Die 52. MÜLHEIMER LESEBÜHNE...Ein Bericht von Rolf Blessing
52. Lesebühne am 03.11.2017
Mit viel Spannung hat der immer größer werdende Interessenkreis
(die vorhandene Bestuhlung reichte bei weitem nicht)
rund um die Mülheimer Lesebühne deren 52. Veranstaltung erwartet, was angesichts des vielseitigen und hochrangig bestückten Programms sicher kein Wunder ist, sondern inzwischen eher Normalität.
Manfred Wrobel und sein Team haben auch diesmal wieder sehr viel Arbeit und Gespür in die Vorbereitungen gesteckt und das – ich nehme es vorweg – mit großem Erfolg.
Es fällt auf, dass der Kreis der vortragenden oder ausstellenden Künstler immer „interregionaler“ wird und längst über die Stadtgrenzen von Mülheim an der Ruhr hinausgeht.
Diesmal kamen die Autoren, Musiker oder bildenden Künstler aus Düsseldorf, Rees, Rhein-Sieg-Kreis, Bonn, Ratingen, Bochum, Solingen, Burscheid und Morsbach-Steimelhagen. Am weitesten gereist ist sicherlich Daniel Ableev, der aus Nowosibirsk stammt und den weiten Weg aus Russland nach Deutschland gefunden hat, um hier als freier Selbständiger zu wirken.
Der Veranstalter und Lyriker Manfred Wrobel begrüßte das Publikum und stellte ein paar Ehrengäste vor. Darunter die Betreiber der Schmökerstube Mülheim, Herrn und Frau Haake und darüber hinaus Herrn Lemmy Bittner, der zu seiner Zeit zur Weltelite der Fallschirmspringer zählte.
Peter Roßkothen aus Düsseldorf, wie immer locker, moderierte den Abend und kündigte die Beiträge jeweils mit einer kurzen Einführung an.
Die Kunsthistorikerin Brigitte Lamberts und der Autor Bruno Woda lasen beide aus der Anthologie „Mallorca mörderisch genießen“ Kulinarisches und „Kriminelles“ vor. Motto dieser Anthologie ist nämlich einerseits der Kurzkrimi zum Thema Mallorca als auch der Einbau eines inseltypischen Gerichtes in die Handlung. So konnten sich die Zuhörer, die sich auf Mallorca auskennen, die vielen beschriebenen örtlichen Verhältnisse wiedererkennen und gleichzeitig Rezepte zum Nachkochen notieren. Piemientos de Padrón und Iberico in Milch, das hört sich doch gut an.
Dagmar Schenda war auch inzwischen weiter als Autorin fleißig und stellte Auszüge aus ihrer Fortsetzung (Die unvermutete Hoffnung) vor, die sich mit den im Jahr 1747 zu Vampiren gewordenen Hauptfiguren Karl und Matthias befasst. Diesmal spielt die Handlung der mit einer Vielzahl von „Artgenossen“ bestückten Handlung auf einem Landsitz in Südengland.
Es folgte – für mich der Höhepunkt des Abends – das Gitarren-Quartett „Rheinsaiten. Vier noch sehr junge Menschen, die alle bereits Preisträger von internationalem Format sind (u. a. Preise in Bulgarien, Österreich und Spanien) und die ausgesprochen ambitioniert und sehr gekonnt mit den nicht „konzerthallenmäßig“ räumlichen Bedingungen der Veranstaltung umgingen. Beginnend mit Auszügen aus „Carmen“ rissen sie die Zuhörer schon bald von den Stühlen. Besonders die für ihr Alter beeindruckende Harmonie untereinander, die gefühlvollen Tempowechsel und die Übergänge zum Pianissimo machten deutlich, warum dieses Quartett so erfolgreich auftritt. Schon an den Äußerlichkeiten wie z. B. die Instrumentenbehandlung und Fingeraufwärmung ließ sich erkennen, welche professionelle Einstellung bereits vorhanden ist. Besonders gut kam auch die zum Schluss dargebotene Trilogie von Raúl Maldonado an, deren Schwierigkeitsgrad höchste Ansprüche an das Können stellt und auch die Vielseitigkeit des Ensembles sehr erfolgreich belegte.
Bravo!
Daniel Ableev, geboren in Nowosibirsk, mit einem deutlichen Hang zur Anglistik und zur Amerikanistik, erinnerte sowohl mit seinem Vortragsstil, als auch mit der Form und den Inhalten seiner Vorträge sehr stark an den österreichischen Schriftsteller Ernst Jandl, der übrigens im Jahr 1980 den Mülheimer Dramatikerpreis verliehen bekam. Seine Vermischung von gereimten Versen mit sprachlichen und gedanklichen Stilwechseln, seine Themensprünge und seine trockene Vortragsweise ist nicht jedermanns Geschmack, aber zweifellos erstklassig. Auch seine zeitkritischen, politischen, versteckt mehrsprachigen und zum Teil verbitterten Aussagen drohten zweitweise das Publikum auch wegen ihrer Dichte und der Vortragsgeschwindigkeit zu überfordern. Schlagzeilen wie „Jesus stellt Fließbandheilande her“, „Manche Gesichter ergeben einfach keinen Sinn“, oder „Reaktionszeit wie Aas“ sind Beispiele für die Welt von Daniel Ableev, in der man sich erst zurechtfinden muss. Aber - ohne Zweifel - eine Bereicherung des Spektrums der Mülheimer Lesebühne.
„Costa und die kleinen Frauen“, eine Kurzgeschichte von Bettina Münster vorgetragen, die sich nach ihren eigenen Worten nur unwillig diesem literarischen Genre gewidmet hat. Gleichwohl, ein sehr guter Einstieg, wie ich meine, mit farbigen Bildern, fließender Handlung und hoher Moral.
Neu dabei und mit zum Teil unterschiedlichen Werken nutze die „Solinger Autorengruppe“ die Gelegenheit, um ihre Vielfalt, aber auch ihre Schwerpunkte zu präsentieren. Beginnend mit Kay Ganahl, der sich Gedanken über das Denken machte, folgte Beate Kunisch, mit gereimten Versen zum Thema Zeit und einem Märchen, in dem ein Zauber-Kästchen eine wichtige Rolle spielt. Den Lebenslauf eines Flusses verwendete die Gründerin der Runde, Martina Hörle für eine in Reime gefasste Betrachtung und fuhr ebenfalls mit einem Märchen über nichtsnutzige Riesen fort. Den Abschluss bildete die verspätet, aber letztlich mit hervorragendem Timing gerade rechtzeitig erscheinende Gruppen-Autorin Saga Grünwald und dachte über die Frage, wie lange die Ewigkeit dauert, sehr melancholisch nach.
Ein Abend, mit drei Stunden live und lebendig, engagiert und ambitioniert vorgetragener Literatur, hervorragend ergänzt durch junge Musiker mit begeisternden Beiträgen und das alles selbst finanziert ohne Eintritt: Wo gibt es das heute noch?
Rolf Blessing 04.11.2017
Autor:Manfred Wrobel aus Mülheim an der Ruhr |
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