Politik & Heimatgeschichte
Glück Auf! Glück Auf!

Quelle: deutschlandfunkkultur.de

Glück Auf! Glück Auf!
Es ist Schicht im Schacht! Gestern war es soweit. Eine Ära in Deutschland geht zu Ende. In Bottrop schliesste mit Prosper Haniel die letzte Zeche des Steinkohleabbaus.
Das Ende kam nicht überraschend. Schon vor Jahrzehnten begann es.
Mülheim an der Ruhr war dabei die erste zechenfreie Stadt. Der berühmte Strukturwandel setzte früh ein und hat das Ruhrgebiet grundlegend verändert. Die letzten Eckkneipen, in denen man sein Feierabendbier genossen hat starben aus, der Himmel wurde wieder sichtbar und neue Schritte entwickelten sich.
Anders als z.B. in England hat man diese Branche nicht in einer Hauruck-Aktion abgewickelt, sondern sozial verträglich(er) langsam, aber sicher rückgebaut. Bereits in den 50er Jahren begann das große Zechensterben. Damals haben noch über 500.000 Mann unter Tage malocht und zig Millionen Tonnen Kohle dem Berg abgeronnen. 200 Jahre lang hat diese harte Arbeit eine ganze Region und ihre Menschen geprägt. Die stahlverarbeitende Wirtschaft hatte mit Beginn der industriellen Revolution unersättlichen Bedarf. Hier im Revier wurde Geschichte geschrieben. Hier wurde Politik gemacht, hier wurden Weltkriege befeuert, hier wurde die Europäische Union auf Kohle und Stahl begründet.
Eine Menschengruppe stach dabei immer besonders heraus: Die Kumpel.
Fast jede Familie hatte einen Kumpel, der mit dabei war. Und auch ich habe gerne den Erzählungen meines Großvaters gelauscht. Nach dem Krieg war eine Anstellung in einer Grube sehr lukrativ, denn es gab volle Rationen. Das war in Zeiten des Hungers viel wert. Für sein angestrebtes Bergbaustudium leistete er dort sein Praktikum ab, aber ein schwerer Unfall mit einem Handicap zur Folge zwang ihn eine andere Laufbahn, als die des Ingenieurs einzuschlagen. Besonders diese Ereignisse waren so spannend.
Was bleibt ist eine ganz eigene Kultur, ein verschwomener Dialekt mit dem für den täglichen Sprachgebrauch vor Ort besonders wichtigen Wörtern „Wat?“ oder „Dat!“, Currywurst, süffiges Bier und immer wieder der legendäre Kumpel-Status. Kumpels sind Bergarbeiter, die durch die schwere Arbeit und den damit einhergehenden Gefahren zu einer Einheit verschmelzen, deren Vertrauen ineinander durch nichts zerrüttet werden kann. Nicht selten passierten schwere Unglücke, wie beim Großvater. Manch ein Kumpel hat 1000 Meter tief seine Gesundheit gelassen. Die Risiken wie z.B. durch Gasexplosionen oder einstürzende Stollen eingeschlossen zu werden waren hoch. Die dafür zuständige Grubenwehr war dabei immer besonders hoch motiviert in der Not „ihre Jungs“ hoch zu holen. Sowas prägt fürs Leben. Einem Kumpel vertraut man mehr als seiner Frau. Es ist eine Gemeinschaft auf Lebenszeit, eine Freundschaft, die nicht endet. Für die Kumpels war Zusammenhalt, Solidarität, Loyalität und Verantwortungsbewusstsein immer maßgebend.
Obwohl von der jüngeren Generation schon lange keiner mehr unter Tage war, konnte diese Kultur mit ihren Werten bis heute fortbestehen. Kumpelstatus bekommt nicht jeder und das ist auch gut so.
Bei der Entwicklung des Ruhrgebietes ist es wichtig festzustellen, dass hier das alte Brauchtum viel weniger gepflegt wurde als z.B. in Bayern. Das Geheimnis des Ruhrgebietes ist es, dass sich die Region aus den gezwungenen Situationen neu erfunden hat. Heute ist der Pott mit weit über 5 Millionen Einwohner und neuer infrastrukturellen Ideen selbst im Vergleich zu chinesischen Großstädten konkurrenzfähig. Die schwarzen Gesichter sind Vergangenheit. Wie man die Zechen weiter nutzen kann, ob Kohle in anderer Verwendung vielleicht nochmal wichtig wird, ob die Stollen umfunktioniert werden können, oder ob das sehr hohe Fachwissen über die Ausrüstung und die Maschinen erhalten bleiben kann, bleibt abzuwarten. Die Zukunft wird zeigen wie es weiter geht, aber was immer bleibt ist das Gegenstück zum bayrischen Grüß Gott! : Ein lautes und herzliches Glück Auf!

Autor:

Jan Westerwalbesloh aus Mülheim an der Ruhr

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

Folgen Sie diesem Profil als Erste/r

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.