Ein Bericht von Rolf Blessing
61. Mülheimer Lesebühne vom 03. Mai 2019 im Hotel Handelshof
61. Mülheimer Lesebühne
03.05.2019
Was tun? Die Lit.Cologne ist vorbei und die Ruhrfestspiele mit den Literaturgrößen Hertha Müller, Georg Stefan Troller und Louis Begley werden erst in diesen Tagen beginnen. Außerdem steht zu erwarten, dass die Tanzkünste von Oliver Pocher bei Lets Dance im Freitagabendprogramm von RTL keinen Krümel vom Tisch reißen werden.
Also: Lesebühne im Handelshof.
Und da wird auch einiges geboten. Zum Beispiel der Transport in eine ganz andere Welt, die des Traums. Wolfgang Brunner ist längst kein Unbekannter mehr und hat sich in den letzten 10 Jahren einen hohen Bekanntheitsgrad erarbeitet, der nicht zuletzt auch durch seine Vielseitigkeit begründet ist. So hat er sich bei seiner Lesung diesmal für eine Geschichte entschieden, die sich mit dem Träumen beschäftigt. Die Hauptfigur scheint ein Apfelbaummann zu sein, der zu tun hat mit dem Löwenzahnmädchen mit kanariengelbem Köpfchen, der Katzenkatze und mit dem Riesen Hypnos. Auf die Fragestellung, wie man Träume macht und sie in die Köpfe der Schlafenden bringt, lautet die Parole: An die Arbeit ihr Traumgespinster und Illusionisten!“ Die sehr bildhafte Sprache des Autors überzeugt, seine Bilder sind stimmig und jeder wird angeregt, über das Träumen nachzudenken.
Unser Sonnensystem bestand einmal aus 10 und nicht aus 8 Planeten und da war Einiges los. Natalie Peracha verarbeitet in ihrer 7-teilige Science-Fiction/Fantasy Saga „Planeten der Nacht – Im Sturm der Schatten“ dieses Thema. Dabei tauchen auch bekannte Motive des Fantasie-Genres auf, an die sie sich mit ihren gerade mal 20 Jahren gerne schon mal anlehnt. Wer wissen will, welche Rolle dabei Nemesis, die griechische Rachegöttin, spielt, muss es selbst nachlesen.
Jaana Redflower trat insgesamt vier Mal auf; drei Mal mit Gesang zur Gitarrenmusik und zusätzlich als Autorin (Jennifer Schareina) des postapokalyptischen Endzeit-Szenario Werkes „Der Tag, an dem die Vögel schweigen“ auf. Als Musikerin bereits bekannt und für ihre wundervolle, unverwechselbare und in jeder Hinsicht tolle Stimme bekannt, begeisterte sie alle Anwesenden aufs Neue. Gemeinsam mit Adrian Klawitter (Gitarre) präsentierte sie, gut aufeinander abgestimmt, zahlreiche Stücke und konnte dabei auch ihre sentimentale Seite zeigen.
Ihre Lesung fesselte ebenso, wobei es ganz schön gruselig zuging. Bedrohliche Szenen z. B. eine Jagdszene im Moor, wo es angeraten schien, besser nichts, aber wirklich gar nichts anzufassen, sowie der anschließende Verzehr der erlegten Beute, spalteten das Publikum bei der Frage, etwas Solches erleben zu wollen oder nicht.
Ulli Engelbrecht kramte in seinen Erinnerungen und versetzte sich in die Blickrichtung einer Single-Schallplatte (love hurts – Nazareth 1976, 3:53 Min, 45 Umdrehg.) aus den 70-er Jahren; wie der Name „Mehr als nur ein dummes rundes Ding“ schon sagt. Der Titel dreht sich um diese Zeit, und wer sie selbst miterlebt hat (wie ich), fängt bei der Nennung von Namen wie Led Zeppelin, Uriah Heep, Carlos Santana, Deep Purple usw. sofort das Schwärmen an. Begleiterscheinungen wie Zungenkussversuche oder TRiTOP-Trinken spielten in dem Vortrag auch eine Rolle
Dieter Radtke beschäftigt sich in seinen zahlreichen Gedichten mit vielen Nuancen zum Thema „Tanzen“ (u. a. Tanzende Sehnsucht, Tanzen in der Einsamkeit, Tanzsaal an Bahngleisen, Tanzloser Tanzsaal, Tanz des Todes, Tanz im Sternenlicht). Es steckt sehr viel Gefühl darin („blau ist der Wein in deinen Augen, ich trinke ihn aus) und so dürfen einige seiner Werke unter der Überschrift „Liebesgedichte“ firmieren.
Dietmar Ostwald’s „Die Diener des ehrenwerten Herrn Exitus“ ist ein Krimi der besonderen Art und läßt sehr viel präzise Einblicke in die Verhältnisse in der ehemaligen DDR zu. Gerade als „Hermann“ noch mit sich kämpft, seinem Gefühl, die Veranstaltung auf der Bühne zu stören, nachzugeben, fallen Schüsse und er wird Zeuge eines Attentates („auf Schönfeld ist geschossen worden“). Das spätere Treffen im „Löwen“ mit dem Kommissar Rolf (Lockenkopf), läßt den politischen Hintergrund erahnen.
Renate Rave-Schneider machte ohne Umschweife schnell klar, dass sie als Radiomoderatorin viel Routine hat, einen komplexen Stoff zu vermitteln und dafür Begeisterung zu wecken. Ihre Kompetenz in Sachen „Eduard Mörike“ wirkte ansteckend und so mancher im Publikum fühlte sich in seine Schulzeit zurückversetzt. Darüber hinaus konnte sie klassische Gedichte von Mörike auswendig rezitieren. Im Mittelpunkt stand das Gedicht “Die Geister am Mummelsee“ (1829) des bekannten deutschen Lyrikers und vorgetragen wurde quasi eine Reisebeschreibung eines Ausflugs rund um diesen See (Seebach im Schwarzwald). Die dabei verwendeten gedanklichen vier Bilder machten das Publikum neugierig auf den Vortrag des Gedichttextes (Vom Berge was kommt dort …), was von der Autorin Sybille Lengauer übernommen wurde.
Diese Autorin trug anschließend aus der Gedankenwelt der letzten Augenblicke eines Selbstmörders vor. Wie es scheint, ist man nicht allein, wenn man sich im Wald erhängt und bekommt Besuch von der sprachlosen aber nicht geräuscharmen Hirschfrau. Es dauert eine Weile, bis diese nach Moschus, Jasmin und Fingerhut riechende Erscheinung eine Seele gefressen hat und was sich bis zum endgültigen Exitus noch so alles ereignen kann, ist schon erstaunlich.
Zusammenfassend und zwei Vortragsthemen dieses schönen Lesebühne-Abends miteinander verbindend, schließe ich mit einem Ausschnitt aus „Seltsamer Traum“ von Eduard Mörike (1828):
Ich sahe nächtlich hinter Traumgardinen
Viel Frühlingsgärten blühn und immer ändern;
Es tanzten, klein, auf zierlichen Geländern
An hundert Figaros mit Cherubinen.
RB 08.05.2019
Autor:Manfred Wrobel aus Mülheim an der Ruhr |
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