Interview mit dem Mülheimer Kabarettisten
René Steinberg: "Humor stutzt die Mächtigen auf Menschenmaß zurecht"
Mit seinem neuen Programm "Freuwillige vor - jetzt erst recht" ist der Mülheimer Comedian und Kabarettist René Steinberg aktuell auf Tour. Am 19. März macht er auch Station in der Heimat. Im Interview sprach der 48-Jährige über das Lachen als Mittel, das Ruhrgebiet - und Dirty Dancing.
In einer Ankündigung von Juni 2020 heißt es „Kabarettist René Steinberg blickt auf die Zeit nach der Pandemie“ – kann man als Untertitel fast immer noch so stehen lassen, oder?
René Steinberg: Ja, das war damals ein Neuaufschlag, wenn es wieder losgeht. Da hatte ich in einem kühnen Moment gesagt, dann mache ich aber ein komplett neues Programm. Da waren wir in der Stadthalle tatsächlich damals mit 50 Leuten. Unter anderem saß aber im Publikum Marc Buchholz, der damalige OB-Kandidat. Und ich hatte eine Nummer im Programm über Mülheim gemacht, wo er auch drin vorkam. Und irgendwie sind wir am Ende damit auseinander gegangen, dass wir irgendwann mal auf der Bühne die Hebefigur aus Dirty Dancing machen.
Mit Marc Buchholz?
Ja, wir wissen aber noch nicht, wer oben und wer unten ist. Ich spreche ihn immer wieder drauf an, es ist aber immer noch ergebnisoffen.
"Eine positive Einstellung hilft wirklich"
Das Programm startete schon 2019 und Sie haben jetzt quasi ein Update herausgebracht, worum wird es inhaltlich gehen?
Von diesem Spezialprogramm ist Einiges wieder eingeflossen. 2019 habe ich das Programm angefangen und da gab es auch schon den roten Faden, dass wir weniger Wut und weniger Empörung brauchen, sondern doch uns vielleicht die Frage stellen, wie gehen wir zielorientiert mit Phänomenen um? Dann hilft eine positive Einstellung tatsächlich. Was nutzt es mir, wenn ich nur meckere? Es gibt einen Spruch in dem Programm: „Wenn meckern was bringen würde, hätten Ziegen längst Nobelpreise gewonnen.“ Das scheint es ja nicht zu sein, also muss es etwas anderes sein.
Das heißt, es ist inhaltlich wenig von der damaligen Version übriggeblieben?
Es ist wenig von dem da, was bei der Premiere gespielt wurde. Zwei Nummern musste ich rausschmeißen. Da bin ich ins Publikum gegangen, das fiel weg. Der neue Untertitel „jetzt erst recht“ – kann man sagen – ist ein Kommentar. Es soll nicht um Corona gehen. Da haben die Leute wirklich die Nase nachvollziehbarerweise voll – und ich auch. Es soll darum gehen, nach vorne zu blicken. Und das natürlich mit viel Spaß und Lachen. Das ist ja auch für mich das Spannende, wie man einen Saal bewegt bekommt und dann auch nochmal die ein oder andere Haltung transportiert. Die Haltung darf aber nicht vorgeschrieben sein, sondern es muss unglaublich viel Spaß dabei sein.
"Lachen und Freude ist für mich mehr denn je gefragt"
Mit dem Untertitel unterstreichen Sie also ihren Eindruck, dass die Menschen nach den schwierigen zwei Jahren jetzt erst recht wieder lachen wollen?
Genau das ist damit gemeint, dass wir Freude und Fröhlichkeit jetzt erst recht wollen und brauchen und dass es auch jetzt erst Recht ein Mittel ist.
Und das bleibt auch nach den Vorkommnissen der letzten Woche so?
Gutes Thema. Ich kann jeden verstehen, der sagt, dass es sich nicht richtig anfühlt. Ich für mich würde sagen: jetzt erst noch rechter (lacht). Obwohl, das ist ein komischer Ausdruck. Also jetzt noch mehr! Ich merke das auch, dass ich auch aus meinem Impuls heraus bei Social Media noch mehr mache. Wenn ich sage, dass ich für das Wort bin, dann muss ich doch gerade jetzt das Wort nach vorne stellen und damit eine Kraft entwickeln. Lachen und Freude ist für mich mehr denn je gefragt. Kurioserweise habe ich tatsächlich im Programm schon seit Längerem eine Stelle, wo ich russische Aktivistinnen zitiere, die sagen, dass Humor ein Mittel zur Demokratisierung ist. Und das setzt natürlich jetzt total auf. Humor stutzt die Mächtigen auf Menschenmaß zurecht.
"50 Leute in der Stadthalle? Das war ein schöner Abend!"
Wie haben Sie als Künstler die Zeit seit 2020 erlebt? Hat sich in der schwierigen Phase vielleicht sogar etwas verbessert?
Naja verbessert? Das wäre wirklich beschönigend, das zu sagen. Denn die gesamte Veranstaltungsbranche hat unglaublich gelitten, sowohl mental als auch im Hinblick auf Einzelschicksale. Im schlechten Managersprech würde man sagen es ist ein Gamechanger, weil es Vieles hinterfragt. Man kann sich fragen: Was hat es genutzt? Ich schaue ja immer gemäß meines Ansatzes, was ich verändern kann. So sage ich immer, dass die letzten zwei Jahre eine berufliche Weiterbildungsmaßnahme waren. Ich habe viel gelernt. Ich habe gesagt, dass ich alles spiele, weil ich raus will zu den Leuten. Da waren skurrile Auftritte dabei. 50 Leute in der Stadthalle - da hätte ich früher gesagt: nein, geht nicht. Jetzt war es ein schöner Abend. Man nimmt es nicht nur mit, sondern erlebt es sogar ganz anders. Die Symbiose zum Publikum ist eine stärkere geworden. Da kriege ich glänzende Augen, wenn ich bedenke, was ich in letzter Zeit erlebt habe. Da ist so viel Lust auf Lachen dabei.
