Ssinter Mätes Vögelsche
Als Martinslied getarntes heidnisches Heischelied?


Bevor der diesjährige Martinsrummel wieder losgeht, möchte ich in einigen Beiträgen über das Thema in lockerer Form informieren.
In Mülheim stand bis etwa zur Jahrtausendwende das Lied „Sinter Mätes Vögelsche“ im Mittelpunkt aller gesungener Martinslieder. Das hat sich mittlerweile geändert. Abgesehen vom „Chrubbel-Chrabbel“ der „Mausefalle“ und meinem Vortrag beim Martinszug in der Innenstadt hört man das Traditionslied nur noch sehr selten.
Zum Verständnis dieses ungewöhnlichen Liedes in Mölmsch Platt habe ich seit 2003 sehr viel Material aller Art für das städtische Internet zusammengetragen:

hier

Heute gibt’s es erst einmal einen Überblick:

Rektor Wilhelm Klewer hat sich um Sprache und Tradition seiner Heimatstadt verdient gemacht.
Die Wiederbelebung des von ihm in „aul Papiere“ gefundenen Liedes „Sinter Mätes Vögelsche“
war und ist eine großartige Leistung. Noch wenige Stunden vor seinem Tod beschäftigte ihn die Frage „Wän üs dat Sinter Mätes Vögelsche?“ und er schrieb dazu eine Abhandlung, die er am 9.11.1932 seinem geliebten „Plattdütschen Kringk“ vorlesen wollte. Natürlich ist sein Manuskript in Mölmsch abgefasst. Die Mülheimer Zeitung druckte es am 10.11.32 mit einem Bericht über die von Karl Nedelmann geleitete Sitzung des Plattdütschen Kringk.
Ernst Buchloh hat in den siebziger Jahren diese Abhandlung in einer Bearbeitung an seinen „Mölmsch-Platt-Kreis“ der VHS weitergegeben und einige Informationsblätter für die interessierte Öffentlichkeit bereitgestellt. Darin ist bereits eine weitere Bearbeitung des Notenblattes enthalten.( Oberheid 1975)
Wir kennen das Original nicht, das Klewer vorlag. Wir nehmen an, es ist der unter dem Titel „Sinter Mätes Vügelsche“ mit dem Zusatz „aus einer alten Handschrift“ versehene Abdruck in den erwähnten VHS-Blättern. Wilhelm Nedelmann hat dem Freiburger Volksliedarchiv 1984 eine andere Druckfassung geschickt, die sein Vater Karl als Baasnachfolger Klewers 1937 hat drucken lassen. Hier ist bereits aus dem Vügelschen ein Vögelschen, aus dem Kapügelsche ein Kapögelschen geworden, aus ü also ö, aus Diek wird Driet, weil Klewer sich das nicht gut vorstellen konnte und vor der Mad ist ein „die“ eingefügt. Ansonsten sind die Noten beibehalten, nur die Textunterlegung wurde neu geschrieben.

Mitglieder des Stammtisches „Aul Ssaan“ und andere haben immer wieder versucht, das Lied durch Textweitergabe an Schulen und durch Abdruck in den Mülheimer Zeitungen lebendig zu halten.
Mathias Scheel hat mit Schülerinnen der Gesamtschule Saarn eine Version auf CD aufgenommen.
Beim Chrubbel-Chrabbel wurde es immer wieder, von der „Mausefalle“ organisiert, gesungen.
Bei den Liedern, die beim Martinsumzug und vor den Haustüren gesungen werden, ist es aber eine Rarität geworden. Hauptgrund: Die Eltern kennen es schon nicht mehr, die Lehrer sind überwiegend keine Mülheimer.

Allein aus den durch das Internet zugänglichen Materialien zum Thema St. Martin (besonders die Seiten der Stadt Mülheim an der Ruhr) ergeben sich eine Reihe von Fragen und neue Sichtweisen auf unser Lied.

1. Wir wissen nicht, welche Literatur Klewer verwendet hat, und was er selbst erforscht hat.
Es gab damals schon wissenschaftliche Untersuchungen zum Martinslied (z.B. Jürgensen 1910)
Seine Deutungen lassen sich also in großen Teilen nicht belegen, sind persönliche Ansichten.
Gleichzeitig ist er auch missverstanden worden. Er hat immer auf die Versionen anderer Gegenden hingewiesen und sie auch zitiert. Sein Stolz hat ihm aber nicht gestattet, klar zu sagen, dass es sich beim Mülheimer SMV um eine von vielen Versionen eines Heischeliedes handelt.

2. Die ausführliche Würdigung der germanischen Wurzeln des Erntedankfestes scheinen uns heute als zeitbedingte Zugeständnisse an den Germanenkult zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Es muss sich aber bei dem SMV gar nicht um einen germanischen Vogel handeln. Es ist nicht einzusehen, warum Klewer den Hahn ablehnt, weil er Thors Vogel ist und nicht Wotans, die Kornweihe aber zulässt, die nun überhaupt nichts mit dem germanischen Götterhimmel und auch nicht mit Martin zu tun hat. Und im Übrigen auch kein rotes Kapützchen trägt. Das rotbraune Federkleid des Greifvogels mag allenfalls im Nacken einige stärkeren Federn aufweisen, aber auch ein Kragen (Kögelchen) kann ihm nicht angedichtet werden.
Das Kapögelsche kann durchaus nur ein willkommenes Reim auf Vögelschen gewesen sein.
Von einem Vögelchen war schon immer die Rede. Es könnte einfach mit der Vorliebe aller Kinder für die kleinen Vögel zu tun haben Das war seit alters her so. Kindchen und Vögelchen gehörten zusammen. Deshalb auch in vielen Kinderliedern anzutreffen. Es scheint so zu sein, dass das Vögelchen im wahrsten Sinne des Wortes ein Lockvögelchen war, um für die Figur des Martin zu interessieren. Eine Version: „Sünner Mertens Vögelken heff so’n rot Kögelken, heff so rot Röcksken an.“( Internet..) Mit dem Röcksken=Mantel wäre die Beziehung zum Heiligen hergestellt.

3. Aus heutiger Sicht wäre St. Martin trotz Mantelteilung keineswegs ein Heiliger, man würde ihm vorwerfen, als Missionar die Heiligtümer der Germanen, sozusagen Weltkulturerbe, vernichtet zu haben. Übrigens immer in Anwesenheit der Besatzungsmacht, also der Römer. Die Germanen mussten ihre Kultur umetikettieren, wenn sie unbehelligt bleiben wollten.
Und in der Tat könnte unser SMV-Lied in den plattdeutschen Teilen so ein Beispiel einer Camouflage sein, und die Erwähnung eines Ssinter Mätes als Namensgeber ein geschickter Überlebenstrick für ein Heischelied, das teilweise auch zu anderen Heischeterminen im Jahr Verwendung fand und außer der zweimaligen Namensnennung mit dem heiligen Martin nichts zu tun hat.

Autor:

Franz Bertram Firla aus Mülheim an der Ruhr

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