Aus Kindertagen, eine weihnachtliche Geschichte von Sabine Fenner
Aus Kindertagen
Stina saß am Fenster und schaute auf die Förde. Es war Heiligabend und wie jedes Jahr hatte man sie ins Bett gesteckt, damit sie noch etwas zur Ruhe fand vor der Bescherung.
Sie hörte ihre Mutter in der Küche hantieren. Es roch schon köstlich nach Entenbraten. Stina war viel zu aufgeregt, um schlafen zu können. Es hatte leicht angefangen zu schneien. Sie hoffte nun auf einen nagelneuen Schlitten, denn einen eigenen besaß sie nicht.
Im Schuppen stand noch ein selbstgezimmerter aus Kriegstagen, den sie mit ihren Geschwistern teilte. Überhaupt musste sie immer die abgelegten Kleider ihrer Geschwister auftragen, aber damit hatte sie sich abgefunden, denn ihr kleines Kinderherz verstand schon, dass ihre Eltern bescheiden lebten.
Gerne besuchte sie ihre Freundin, Anne, denn die wohnte in einem eigenen Haus. Sonntags
durfte sie dort immer mit frühstücken. Es gab Toastbrot mit Pflaumenmarmelade und gelbe Sprudel. So etwas kannte sie von zuhause nicht. Wenn sie Durst hatte, reichte ihre Mutter ihr verdünnten Saft. Dieser wurde im Sommer selbst hergestellt. Ihre Mutter stand dann tagelang in der Küche und entsaftete die Früchte, die ihr Vater im Garten erntete. Der Vater ihrer Freundin war Prokurist in einer Holzfirma. Stina staunte oft, was ihre kleine Freundin so alles besaß. Sie hatte sogar einen kleinen elektrischen Herd, auf dem sie schon köstliche Gerichte zubereitet hatten. Stina besaß nur eine Puppe, die schon reichlich abgegriffen aussah. Aber das Christkind versäumte nie, sie neu einzukleiden, was Stina jedes Jahr aufs Neue sehr glücklich machte.
Stina gingen so mancherlei Gedanken durch den Kopf. Sie war schon sehr weise mit ihren sieben Jahren. So hatte es ihre Lehrerin einmal formuliert, wobei Stina damit nichts anfangen konnte.
Sie drückte ihre kleine Nase an die Fensterscheibe, um besser sehen zu können, denn der Schneefall hatte zugenommen. Jetzt würden sie gleich um die Ecke kommen, denn die Turmuhr hatte bereits sechs Mal geschlagen. Der letzte Weihnachtsgottesdienst war somit beendet. Ihr Vater hatte jedes Jahr Dienst in der Kirche. Ihre Geschwister sangen im Chor. Stina hätte dort auch gerne mitgesungen, aber sie war noch zu jung. So reichte es nur für den Kinderchor, der sang während des Kindergottesdienstes zu früherer Stunde. Danach war sie dann gleich mit ihrer Mutter aufgebrochen, da zuhause noch viele Weihnachtsvorbereitungen getan werden mussten.
„Sie kommen!“ Ihr Vater und ihre Geschwister stapften den Berg hinauf. Stina hüpfte vom Stuhl und schaltete das Licht an. Auf dem alten Ledersessel lag ihr bestes Kleid, das ihre Mutter selbst geschneidert hatte. Stina mochte es nicht besonders, denn der Stoff kratzte. Sie trug lieber eine Lederhose und lief im Sommer barfuß. Aber heute beeilte sie sich, das Kleid über den Kopf zu ziehen. Nun fehlte noch die weiße Strumpfhose, die sie auch nur an besonderen Festtagen trug. Ja, und zu guter Letzt schlüpften ihre kleinen Füße in die neuen Lackschuhe, die auch drückten, da sie sie selten anzog. Aber heute war sie willig und moserte nicht, denn mit ihren Gedanken war sie bereits im Weihnachtszimmer.
„Stina“, ihre große Schwester rief sie. „Du kannst jetzt kommen!“ Stina öffnete die Tür und nahm zwei Stufen auf einmal, um schneller unten zu sein. Marie nahm sie bei der Hand. „Komm, wir setzen uns noch einen Moment in die Wohnküche und warten gemeinsam aufs Glöckchen.“ Stina hatte rote Wangen vor Aufregung. Sie nahmen auf der Holzbank Platz, wo auch ihr Bruder schon ausharrte. Gespannt lauschten sie...
Ach, und endlich war es so weit! Die Wohnzimmertür öffnete sich. Stina war jetzt nicht mehr zu halten. Sie lief voraus. Doch im Türrahmen blieb sie stehen, denn all der Lichterglanz überwältigte ihre kleine Kinderseele.
Auf dem Kachelofen brutzelten Bratäpfel, die sie so liebte. Stina ging ein paar Schritte vorwärts und schaute verstohlen unter den Baum. Da stand ein Schlitten. Auf einem der Holzlatten war ihr Name eingraviert „Für Stina“. Stina hüpfte und jubelte. „Mama, Papa... schaut nur, das Christkind hat mir einen Schlitten geschenkt…“
Heute ist Stina längst erwachsen - lebt schon in der zweiten Lebenshälfte, aber der Schlitten existiert immer noch. Wenn im Norden der Winter Einzug hält, dann holt sie ihn vom Dachboden und reiht sich ein ins fröhliche Treiben am Berg...
November 2010
© Sabine Fenner
Autor:Manfred Wrobel aus Mülheim an der Ruhr |
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