Die „Nationalhymne“ der Liebe
Dein ist mein ganzes Herz

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Mein Vater, der Nachkriegs-Varietékünstler, schmetterte es, und natürlich Richard Tauber, Fritz Wunderlich, Rudolf Schock und die üblichen Verdächtigen.
Komponiert und getextet wurde es aber schon 1929 für die Lehár-Operette „Land des Lächelns“, womit, man wundert sich heute, China gemeint war.
Heinz Rudolf Kunze, auf den man bei der Suche nach dem Lied heutzutage immer zuerst stößt, zitiert in seinem gleichnamigen Song 1985 aber lediglich zwei Textzeilen, die Musik ist eine völlig andere.

Deshalb hier der Original-Text:

Dein ist mein ganzes Herz!
Wo du nicht bist, kann ich nicht sein,
so, wie die Blume welkt,
wenn sie nicht küsst der Sonnenschein!
Dein ist mein schönstes Lied,
weil es allein aus der Liebe erblüht.
Sag' mir noch einmal, mein einzig Lieb,
o sag' noch einmal mir:
Ich hab' dich lieb!

Diese Zeilen haben sich bei mir bereits in mein Kinderhirn eingebrannt, wie sonst vielleicht nur noch „Maria breit den Mantel aus“ , „Großer Gott, wir loben dich“ und "Prima Prümmsche".

Wenn mein Vater in den 50er Jahren dieses dramatisch klingende Liebesgeständnis in der Küche während der Zubereitung von Kohl und Frikadellen inbrünstig knödelte, und dabei weder auf meine Mutter noch auf den am Boden spielenden kleinen Franz schaute, sondern sehr weit in die Ferne, glaubte ich trotzdem, er meinte meine Mutter mit diesem flehentlichen „O sag noch einmal…“. Aber Mutter tat ihm den Gefallen in meiner Anwesenheit nie, ermahnte ihn höchstens, die Frikadellen nicht anbrennen zu lassen.
Vielleicht lag es an der Lautstärke. Spätestens beim zweiten "Dein" begann das Porzellan im und auf dem Küchenschrank heftig  zu vibrieren.
Später verballhornten wir als operettenferne Halbwüchsige die „Wo du nicht bist“-Zeile zu „wo du nicht bist, kannst du nicht sein“ und hatten einen Heidenspaß an dem Blödsinn.

Ja, der Vortrag meines Vaters hatte mich tief beeindruckt, und als ich dann das Lied im mittleren Alter erstmals selbst in den Akkordeon-Tasten suchte, fand ich den verminderten Septimenakkord. Gleich in der Einleitung und dann noch dreimal im Refrain, fantastisch! Ich spiele das Lied jetzt am Klavier und singe es eher bluesartig, mit Soulfeeling, nicht so dröhnend wie mein Vater und schon gar nicht so ratternd wie Kunze seinen Song. Es ist eins dieser Lieder, nach dem man sich besser fühlt.

Mein „Notenblatt“:

Foto: Meine "Noten"

Das war so bis neulich, als ich darüber schreiben wollte, wie gut mir dieser Lehar-Song aus dem „Land des Lächelns“ tut.
Da kam ich auf die Idee, so spaßeshalber nachzuschauen, wer denn diesen unvergesslichen Text geschrieben hat. Und dann trat Fritz Löhner-Beda in mein Bewusstsein. Ein bis dato unbekannter Bekannter. Denn es stellte sich heraus, dass er genau die Schlagertexte der 20er Jahre geschrieben hatte, die ich seit meiner Jugend bewundere, weil sie so schön verrückt sind:

Ausgerechnet Bananen
Was machst du mit dem Knie, lieber Hans
Oh, Donna Clara
In der Bar zum Krokodil
Wo sind Deine Haare August?
Benjamin ich hab’ nichts anzuziehn …

Oder auch:
Ich hab mein Herz in Heidelberg verloren

Ein in Tschechien geborener promovierter Österreicher, der nicht nur Schlager- und Operettentexter war, sondern auch mit großem Vergnügen Satiren verfasste. Den Text „Dein ist mein ganzes Herz“ hatte er seiner Frau Helene gewidmet. Sie hätten mit ihren Kindern ein glückliches, erfolgreiches Leben haben können, wenn sie nicht Juden gewesen wären. Und wenn er rechtzeitig geflohen wäre.
Er fühlte aber sicher an der Seite Franz Lehárs, des erfolgreichsten Operettenkomponisten, der ihn aber in Stich ließ. Möglicherweise hat er sich aber auch vergeblich für ihn eigesetzt. Vier Jahre litt er in Konzentrationslagern. Er kam zunächst nach Buchenwald, schrieb dort anonym zusammen mit dem Komponisten Leopoldi das „Buchenwaldlied“ und wurde dann in ein Nebenlager von Auschwitz gebracht, wo Zwangsarbeit in den Buna-Werken zu leisten war. Als sich die Firmenleitung 1942 über die mangelnde Arbeitsleistung des kranken Löhner-Beda bei der SS beschwerte, wurde er umgehend von einem Kapo erschlagen!
Er hatte nicht erfahren, dass Helene bereits im selben Jahr im Vernichtungslager Maly Trostinez bei Minsk zusammen mit ihren Töchtern in Gaswagen ermordet worden war.

Es wird wohl eine Weile dauern, bis ich bei „Dein ist …“ wieder einigermaßen locker und lächelnd in die Tasten greifen kann.

Der österreichische Akkordeonspieler Hubert von Goisern hat, erschüttert von dem Schicksal der Familie Löhner in einer wahnsinnig tollen Rap-Collage im Wechselspiel mit einem echten Tenor die gesamte Geschichte von Beda auf der Bühne erzählt und besonders auf das schmähliche Instichlassen Lehars abgehoben. Immer im Kontrast gesehen  zu dem von Lehar und Beda gemeinsam geschaffenen Lied: „Freunde, das Leben ist lebenswert“.

Zu empfehlen ist  außerdem:

Wikipedia zu "Dein ist mein ganzes Herz§" und zu Fritz Löhner-Beda ---

und das Buch, dessen Cover bei den Bildern zu finden ist.

Auf eine sehr ausführliche Interpretation von „Dein ist mein ganzes Herz“ im Zusammenhang der Handlung im „Land des Lächelns“ möchte ich noch hinweisen: Florian Seubert, Bamberg

https://deutschelieder.wordpress.com/2012/11/19/franz-lehar-dein-ist-mein-ganzes-herz/

Autor:

Franz Bertram Firla aus Mülheim an der Ruhr

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