisationstechnischen Gründen unter Corona-Vorbehalt. Die Vorträge sollen aber, wie alle Vorträge in der Reihe zur Mülheimer Geschichte als Video aufgezeichnet und im Internet Interessierten zugänglich gemacht werden. Weitere Informationen zum Thema findet man im Internet unter: www.stadtarchiv-mh.de oder telefonisch unter der Rufnummer: 0208-4554260.

Zum Stadtarchiv

Der Leiter des Stadtarchivs, Dr. Stefan Pätzold, hofft darauf, dass die Veranstaltungen in der Reihe Iudaica ab Juni live stattfinden können. | Foto: PR-Foto Köhring
Der Jüdische Friedhof an der Gracht ist das älteste Denkmal jüdischen Lebens in Mülheim. | Foto: Stadtarchiv Mülheim
Autor:

Thomas Emons aus Mülheim an der Ruhr

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