Stücke 2019
Alles nur Theater? - Missbrauch im österreichischen Skiverband
"Das ganze Unglück kommt vom Sport." Schon mit dem Einleitungssatz von Elfriede Jelineks Werk "Schnee Weiss - Die Erfindung einer alten Leier" scheint alles gesagt. Allein, der Sport ist nur ein Ort, wo sich Siegeswille und die Angst vor der Niederlage, Macht und ihr Missbrauch, Männer und Frauen gegenüberstehen. 125 Minuten ohne Pause drehte sich auf der Bühne alles um sexuellen Missbrauch, Unterdrückung und Willkür. Der Zuschauer war gefordert und wurde belohnt.
Von Andrea Rosenthal
Bereits zum 20. Mal ist Elfriede Jelinek für den Mülheimer Dramatikerpreis nominiert. Schon viermal gewann sie den Wettbewerb, im Vorjahr verliehen ihr die Zuschauer für "Am Königsweg" den Publikumspreis. Auch das aktuelle Werk "Schnee Weiss - Die Erfindung einer alten Leier" folgt ihrem bewährten Textaufbau: ein aktueller Anlass - hier die #MeToo-Debatte im österreichischen Skiverband - wird vor historischen und kulturellen Vorlagen reflektiert.
Eine gelungene Inszenierung von Regisseur Stefan Bachmann, der Jelineks verschiedene Textebenen durch eine eingängige Bildsprache unterstützt. Da ist zum einen der aktuelle Bezug, der Missbrauchsvorwurf im österreichischen Skiverband. Die Kulisse, der Berg mit Abfahrtshang, der Skizirkus mit Aktiven und Trainern, Opfern und Tätern, und dazu die heilige Kuh "Skisport", die über den Berg getrieben wird und sich schließlich als Messias erhöht als "erstes Opfer" auf selbigem wiederfindet. Jelineks Text spielt mit Worten und Doppeldeutigkeiten, gerne mit einer Portion Humor, den Ernst des Themas jedoch nicht vergessen lassend.
Für die zweite Bedeutungsebene, die Metaphorik der Kopftrophäe, wird die Bühne gedreht. Der Berg wird zur Ausstellungsvitrinie eines Museums, in der sich der Kopf als maximal kastrierter Täter sowie Opfer und Gehörnte wiederfinden. Geschlechterrollen werden hinterfragt. Fragen nach Schuld und Sühne kommen auf. Kommentiert wird alles von Margot Gödrös als Gottvater, Vorsteherin des Skiinternats und Verbandsoberen. Dornengekrönte und Engelsfiguren beobachten stumm mahnend das Geschehen. Eine Demontage christlicher Moralvorstellungen. Die Opfer werden nicht geschützt, sondern verurteilt.
Elfriede Jelinek macht es dem Zuschauer nicht leicht. Das Stück endet nicht mit einer Auflösung des Konflikt, sondern wechstelt zu einer völlig neuen Szene. Auf dem Flughafen von Kuala Lumpur wird der Halbbruder des nordkoreanischen Präsidenten von zwei Frauen mit einem Nervengift ermordet. Die Überwachungsvideos zeigen die spielerisch tanzenden, das Opfer umgarnenden Frauen, die nach der Tat unbehelligt davon kommen. Ein Ende, das keines ist, sondern eher ein Cliffhanger zu einem neuen Stück. Wer weiß, vielleicht zeigt Elfriede Jelinek die Auflösung bei den Stücken 2020.
"Schnee Weiss - Die Erfindung einer alten Leier" verlangte dem Publikum nicht nur aufgrund seiner Länge viel ab. Letztlich blieb das Thema Geschlechterkampf und Machtmissbrauch, auch wenn es von vielen Seiten beleuchtet wurde. Die mitreißende Inszenierung ließ über einige Längen hinwegsehen. Das Publikum zollte Schauspielern, Regisseur und Autorin den gebührenden Respekt. Begeisterung sieht jedoch anders aus!
Autor:Andrea Rosenthal aus Mülheim an der Ruhr |
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