Rückblick auf Infoveranstaltung am 20.9.
Mülheim begegnet Einsamkeit mit dem "Markt der Möglichkeiten"

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„Waren Sie schon mal einsam?“
Die wenigsten werden die Frage mit Nein beantworten. Problematisch wird es, wenn Einsamkeit zum Dauerzustand verkommt, wenn es dauerhaft an Möglichkeiten fehlt, sich mit anderen Menschen zu verbinden. Das hat auch die Regierung erkannt, zumal in NRW, das „als bislang einziges Bundesland eine eigene Stabsstelle gegen Einsamkeit“ (Elke Riedemann) betreibt. Neben einer ersten, groß angelegten Einsamkeitskonferenz in Düsseldorf lässt vor allem die neue Online-Plattform (http://www.land.nrw/einsamkeit) aufhorchen, auf der von Einsamkeit Betroffene Angebote und Vernetzungsmöglichkeiten vor Ort finden.

Auch die Regionalbüros Alter, Pflege und Demenz, eine gemeinsame Initiative der Landesregierung und der Träger der Pflegeversicherung, legen den Finger in die Wunde. In NRW etwa seien „14,5 Prozent der Menschen“ von Einsamkeit betroffen (https://alter-pflege-demenz-nrw.de/akteure/themen/jahresthema-einsamkeit/), die Zahl für die ältere und älteste Bevölkerung dürfte noch deutlich größer sein. Grund genug für die landesweit 12 Regionalbüros, das Thema „Einsamkeit begegnen – Zugehörigkeit stärken“ als Jahresthema 2024 besonders in den Fokus zu rücken. Genau an dieser Stelle dockte nun eine Veranstaltung in Mülheim an.

Unter dem Titel „Einsamkeit begegnen – Wissen und Zugänge stärken“ hatte das für die Region Westliches Ruhrgebiet zuständige Regionalbüro am 20. September ins Gemeindezentrum der VEK (Vereinte Ev. Kirchengemeinde) am Scharpenberg eingeladen, um Betroffene und Interessierte über das Thema zu informieren. Zu den rund 60 Teilnehmern gehörten außerdem zahlreiche professionelle wie auch freiwillig engagierte Multiplikatoren. Als Mitveranstalter hatten die Regionalbüros die Alzheimer Gesellschaft Mülheim e.V., den Runden Tisch Demenz und eben die VEK ins Boot geholt. Eine logische Kooperation, teilen doch alle im Grunde auch das Ziel der Regionalbüros, die Versorgungsstrukturen für Pflegebedürftige und deren Angehörige in NRW zu verbessern.

Gut nachvollziehbar hatten die Organisatoren die dreistündige Veranstaltung denn auch gegliedert. So strich Elke Riedemann (Regionalbüro Westl. Ruhrgebiet) in ihrer Eröffnungsrede zunächst die Tragweite des Themas heraus. Chronische Einsamkeit führe wissenschaftlich bestätigt zu einer gesundheitlichen Schädigung, vergleichbar der „durch täglich 15 Zigaretten“. Neben weiteren negativen Auswirkungen gelte ein „um 40 Prozent erhöhtes Demenzrisiko“ als gesichert.
Im Anschluss wurde die Perspektive der Betroffenen beleuchtet. Konnte der zunächst vorgeführte Kurzfilm das Thema noch spielerisch und mit positivem Ende behandeln, setzten die von Mitgliedern des Runden Tisches vorgetragenen Zitate Einsamer schon eine andere Duftmarke. Den bewegenden Schlusspunkt markierte dann Erika Haugg, die ihr Prosastück „Einsamkeit und ich“ vortrug.
Nach den Betroffenen rückten die Angebote gegen Einsamkeit in den Fokus. Über diesen „Markt der Möglichkeiten“ führte gewohnt versiert Peter Behmenburg, als langjähriger Aktiver sowohl in der Alzheimer Gesellschaft als auch am Runden Tisch ein Experte in Sachen Demenz und Angehörigenberatung. Wie auf einem richtigen Markt ging der hauptamtlich bei Pflege Behmenburg beschäftigte Sozialarbeiter von Stand zu Stand und tauschte sich mit den verschiedenen Anbietern aus. Vom Hilfe-Telefon über Besuchsdienste, Begegnungsstätten und Angehörigengruppen bis zum „Tanz im Schloss“ – der Rundgang offenbarte eine „immense Vielfalt an Angeboten in Mülheim“ (Behmenburg).

Zum Abschluss der Veranstaltung kam dann – als dritte Perspektive – auch die Wissenschaft zu Wort. Bernd Schäfer, wissenschaftlicher Mitarbeiter der psychologischen Fakultät (Lehrstuhlinhaberin: Prof. Dr. Maike Luhmann) an der Ruhr-Uni Bochum, gab in seinem Vortrag Einblick in die aktuelle Forschung und vermittelte „Ursachen, Erlebensweisen, Risiken und Folgen“ von Einsamkeit sowie mögliche Präventionsmaßnahmen.

Dass aus dem Vortrag spontan ein lebhafter Austausch über weitere Facetten des Themas hervorging, unterstrich dessen Relevanz aufs Neue. Dabei offenbarten gleich mehrere Wortmeldungen eine regelrechte Breitseite gegen die zunehmende Digitalisierung, zumindest insofern sie alte Menschen ausgrenze und so zu deren Vereinsamung beitrage (bspw. über technische Hürden beim Online-Banking oder Erwerb von Fahrkarten für öffentliche Verkehrsmittel). Auch an der wachsenden Einsamkeit von Kindern und Jugendlichen habe die Digitalisierung ihren Anteil. Dass diese Zielgruppe generell noch zu wenig beachtet und unterstützt werde, bestätigte denn auch Schäfer.
Die Forschung steckt hier – Ironie des Schicksals – leider noch in den Kinderschuhen.

Ein weiterer Nachholbedarf soll zuletzt nicht unerwähnt bleiben: Die vorgestellten Mülheimer Angebote gegen Einsamkeit zeigten einmal mehr, dass das Engagement in karitativen, fürsorgenden Zusammenhängen eine weibliche Domäne ist. Dabei könnten doch auch (mehr) Männer Hilfesuchenden ihr Ohr am Hilfe-Telefon leihen, mit Altersgenossen das Tanzbein schwingen oder sich anderweitig einbringen. Womöglich eine Option für die Zukunft auf dem „Markt der Möglichkeiten“ …

Autor:

Dennis Götzen aus Mülheim an der Ruhr

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