Thomas Köck ist der Gewinner der Stücke 2019
Menschen im Strudel der Geschichte - "atlas" erzählt ein deutsch-vietnamesisches Schicksal

Der Raum ist das Bühnenbild und die Sprache verschiebt ihre Bedeutung mit der Zeit - "atlas" begeisterte das Publikum. | Foto: Rolf Arnold
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  • Der Raum ist das Bühnenbild und die Sprache verschiebt ihre Bedeutung mit der Zeit - "atlas" begeisterte das Publikum.
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Von Andrea Rosenthal

Was passiert eigentlich, wenn die Zeit mit ihren Entwicklungen die Menschen überrollt? Was heißt es aus der Zeit gefallen zu sein? Und wo fällt man dann hinein? Das sind nur einige der Fragen, die Thomas Köck in "atlas" sich und den Zuschauern stellt. Das Werk, eine Auftragsarbeit für das Schauspiel Leipzig, nähert sich vietnamesischen Migrationsbiographien und einer Familiengeschichte über drei Generationen an.

Ein Kind, das es nicht hätte geben dürfen, sucht in Vietnam, der Heimat ihrer Eltern, nach ihrer Großmutter. Diese hat auf der Flucht vor den politischen Wirren der 70-er Jahre auf der Flüchtlingsinsel Pulau Bidong ihre Tochter verloren und wähnt diese nach dem Kentern des Flüchtlingsbootes tot. Die Tochter trieb es als Vertragsarbeiterin auf der Suche nach einer Zukunft in den sozialistischen Bruderstaat DDR. Die erhoffte Freiheit entpuppte sich als Lohnsklaverei. Die Vertragsarbeiter wurden auf ihre Arbeitskraft reduziert. Krankheit oder Schwangerschaft führten zu sofortiger Ausweisung. Das vietnamesische Paar nutzte die Wirren der Wiedervereinigung, um mit der Tochter in Deutschland unterzutauchen. Haltlos zwischen den zusammengebrochenen Strukturen, immer auf der Suche nach den Wurzeln.

Ein besonderer Raum
In Leipzig wird das Stück in einem besonderen Raum gezeigt. Das Bühnenbild sind eine große Schaufensterscheibe und dahinter eine vielbefahrene Straße. Mit der dezentrale fanden die Organisatoren den optimalen Ort. Drei Aufführungen mit jeweils etwa 150 Zuschauern gab es in dem zum Theater umgebauten Raum. Regisseur Philipp Preuss ließ seine Schauspieler Ellen Hellwig, Sophie Hottinger, Denis Petkovic und Marie Rathscheck auf drei Ebenen auftreten: im Theater, hinter der Schaufensterscheibe und auf der anderen Straßenseite. Zeitenwechsel wurden durch die Wahl der Kostümfarben unterstrichen, die Dialoge oft in vietnamesisch mit Übertiteln geführt. Weitere Sprachen verstärken das Gefühl des Fremdseins. Die Umgebung und Passanten wurden gekonnt integriert, Requisiten wie ein echter Trabbi und eine Pferdekutsche geschickt eingesetzt.

Das Publikum wählte "atlas" von Thomas Köck mit großer Mehrheit zum besten stück 2019. Dem schloss sich die Fachjury an.

Der Raum ist das Bühnenbild und die Sprache verschiebt ihre Bedeutung mit der Zeit - "atlas" begeisterte das Publikum. | Foto: Rolf Arnold
Thomas Köck gewann mit seinem Werk "atlas" den Mülheimer Dramatikerpreis 2019 und den Publikumspreis der Stücke 2019. | Foto: Marie Luise Eberhardt
Autor:

Andrea Rosenthal aus Mülheim an der Ruhr

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