Von Oberhausen bis Kempen
Der vergessene Mülheimer Architekt Heidsiek

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Was haben Duisburg, Gelsenkirchen, Kempen, Mülheim an der Ruhr und Oberhausen gemeinsam? In ihren Denkmallisten finden sich Kirchbauten des Mülheimer Architekten Heinrich Heidsiek. Zu Lebzeiten war Heidsiek eine angesehene Persönlichkeit der örtlichen Stadtgesellschaft. Heute jedoch ist der Architekt, dessen Werke noch heute als Denkmale Ortsbilder prägen, nahezu in Vergessenheit geraten. Seine Lebensgeschichte und sein architektonisches Erbe stehen noch am Anfang der Erforschung – ein Erbe, das vor allem auf dem Gebiet des Kirchenbaus in der Rheinprovinz bemerkenswerte Spuren hinterlassen hat.

Heinrich August Heidsiek wurde 1842 oder 1843 in Lübbecke/Westfalen als Sohn eines Kreissekretärs geboren., sein Schaffen auf dem Gebiet des Kirchbaus in der Rheinprovinz ist gesichert ab 1895 nachweisbar. Aber auch Bauten von Rathäusern der heute als Stadtteile nach Mülheim/Ruhr eingemeindeten und vormals eigenständigen Gemeinden um die Jahrhundertwende sind mit seinem Namen verbunden. Als junger Architekt baute er 1870-73 an der Villa Hügel der Familie Krupp mit.

Kirchbau in der Rheinprovinz

In einem Nachruf auf sein Schaffen werden „12 bis 14 Sakralbauten in der Rheinprovinz, die aus seiner Feder stammen“ erwähnt, sieben von ihnen sollen hier exemplarisch angeführt werden. Sie zeigen auch den Wechsel seines Baustils von der neugotischen zur neoromanischen Formensprache um die Jahrhundertwende.

In die neugotische Schaffensphase fallen folgende drei Kirchen:

  • Evangelische Kirche Gelsenkirchen-Rotthausen: Die Grundsteinlegung erfolgte am 28. Juli 1895, die Einweihung am 19. Juli 1896. Seit 1987 steht die Kirche unter Denkmalschutz.
  • Lutherkirche Oberhausen (Lipperheidstraße): Die Grundsteinlegung erfolgte am 24. April 1898, die Einweihung am 12. März 1899. Seit 1986 steht die Kirche unter Denkmalschutz.
  • Evangelische Kirche Broich: Die Grundsteinlegung erfolgte am 11. Juni 1899, die Einweihung am 17. März 1901. Seit 1988 steht die Kirche unter Denkmalschutz.

In die neoromanische Schaffensphase fallen folgende vier Kirchen:

  • Evangelische Kirche Duisburg-Wanheim: Die Grundsteinlegung erfolgte am 7. September 1902, die Einweihung am 23. Juni 1903. Seit 1985 steht die Kirche unter Denkmalschutz.
  • Evangelische Kirche Hiesfeld-Schmachtendorf (heute Oberhausen-Schmachtendorf): Die Grundsteinlegung erfolgte am 18. September 1905, die Einweihung am 30. September 1906. Die Kirche wurde 2016 unter Denkmalschutz gestellt.
  • Thomaskirche Kempen: Die Grundsteinlegung erfolgte am 25. April 1909, die Einweihung am 17. Juli 1910. Als erste der Heidsiek’schen Kirchen wurde sie bereits 1983 unter Denkmalschutz gestellt.
  • Johanniskirche Mülheim an der Ruhr: Die Grundsteinlegung erfolgte am 24. März 1913, die Einweihung am 19. Juli 1914. Sie hat den Zweiten Weltkrieg nicht überlebt und wurde 1943 vollständig zerstört.

Bemerkenswert bei allen Kirchen sind nicht nur eine durchaus erkennbar ähnliche, wenn auch jeweils individuelle Formensprache, sondern auch die kurze Bauzeit der Kirchen von einem bis eineinhalb Jahren bei relativ geringen Baukosten (im Falle Schmachtendorfs lautete der Auftrag an ihn auch „eine Kirche […] von möglichst einfacher und billiger Herstellung zu entwerfen […]“). Nachgewiesen ist, dass Heidsiek an mehreren Ausschreibungen teilgenommen und, wie im Falle der Kempener Thomaskirche, auch den Zuschlag erhalten hat. Eindeutig erkennbar sind hier, dass Teile des Entwurfs für Schmachtendorf hier erneut verwendet wurden. Die Ähnlichkeiten sollen nachfolgend verdeutlicht werden:

Ein seitlicher Turm, zwei Eingangstüren, das Rundfenster in der Mitte: Die grundsätzliche Formensprache findet sich bei beiden Kirchen wieder. In Schmachtendorf ist das vordere Rundfenster den Kriegseinwirkungen zum Opfer gefallen und wurde durch ein gemauertes Kreuz ersetzt. Ebenfalls nach dem Krieg wurde die charakteristische blaugrüne Turmspitze angebracht. Die Thomaskirche zeigt in ihrer Formensprache Renaissanceelemente, auf die an der Kempkenstraße verzichtet wurde.

