Seit einem Jahr auf der Flucht: Ayman Aljllad (27) durchlebte Schreckliches

Doris Bücken (li.) und Brigitte Oehring haben große Freude an der männlichen Verstärkung durch Ali Hamdan (li.) und Ayman Aljllad in ihrer Näh-Gruppe beim „Bunten Tisch“. | Foto: Heike Cervellera
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  • Doris Bücken (li.) und Brigitte Oehring haben große Freude an der männlichen Verstärkung durch Ali Hamdan (li.) und Ayman Aljllad in ihrer Näh-Gruppe beim „Bunten Tisch“.
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Er ist seit einem Jahr tausende Kilometer weit weg von Zuhause, musste den Verlust von Familie, von Freunden, von sicherem Grund und Boden hinnehmen, wurde gefangen genommen, gefoltert, musste gar Köpfungen mit ansehen. Ayman Aljllad ist Syrer und seit einem Jahr auf der Flucht.

Er musste einen weiten Weg auf sich nehmen, um in Moers anzukommen. Und hier schmerzlich zu warten, zu bangen – um endlich die Anerkennung zu erlangen. Die Abschiebung ist erst einmal abgewiegelt – doch wann kann der 27-Jährige wieder ein normales Leben führen, seine Familie und seine zwei Kinder wieder sehen? „Das Bangen und Warten ist fürchterlich.“

"Es regnete Bomben"

Geboren in Nordost-Syrien, 120 Kilometer von der türkischen Grenze entfernt, ist er zur Schule gegangen, hat sein Abitur gemacht und ein Studium zum Übersetzer begonnen. Dann kam der Krieg. Er ist verheiratet, hat zwei Töchter, eine ist zwei Jahre alt, die andere erst acht Monate. Die jüngere hat er noch nie zu Gesicht bekommen. „Die Situation kippte irgendwann, Demonstrationen wurden verboten, die Uni wurde geschlossen. Als die Stadt sich unabhängig vom Regime machte, also befreit wurde, hat es richtig angefangen: Es regnete Bomben, einige Freunde und ich haben Zuflucht beim türkischen roten Halbmond gesucht. Wir haben dort mitgearbeitet, nicht nur Zuflucht gesucht. Nach den Bombardements haben wir Verletzte versorgt, Lebensmittel verteilt.“

"Wir hätten jederzeit festgenommen werden können"

Bewegt erzählt er weiter: „Nach einiger Zeit zeigten sich die ersten Anzeichen des islamischen Staates. Weil wir ausländische Hilfe angenommen hatten, galten wir als Ungläubige.“ Seiner wie vielen anderen Familien wurde alles genommen, sämtliche persönliche Unterlagen wurden beschlagnahmt. „Wir hätten jederzeit festgenommen werden können. Die hatten ja alle Papiere.“

Gequält, gefoltert, Gehirnwäsche

So kam es: Die IS nahm auch ihn fest. Sechs Monate verbrachte er im Gefängnis – wurde gequält, gefoltert, einer Gehirnwäsche unterzogen. Ein Bombenangriff der regulären Armee von Syrien kam ihm zugute: Die Gefängnismauern wurden getroffen, ihm gelang die Flucht. Tagelang versteckte er sich. „Wir konnten nur nachts laufen. Tagsüber war es zu gefährlich, entdeckt zu werden.“ Er ist Richtung Türkei gelaufen, wollte aber eigentlich zurück, nach Hause. „Mein Vater hat gesagt: Wenn du sterben willst, dann geh bitte weg. Ich will das nicht sehen.“ Von der IS wurde er als Deserteur hingestellt, aber er – und auch seine Familie – wussten es besser.

