Glitzerwelt und Lebensgeschichten Obdachloser
Mülheims Dezernentin Dr. Daniela Grobe eröffnete kritisches Ausstellungserlebnis in Mülheim
Der erste Samstag im Monat Juni 2023 konnte in der gesamten Stadt Mülheim an der Ruhr mit Erfolg gefeiert werden. Zu den gut besuchten Events gehörte auch die Eröffnung der aktuellen Doppelausstellung "Coming Home" von Margarete Rettkowski-Felten und "Dellplatz - place of being" von Ute Huck in der Ruhr Gallery. Eine eindrucksvolle Rede der Mülheimer Dezernentin Gesundheit, Soziales und Kultur Dr. Daniela Grobe kam so gut an, dass wir sie an dieser Stelle ungekürzt veröffentlichen.
Schau läuft noch bis 25. Juni 2023
Die Schau der beiden Ausnahmekünstlerinnen ist noch bis zum 25. Juni 2023 in der Ruhrstraße 3 in der Stadtmitte zu sehen und soll auch dazu anregen, sich mit weitergehenden Aktionen zu beteiligen. Kuratoren der Schau sind Michaela Jordan (Auswahl und Arrangement) und Gesamtmanagement Klaus Wiesel.
Besuchzeiten sind immer FR 16-18 Uhr - SA + SO von 14-17 Uhr - Eintritt und Parken frei!
Zur Einführung in die Ausstellung
Rede Dr. Daniela Grobe:
"Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kunstliebhaber*innen und Freunde der RUHR GALLERY,
ich freue mich sehr, heute hier bei der Eröffnung der Ausstellungen "Coming Home" von Margarete Rettkowski-Felten und "Dellplatz – place of being" von Ute Huck zu sprechen und bedanke mich herzlich bei Ivo Franz für die Einladung.
Das Jahresthema der RUHR GALLERY heißt ja "Home sweet (at) Home in Europe" und berührt damit – neben vielen anderen denkbare Fragestellungen aus dem Bereich der aktuellen Asyl- und Migrationspolitik - eine Frage, die uns alle ganz unmittelbar betrifft: Die Frage nach dem Wohnen, nach dem Zuhause sein und nach dem Dazugehören.
Gerade in ihrer Unterschiedlichkeit zeigen die beiden Ausstellungen, die wir heute eröffnen, nochmal ganz deutlich, wie facettenreich dieses Thema ist.
Ute Huck zeigt in ihrer Ausstellung "Dellplatz – place of being" eine malerische und zeichnerische Annäherung an den Dellplatz in Duisburg. Der Dellplatz ist ein zentraler Platz in der Innenstadt von Duisburg.
Der Platz wurde in den 1980er Jahren komplett umgestaltet und ist heute ein wichtiger Knotenpunkt, an dem mehrere Straßen und öffentliche Verkehrsmittel zusammenlaufen –
er ist aber vor allem mit den Brauhaus Webster, mit dem Filmforum Duisburg, dem ältesten kommunalen Kino Deutschlands, dem Kleinkunsttheater „Die Säule“, wenn auch ein wenig „um die Ecke“ in der Goldstraße gelegen, aber zum Dellplatz zählend, dem Café oder Weinbistro Movies und der St. Josephskirche ein wichtiger Treffpunkt und Begegnungsort für Anwohner*innen ebenso wie für Tourist*innen und ein zentraler Kulturort Duisburgs mit eigener Website.
Ich selbst war zuletzt Ende letzten Jahres bei einem beeindruckenden Chorkonzert in der Kirche mit anschließender Friedens- und Solidaritätsveranstaltung dort. Ein Platz, ein Viertel mit einer ganz eigenen Atmosphäre und die Künstlerin hat mir gerade erzählt, dass sie in ihren Bildern vor allem ihre ganz eigene, innere Verbindung mit dem Platz thematisiert. Sie wohnt nämlich selbst am Dellplatz.
Die Auseinandersetzung mit dem Platz, seinen räumlichen Strukturen und dem Leben auf dem Platz, den Emotionen, die er auslöst, ist in letzter Konsequenz auch eine Auseinandersetzung mit der Stadt als Begegnungsort, als Wohn- und Lebensraum.
Die Spuren der Besucher*innen des Platzes, seien es Graffiti, gelegentliche Kreidezeichnungen auf der Platzfläche, aber auch Flüchtiges wie auditive oder emotionale Eindrücke werden in Ute Hucks Werken umgesetzt und reichern das Bild des vertrauten Ortes weit über ein bloßes Abbild hinaus an.
