"Die im Dunkeln" - Fotografien von Heiko Tiemann im Kunstmuseum Mülheim
"Die im Dunkeln" - die sieht man nicht, übersieht man oder vielleicht will man sie auch gar nicht sehen. Anders, der Fotograf Heiko Tiemann. Er hat Menschen mit Handicaps, Benachteiligungen und Menschen, die sich in besonderen Lebenssituationen befinden und daher oftmals an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden, in seinen Fokus genommen. Seine Fotos sind Plädoyer für diejenigen, die im Dunkeln sind.
Um die Bandbreite seiner Arbeiten, vorwiegend Porträtaufnahmen zu zeigen, sind im Grafikraum des Mülheimer Kunstmuseums Ausschnitte aus verschiedenen Fotoserien zu sehen.
Darunter die Serie Innenleben, entstanden 1995 in einem Hospiz in Waltrop. Identität aus dem Jahr 1996 und seine jüngste Serie Zufügung. Dafür porträtierte Heiko Tiemann Kinder und Jugendliche in verschiedenen Förderschulen und Einrichtungen in Duisburg in den Jahren von 2012 bis 2015.
Die drei Ruhrgebiets-Fotoserien Innenleben, Identität und Zufügung wurden 2016 in das digitale Foto-Archiv Pixelprojekt_Ruhrgebiet aufgenommen. Am Eröffnungsabend wurden die Museumsgäste per Gespräch zwischen Heiko Tiemann und Peter Liedtke , Leiter des Pixelprojektes_Ruhrgebiet, in die Ausstellung eingeführt. Eine schöne Idee, denn so erfuhren die Gäste in angenehmer Gesprächs- Atmosphäre etwas über Beweggründe und Arbeitsweise des Fotografen.
Die Frage nach dem Warum und nach dem Wie
Der in Düsseldorf und Berlin lebende Heiko Tiemann hat sich schon während seines Studiums an der Folkwang Schule in Essen und später am Royal College of Art in London für Menschen in besonderen Lebenssituationen interessiert. Es ist seine große Neugierde, die ihn vorantreibt. Er möchte die unterschiedlichsten Menschen und Lebensbereiche kennenlernen und diese in Bilder umsetzen. Sozialgesellschaftliche Kritik ist dabei nicht der Auslöser, er sieht sich als Chronist, als jemand, der das zeigt, was übersehen wird. Dabei geht er sehr behutsam vor.
Er nimmt sich Zeit für seine Projekte. In der Regel dauert es Monate bis er ein erstes Foto macht, oftmals Jahre bis eine Serie beendet ist. Da er analog, mit einer Großformatkamera inklusive Stativ arbeitet, ist das Fotografieren an sich schon zeitintensiv sowohl für den Fotografen als auch für den, der vor der Kamera ist. Man verbringt Zeit miteinander, kann sich auf einander einlassen. Es kommt dann der Moment, wo die Protagonisten zugänglich sind, sich öffnen, sich vor der Kamera bewegen. Da ist Achtsamkeit gefragt, dann entstehen Fotos im passenden Moment.
Doch zuerst steht das Kennenlernen im Vordergrund. So ist er für die Serie Zufügung monatelang ohne Kamera in die Förderschule und in die Einrichtungen gegangen, um Räumlichkeiten und Menschen kennenzulernen. Wichtig ist ihm ein vertrauensvoller Umgang mit denen, die er porträtieren möchte. Schließlich sollen keine Posen vor der Kamera inszeniert werden, die Protagonisten sollen sich so geben wie sie sind.
Eindringliche Fotos
Aber es sind nicht ausschließlich junge Menschen, die Heiko Tiemann aus dem Abseits holt. Für die Serie Innenleben hat er Sterbende im Hospiz begleitet. Dort hat er selbst einmal gearbeitet, weiß, wie wichtig ein würdevoller Umgang ist. Außer einer Hand, die ruhend auf einer Bettdecke liegt, fotografiert er hier keine Menschen. Dieses Mal nimmt er die Position der in Sesseln oder im Bett Liegenden ein. Aus ihrer Sichthöhe fotografiert er das, was sie in ihrem letzten Lebensabschnitt sehen. Es ist ein eigeschränkter Lebensradius, eine Tischlampe, ein Telefon, eine Glasschale. Das Leben verflüchtigt sich in diesen Bildern.
Sehr eindringlich sind die Fotografien, die er in einem Altenheim aufgenommen hat. Heiko Tiemann hat sie Geister genannt und genau so geisterhaft schwirren die Fotocollagen durcheinander. Sie sind wie Erinnerungsfetzen, Wirklichkeit, Träume, Gesichter, Gegenstände verschmelzen miteinander.
Man sollte sich für die Betrachtung Zeit nehmen. Es ist eine nachhaltige Fotografie, keine gefällige Kost. Eine Fotografie, die helfen kann, die eigene Wahrnehmung zu sensibilisieren.
Die Ausstellung im Grafikraum läuft bis zum 7. Mai 2017
Kunstmuseum Mülheim an der Ruhr
Synagogenplatz 1
45468 Mülheim an der Ruhr
www.kunstmuseum-mh.de
Autor:Andrea Gruß-Wolters aus Duisburg |
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