"Anderes" Kind...

Sie war ein Kind,
ein kleiner Mensch wie alle, und doch anders.
Es fühlte anders, wirkte anders, schien anders,
galt als ganz besonders wach, aufmerksam, sensibel,
ahnte, sah und spürte Dinge die es selbst nicht begriff,
wissen, erklären konnte, nicht auszusprechen wagte,
weil zaghafte Versuche gezeigt hatten, dass niemand es verstand;
hielt sich für wertloser als andere Kinder in seiner Umgebung,
unverstanden oft, belächelt,
'es muss doch was nicht stimmen,
falsch sein an mir', glaubte es.

Dieses Kind mit blonden, langen Locken
war freundlich, schüchtern, folgsam, brav, still;
oft zu still und verschlossen,
lauschte auf seine innere Welt
die ihm oft Unerklärliches zuzuflüstern schien,
hell wie Kerzenschein war, weit wie der Himmel;
lebendig, bewegt, mitfühlend,
bunt, verträumt, reich an Ideen, Gespür,
eigenen Interpretationen und Verstehen.

Es liebte Musik und Bücher über alles,
lernte leicht und voller Eifer, war wissbegierig,
erlebte, fühlte sehr intensiv innerlich.
Wie ein heißer Blitz durchströmte oft schmerzhaftes Erschrecken
den kleinen Körper, sorgte für Verwirrung.
Es drückte sich auf seine eigene Weise aus,
vorsichtig tastend, ruhig lächelnd, zurückhaltend,
etwas furchtsam, ängstlich, oft gar verlegen
in Musik, geschriebenen Worten, getanzten Schritten,
gesummten Melodien, fand kein Ende,
hatte unbekanntes Wissen das nicht erklärbar war.

Lag es abends im Bett
sah es Figuren aus Tapetenmustern heraus treten,
lebendig werden in allerlei Gestalt.
Die innere Welt, das tägliche Erleben
wurde zu einem Theaterstück, greifbar, lebendig
mit allen Dingen die es tagsüber neu kennen gelernt, gesehen,
erfreut, beglückt oder auch verängstigt hatten,
es noch nicht begreifen konnte.
Es ahnte vieles, was andere nicht mal wahrnahmen, sahen.

Die innere Quelle hatte ein Ventil,
sprudelte unaufhörlich, ist bis heute lebendig.
Längst ist aus dem Kind von damals eine alte Frau geworden
die rückblickend Dinge versteht und neu beleuchtet,
die damals Angst machten
oft undurchsichtig, unheimlich, bedrohlich wie Nebelwände wirkten.
Sie ist ein Mensch wie jeder andere,
doch die besonderen Antennen hat sie immer noch;
denkt, begreift, versteht mit dem Kopf
fühlt, spürt, erahnt, deutet mit dem Herzen.
Sie lebt, liebt, leidet, beobachtet still
sehr intensiv Umgebung, Menschen
mit den Augen, den Sinnen, dem Inneren das wispert;
hält alles fest auf die gleiche Weise wie damals.

Das andere Kind ist auch eine andere Frau;
noch immer geschehen Dinge die sie ahnt, spürt,
Unruhe, Schmerzen, Schlaflosigkeit, Fragen
auch mal Ratlosigkeit mit sich bringen,
nicht erklärbar sind,
sie selbst nicht deuten kann, rätselhaft sind;
doch ist sie ein Mensch wie alle...