Während die Kirche an der Kempkenstraße im Hauptschiff oben und unten über je sechs schmale Fenster verfügt, sind dies in Kempen je drei breite. Außerdem sind in Kempen die romanischen Fenster unterhalb der Empore durch solche ersetzt worden, die nicht mehr der ursprünglichen Form folgen. Der Giebel mit Oculus im Dachgewölbe ist nur an der Thomaskirche zu finden.

Drei angedeutete Vertiefungen pro Turmseite, von denen jeweils eine als Schallöffnung genutzt wird, sind bei beiden Kirchen zu finden. Wo sich in Schmachtendorf die Uhr befindet, verfügt Kempen über ein Ochsenauge in einer Dachgaube. Die Turmspitze der Thomaskirche ist noch mit traditionellem Schiefer gedeckt, während an der Kempkenstraße nach dem Krieg darauf verzichtet wurde.

Gebälk und Decke erhielten in der Kirche an der Kempkenstraße im Zuge der Renovierungen 1956 einen helleren Anstrich. Ursprünglich war auch hier die Konstruktion dunkel gehalten, wie dies in der Kempener Thomaskirche noch der Fall ist. Auch hängen in der Thomaskirche nach wie vor Hängelampen, diese wurden in Schmachtendorf in den 1970er-Jahren entfernt und durch Deckenlampen ersetzt.

Beide ursprünglichen Rundfenster überlebten den Krieg nicht und wurden in den 1950er-Jahren ersetzt. In der Kempkenstraße ist dies das Schöpfungsfenster des Künstlers Wolff aus Kaiserswerth (1952 eingebaut), in Kempen eine Fensterrosette des niederländischen Künstlers Bijvoet (1959 eingebaut).

Einen separierten Konfirmandensaal wie die Kirche an der Kempkenstraße kennt die Thomaskirche nicht. Dafür steht hier noch, wie ursprünglich auch in Schmachtendorf, die Orgel auf der hinteren Empore, der so genannten Orgelempore. Auch verfügt Kempen noch über (nicht mehr ursprüngliche) Bänke, während diese in Schmachtendorf in den 1970er-Jahren durch Gestühl ersetzt wurden.

Familie und Nachleben

Neben seiner beruflichen Tätigkeit war auch Heidsieks Familie gesellschaftlich engagiert. Seine Frau Agnes, die aus Höxter stammte und mit August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, dem Dichter des Deutschlandliedes, persönlich bekannt war, engagierte sich gesellschaftlich als Schriftführerin im Samaritervereins des Roten Kreuzes, dem Vaterländischen Frauenverein sowie im Mobilmachungsausschuss der Stadt Mülheim/Ruhr und galt als Wohltäterin der Armen und Kranken. Sie verstarb 1915. Auch seine 1876 geborene Tochter Frida trat als Schneidermeisterin mit eigenem Atelier in Essen öffentlich in Erscheinung. Ab den 1930er-Jahren verliert sich die Spur der Familie.

Heinrich Heidsiek starb am 17. September 1914 im Alter von 71 Jahren. Eine zeitgenössische Meldung anlässlich seines Todes würdigte sein architektonisches Schaffen: „Der Verewigte hat sich dadurch bleibende Denkmäler geschaffen.“ Der Autor des Nachrufs hat recht behalten: Seine Werke kann man heute noch als ortsbildprägende Wahrzeichen besichtigen.

Traueranzeige in der Rhein- und Ruhrzeitung vom 18. September 1914.
  • Traueranzeige in der Rhein- und Ruhrzeitung vom 18. September 1914.
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Quellen:

  • Rhein- und Ruhrzeitung, 1849 – 1940, Stadtarchiv Duisburg
  • Schriften des Archivs der Evangelischen Kirche im Rheinland Nr. 33 – Kirchliche Kunst, Band 6: Werner Franzen, Gottesdienststätten im Wandel – Evangelischer Kirchenbau im Rheinland 1860 – 1914
  • Archiv der Evangelischen Kirche im Rheinland: Ortsakten OB-Schmachtendorf
  • Archiv der Evangelischen Kirche im Rheinland: Ortsakten Kempen
  • Denkmallisten der Städte Gelsenkirchen, Oberhausen, Mülheim an der Ruhr, Duisburg und Kempen
  • Karl Lange, 80 Jahre Evangelische Kirche Schmachtendorf, 1986
  • Evangelische Kirchengemeinde Kempen, 100 Jahre Thomaskirche Kempen, 2010
Autor:

Tobias Szczepanski aus Oberhausen

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