Essens-Entzug

Seine Stationen: Istanbul, wo er als Schneider gearbeitet hat. Von dort mit Schleppern nach Griechenland. Dort wurde er festgenommen, zwei Tage Gefängnis. In zwei Wochen erreichte er Mazedonien, weiter ging es nach Serbien und nach Ungarn – alles zu Fuß. In Ungarn wurde er wiederum festgenommen. „Sie wollten unsere Fingerabdrücke. Die haben sie erzwungen durch Essens-Entzug, wir durften keine sanitären Anlagen aufsuchen, wurden geschlagen.“ Klein beigegeben erreichten sie Deutschland . „Über München wurden wir nach Bielefeld geschickt. Von dort aus nach Moers.“

Das ist jetzt über ein Jahr her. Seitdem verzehrt sich der 27-Jährige nach seiner Familie, seiner Frau und seinen Kindern, die erst in den Libanon geflüchtet sind, jetzt aber wieder in ihrem Zuhause sind. „Die IS wollte unser Haus beschlagnahmen, aber meine Familie war stark“, so Ayman Aljllad. „Sie haben so getan, als ob sie nichts mehr mit mir zu tun haben. Von da an war alles ok. Sie lassen sie in Ruhe“, erzählt er mit tränenerstickter Stimme. „Wenigstens das.“

Am 15. September 2014 ist Ayman Aljllad von Zuhause geflüchtet – über Ungarn. „Die Richter haben ihm bei seiner Verhandlung die Abschiebung erspart“, so Amar Azzoug, Leiter des Bunten Tisches Moers. „Gott sei Dank. Weil er ansonsten in Ungarn sofort wieder ins Gefängnis gekommen wäre.“ Nach dem Dubliner Abkommen werden Flüchtlinge, die über Drittstaaten einreisen, in das Land zurückgeschickt, über das sie eingereist sind. „Ungarn und Italien – dort werden die Menschen sofort wieder ins Gefängnis gesteckt, wenn sie von Deutschland ausgewiesen werden“, weiß Azzoug zu berichten.

"Syrien ist Vergangenheit, eine Rückkehr unmöglich"

„Dies ist nur ein Schicksal von vielen. Die Flüchtlingsheime sind voll, auch hier in Moers. Syrien ist Vergangenheit, eine Rückkehr so einfach unmöglich. Eine schnelle Integration deswegen umso wichtiger. Wir tun hierzu, was wir können.“
„Ich habe so viel Glück gehabt, hier zu landen“, erzählt Ayman Aljllad. „Mein Richter hatte ein Einsehen, das kann ich gar nicht genug wertschätzen.“ Was das Schlimmste war? „Meine Familie nicht sehen zu können, einer Hinrichtung beiwohnen zu müssen, die Demütigungen auf sich zu nehmen.“ „Und jetzt: Das Warten auf Anerkennung oder sonst ein Zeichen.“ Er weint. Bitterlich.

"Ich möchte nur ein wenig Frieden - und meine Familie"

Weil: Ohne Anerkennung wird er seine Familie nicht wiedersehen, nicht zu sich holen können. Ayman Aljllad hat durch unvorstellbaren Optimismus und Willen mittlerweile eine Wohnung, besucht Sprachkurse, gibt sein Wissen als Schneider weiter im Nähkurs des „Bunten Tisches“, besucht das Berufskolleg, ist integriert und hilft anderen Flüchtlingen, die tagtäglich nachfragen, Hilfe und Rat benötigen. „Ich helfe, weil mir selbst geholfen wurde. Ich bin dankbar, sehr sogar. Ich werde in Deutsch fit gemacht, darf zur Schule gehen, und hoffentlich darf auch dadurch die Vergangenheit langsam heilen. Ich möchte nur ein wenig Frieden – und meine Familie.“

Seit dem 1. Februar koordiniert der Verein „Bunter Tisch Moers e.V.“ die Hilfsangebote für Flüchtlinge. Die Arbeit fußt auf vier Bausteinen. Neben der Koordinierung der Angebote (wie etwa Sprachunterricht, Sport, Spenden und Wohnungssuche) sind das die Bereiche „Infos & Austausch“, „Jugend & Bildung“ und „Begegnung & Sensibilisierung“.

Autor:

Monika Meurs aus Moers

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