Die Frage nach dem Stadtraum als Wohn- und Lebensraum beschäftigt auch die zweite Künstlerin der heutigen Doppeleröffnung: Margarete Rettkowski-Felten, aufgewachsen im Rheinland und Schülerin von Joseph Beuys.
Sie hat sich in ihrer Ausstellung "Coming Home" intensiv mit dem Thema Obdachlosigkeit auseinandergesetzt. Aber Sie werden gleich sehen, wenn Sie durch die Räume gehen, dass sie hier in dieser Ausstellung noch weitere Themen anspricht, wie etwa die Kinderarmut.
Wie Sie vermutlich wissen, bin ich nicht nur Kulturdezernentin in Mülheim, sondern auch für die sozialen Fragen in dieser Stadt verantwortlich. Deshalb freut mich die Verbindung von beiden Themen bei der heutigen Veranstaltung besonders.
Denn ich finde, dass gerade Kunst und Kultur besonders geeignet sind, Themen auch dort zugänglich zu machen, wo sie nicht oder eher weniger verortet sind, wo sie vielleicht auch bewusst vermieden werden.
Durch die Arbeiten von Margarete Rettkowski-Felten – und damit auch durch die Räume dieser Ausstellung – zieht sich aber neben der Konfrontation mit dem gesellschaftlich oft gemiedenen Thema der Obdachlosigkeit z.B. immer zugleich das Moment der „Heilung“: Die Frage danach, wie Menschen die Transformation von Schmerz, Erstarrung und Einsamkeit gelingen kann, hat auch ihren Lehrer Beuys sehr beschäftigt.
Wenn Sie also durch die einzelnen Räume gehen, werden Sie einen Funken Hoffnung wahrnehmen können.
Besonders deutlich wird das an der Idee der „Kreativität“: Dieser Schlüsselbegriff steht für Rettkowski-Felten nicht nur für eine künstlerisch-ästhetische Auseinandersetzung, sondern für die Findigkeit, die - im Falle von Wohnungslosen oft harten Bedingungen – anzunehmen und sie sich mit Einfallsreichtum umzugestalten. Ihre Beobachtungen haben dabei nichts Zynisches oder Herablassendes, sondern sind geprägt von einer wertschätzenden und im besten Sinne mitfühlenden Annäherung.
Ihr Anliegen ist es, den Wohnungslosen Respekt und Würde zu erhalten. In ihren Werken verzichtet sie bewusst auf Porträts oder realistische Nachbildungen, sondern nutzt Verfremdung und Abstraktion, um uns dazu zu bewegen, über diejenigen nachzudenken, die vermeintlich abseits der Gesellschaft stehen – und doch in Wahrheit Teil derselben sind. Man muss manchmal einfach nur die eigene Haustür öffnen und richtig hinsehen.
Dass es aber nicht ohne konkrete Unterstützungsangebote geht, blendet Rettkowski-Felten nicht aus: Sie präsentiert Projekte, die auf menschenwürdige Art und Weise helfen können. Damit ist diese Ausstellung ein kultureller Beitrag, die Zunahme von Wohnungslosigkeit in unserer doch vergleichsweise "reichen Gesellschaft" ins Bewusstsein genau dieser zu rücken. Übrigens stellen wir aktuell diese Zunahme auch in Mülheim fest.
Besonders bemerkenswert ist Rettkowski-Feltens Kunstrichtung der "Zero Waste Art". Sie verwendet Materialien aus dem Umfeld von Wohnungslosen wie Papier, Kartons, Pappen und gefundene Objekte, um damit künstlerische Werke mit großer Authentizität zu schaffen.
Damit verfolgt sie nicht nur den ökologischen Gedanken eines schonenden Umgangs mit Rohstoffen, sondern macht auch auf die Erhaltung unseres Planeten durch die Vermeidung von sinnlosem Konsum, Ausbeutung von Ressourcen und Verpackungsmüll aufmerksam.
Auch hier bezieht sie klar Stellung: Für Margarete Rettkowski-Felten muss sich Kunst einmischen, muss aufmischen und auch unbequemes sichtbar machen.
Damit schlage ich den Bogen zu dem, was mich in meinem täglichen Tun auch immer wieder beschäftigt: Die reale Welt außerhalb der Kunstwelt, in der wohnungslose Menschen täglich mit Herausforderungen konfrontiert sind.
Und dann geht es vor allem um ganz konkrete Angebote, die den Menschen auf der Straße das Überleben möglich machen.