Ist das ein kurzfristiges Phänomen oder kann sich das als neuer Normalzustand erweisen?
Ich würde generell allen raten, jetzt in die Häuser zu gehen. Das ist echt was Besonderes, was gerade passiert. Möglicherweise wird es sich ausschleichen aber die Erinnerung bleibt ja. Ich weiß nicht, ob das Publikum immer so euphorisch reagieren wird, wie es jetzt momentan der Fall ist. Ich werde mich aber immer dran erinnern.
Insider funktionieren beim Heimspiel am besten
Am 19. März kommen Sie mit „Freuwillige vor“ auch nach Mülheim. Ist das Heimspiel nach wie vor etwas Besonderes?
Absolut, klar! Weil viele bekannte Gesichter im Publikum sitzen, die man ja auch in den Wochen danach wieder sieht. Da kriegt man das Feedback noch über einen längeren Zeitraum und ist noch ein bisschen angespannter. Es ist sehr schön, aber auch ungewohnt. Du guckst ins Publikum und siehst plötzlich Nachbarn oder Schulfreunde. Und natürlich kommt auch der ein oder andere Insider-Scherz bei einem Heimspiel umso schöner. 2019 habe ich beim Weihnachtsprogramm zum Beispiel gesagt, dass bei uns nicht der Coca-Cola-Truck kommt, sondern dass wir darauf warten, dass die Queen Mary in unseren Stadthafen einfährt. Da gab es aber ein großes Hallo, während sich der Bottroper denkt: Was meint der jetzt?
Corona wird also ausgeklammert. Worauf dürfen sich die Mülheimer stattdessen freuen?
Corona ist quasi der Subtext. Wenn wir das als Zäsur betrachten: Wie geht es jetzt nach vorne? Im Grunde ist es auch diese Geschichte, Freude und Fröhlichkeit nicht als rosarote Brille, sondern als Mittel zu verstehen. Es gibt ja auch viele Beispiel, zum Beispiel bei der Erziehung von Kindern. Schimpfen bringt nicht so viel wie andere Mittel. Zum Beispiel, wenn die Kinder in einer hormonellen Umbauphase sind, kann man mit Peinlich-sein sehr viel mehr bezwecken und selbst aber auch unheimlich großen Spaß dabei haben. Oder im Supermarkt. Wenn da doch wieder irgendwelche Maskenverweigerer-Heinis auftauchen. Anschreien bringt nichts, aber denen einfach mal übers Köpfchen streicheln. Ich möchte stärken, dass Humor auch eine Waffe sein kann. Wir brauchen mehr Pippi Langstrumpf – eine Gallionsfigur für das, was ich meine, weil sie autonom unterwegs ist.
Planungen für ein Ruhrgebietsprogramm laufen
Parallel läuft auch noch ein zweites Programm mit „Doc Esser“ zusammen ..
Das hat sich durch Zufall ergeben. Wir haben uns bei Steffi Neu kennen gelernt und verstehen uns ganz gut, so dass wir aus einer Schnapsidee heraus gesagt haben: wir machen mal was zusammen. Wie kommen jetzt der Arzt und der Humorist zusammen? Weil wir beide den Menschen betrachten – nur von sehr unterschiedlichen Seiten aus. So arbeiten wir uns dann vor, dass ich sage „Lachen ist gesund“ und er aus medizinischer Sicht aber auch erklärt, warum. Er kommt mit Studien über Hormonausschüttungen und so weiter. Mein Thema ist ja dieses Bei-sich-sein und er kommt dann mit der medizinischen Sichtweise von dem heute sehr modernen Begriff Achtsamkeit. Das Humoristische bekommt dadurch die medizinische Begründung und Legitimation.
Gibt es schon Ideen für weitere Projekte?
Ja, das kann ich ja schonmal antriggern. Das ist auch vielleicht ein bisschen ein Zeichen der Zeit, dass man nicht immer nur das eine Programm macht und dann das nächste, man kann ja auch kleine Teilprojekte machen. Da kann ich es ja schonmal ankündigen, dass ich gerade ein Ruhrgebietsprogramm mache. Auch da soll es um die Zukunft gehen. Mir als totalem Ruhrgebiets-Fan – man kriegt mich hier bestimmt nicht mehr weg – ist es aber wichtig, sich ein bisschen freizuschaufeln von diesen folkloristischen Inhalten. Büdchen, Kittelschürzen, Taubenvatter – es ist ja einfach nicht mehr so. Unsere Realitäten sind andere. Die Kohle ist weg. Die Bergleute haben uns unglaublich etwas hinterlassen aber man muss auch hinterfragen, auf welche Kosten. Es war Raubbau an Mensch und Natur. Aber dadurch haben wir jetzt einfach Skills. Und da ist es für mich vor allem dieser Menschenschlag, der dadurch geformt wurde, der ist ja unfassbar, unbezahlbar und ganz großartig. Aber was machen wir damit? Diese Folklore, die ich ein bisschen kritisch beäuge, die fußt ja auf einer Entwicklung, die ein bisschen mehr als 100 Jahre alt ist. Das ist ja so eine rasante Entwicklung, das zeigt: Wenn wir eines können, ist das Entwicklung. Und dann möchte ich einfach mal ein paar Vorschläge machen, wohin es vielleicht gehen kann. Und ob man es nicht einfach mal schön machen könnte. Das wäre doch mal was.
Autor:Marcel Dronia aus Mülheim an der Ruhr | |
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