In Mülheim an der Ruhr kümmert sich zum Beispiel die Ambulante Gefährdetenhilfe des Diakonischen Werkes mit städtischer Unterstützung um diese Menschen. Ihre Leiterin, Andrea Krause, ist heute hier auch anwesend und gerne bereit, auf evtl. Fragen Ihrerseits jenseits des ästhetischen Erlebens einzugehen und über ihre Arbeit zu informieren. Gestatten Sie mir, dass ich ihr und ihrem Team von dieser Stelle aus herzlich für diese Arbeit und den großen persönlichen Einsatz danken möchte.
Mit verschiedenen Einrichtungen und Angeboten wie einer zentralen Beratungsstelle, einer Teestube, der aufsuchenden Krankenpflege, einer Hygienestation und den Notschlafstellen sorgen sie dafür, dass wohnungslose Menschen eine Grundversorgung bekommen und nicht ohne ein Dach über dem Kopf schlafen müssen.
Die Teestube dient als Schutz- und Aufenthaltsraum und bietet neben einem Frühstücksangebot auch ein warmes Mittagessen. Zusätzlich gibt es bei extremen Temperaturen erweiterte Öffnungszeiten, um den Wohnungslosen Schutz vor Kälte zu bieten. Die Hygienestation ermöglicht es ihnen, zu duschen und ihre Wäsche zu waschen. Durch die Arbeit von Streetworkern wird auch auf der Straße nach wohnungslosen Menschen gesucht und ihnen unbürokratisch und direkt geholfen.
Die physischen und psychischen Belastungen, die wohnungslose Menschen – und gerade auch wohnungslose Frauen - tagtäglich erfahren, geraten in unserem mehrheitlich abgesicherten Alltag schnell aus dem Bewusstsein.
Unregelmäßige und ungesunde Ernährung, mangelnde medizinische Versorgung, hygienische Probleme, unregelmäßiger Schlaf, ein hoher Stressfaktor mangels Privatsphäre, gesellschaftliche Ächtung und mögliche Suchtprobleme sind nur einige der Herausforderungen, mit denen sie konfrontiert sind.
Es liegt in unserer Verantwortung als Gesellschaft, diesen Menschen zu helfen und ihnen eine Chance auf ein würdevolles Leben zu geben. Es geht nicht nur um materielle Unterstützung, sondern auch um soziale Integration und psychosoziale Betreuung. Jeder Einzelne/jede Einzelne von uns kann einen Beitrag leisten, sei es durch freiwilliges Engagement, Spenden oder die Unterstützung von Einrichtungen der unterschiedlichen Träger*innen.
Diese Ausstellung und die Veranstaltung heute sind eine Einladung, sich mit dem Thema Wohnen und dem geteilten Stadtraum und mit dem der Wohnungslosigkeit auseinanderzusetzen, Vorurteile abzubauen und Empathie zu entwickeln. Damit sind sie ein wichtiger Beitrag zur kulturellen Auseinandersetzung mit unserer Gesellschaft und den Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen.
Die Werke von Ute Huck und Margarete Rettkowski-Felten zeigen uns, dass Kunst nicht nur ästhetisch ansprechend sein kann, sondern auch eine wichtige Rolle bei der Gestaltung unseres Daseins und der Zukunft spielt.
Ich möchte Ihnen allen danken, dass Sie heute hier sind und sich für dieses wichtige Thema interessieren. Lasst uns diese Ausstellung als Anstoß nehmen, unsere eigenen Handlungen zu reflektieren und einen positiven Wandel zu bewirken. Nur gemeinsam können wir eine Zukunft erschaffen, in der niemand vergessen wird und jeder ein Zuhause hat.
Vielen Dank."
Ende der Rede, veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung der Verfasserin.
Über die Ruhr Gallery Mülheim
Die RuhrGallery und das private „MMKM-Museum Moderne Kunst Mülheim“ in der Stadt Mülheim an der Ruhr(straße 3) wurden im Zuge der Kulturhauptstadt RUHR.2010 gegründet und begannen in der historischen VILLA-ARTIS am Innenstadtpark "Ruhranlage" mit dem Aufbau, der stets weiter vorangetrieben wird.
Gleichzeitig wurde der Mülheimer Kunstverein und Kunstförderverein Rhein-Ruhr - kurz KKRR gegründet, mit dem Ziel, eine lebendige Kunstszene mit Kunstschaffenden und Kunstinteressierten aus allen Altersgruppen und Berufen in der Ruhrtalstadt Mülheim weiterzuentwickeln.
Autor:Alexander Ivo Franz aus Mülheim an der Ruhr |
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