Moers Festival 2022: Es ist an einem guten Ort!
Neue Konzepte prägen das Festival in vielfacher Weise
Das diesjährige Programm an den vier Tagen zu Pfingsten bot eine in der Geschichte des Festivals noch nie gebotene Vielfalt. Das Team um den künstlerischen Leiter Tim Isfort und der Geschäftsführerin der Moers Kultur GmbH, Jeanne-Marie Varain, stellten den Besucher*innen eine Auswahl vor, die seinesgleichen sucht. In der Festivalhalle, am Rodelberg und in und auf dem Gelände des Gymnasiums Filder Benden sowie der Musikschule waren das Hauptprogramm zu hören. Die Nebenreihen fanden an weiteren 17 Orten im Stadtgebiet statt. Dieses große Programm wurde ganz bewusst entworfen, die Gäste sollten keinem vorgegebenen Plan folgen, sondern für sich selbst individuell die Projekte besuchen, deren Interesse geweckt wurde. Die drei Haupt- und einige Nebenspielorte sind zu Fuß innerhalb von fünf Minuten wechselbar, so dass sich jeder analog, digital und hybrid faszinieren lassen konnte. Für die Augen und die Ohren gab es somit Musik, Klanginstallationen und „Mit-mach-Aktionen“. Alle konnten ihren Interessen nachgehen und sich dennoch auf neue Experimente einlassen, frei nach dem Motto: Es ist für jeden etwas dabei, dennoch, sehr wichtig, keine Beliebigkeit.
Dass die Zukunft von Festivals digital, analog und hybrid sein wird, steht nach den zwei Pandemiejahren fest. Im Jahr 2020 wurden alle Konzerte online übertragen, dito 2021 mit zusätzlichen zwei Abenden Live-Musik am Rodelberg. Nun, 2022, ist das mœrs festival hybrid, Live-Performences und Internet-Streams nebeneinander, Live-Auftritte mit Ergänzungen aus dem World Wide Web, eben Mischformen. Das Festival-Team lernte sehr viel während der Coronazeit, dieses Hybrid-Konzept ist kein Experiment mehr, es ist die Zukunft und andere Festivals werden dem Moers-Trend folgen.
Die „Stammkundschaft“ mag sich bei der Durchsicht der Programmankündigung gewundert haben, denn es fanden sich keine „großen“ Namen der Jazz- und Impro-Szene auf der Website. Sebastian Schwenk und Tim Isfort als Programmplaner verzichteten ganz bewusst auf bekannte Namen, auch dies ist ein Bestandteil der Konzeption dieses Festivals. Die „Großen“ erhielten ad hoc nach Nachlassen des Pandemiegeschehens von ihren Agenturen und den Veranstaltern gut dotierte Engagements – die Solo-Künstler*innen und Combos mit kleinerem und mittlerem Bekanntheitsgrad nicht. Moers bot die Chance, Aufmerksamkeit zu erregen und auch etwas zu verdienen. Es sind so Viele, die nach den zwei Jahren Schwierigkeiten haben, wieder Fuß zu fassen und die um jeden Gig froh sind, um Einnahmen zu generieren. An Pfingsten boten alle 205 Musiker*innen aus 25 Ländern eine hervorragende Performance, das Selbstverständnis wieder als Künstler*in angenommen und wertgeschätzt zu werden, war in den Gesichtern zu lesen.
Ein besonderes Experiment startete Tim Isfort und seine Crew mit der neuen Reihe „@the same time“. Hierbei musiziert ein Teil der Musiker*innen auf der Bühne in der Festivalhalle, der andere Teil der Combo zur selben Zeit auf der Bühne am Rodelberg. Anschließend werden beide Teile digital zusammengefügt. Auf der Website sind ab nun und das ganze Jahr über die vollständigen Konzerte zu hören und zu sehen. Dieses Konzept verwirrte anfangs die Besucher*innen, doch nach weiteren Erläuterungen unmittelbar vor den Auftritten wurde es verständlich und angenommen, die jeweiligen „Hälften“ waren gut besucht.
Und das Festival-Team setzte noch eins „drauf“: Eines der @the same time – Konzerte spielten zwei Menschen und zwei Roboter! Florian Walter und Tizia Zimmermann trugen ihren Part am Rodelberg vor, zeitgleich tobten sich die Compressorhead’s Stickboy (Drums) und Bones (E-Bass) in der Festivalhalle aus. Die beiden Roboter sind programmiert und in Szene gesetzt von ihrem Erbauer und Programmierer Frank Barnes. Bones spielte einen trockenen Bass und Stickboy bearbeitete knallhart die Drums und Hi-Hats. Unbedingt ansehen!
Nach annährend drei Jahren unermüdlicher Ausdauer des Teams und mit großem Engagement der deutschen Botschaft war es gelungen, die Gamo Singers aus Äthiopien einzufliegen. Äthiopien ist ein Bürgerkriegsland, es gibt kaum möglich, ein- oder auszureisen. Die neun Frauen und drei Männer, alle schon im fortgeschrittenen Alter, hatten bislang noch nie ihr Land verlassen, noch nicht einmal ihre Region. Nun standen sie in einem fremden Land vor mehr als 1000 ihnen unbekannten Menschen. Sie trugen ihre Art des Singens, ihre Art des Tanzens und damit eine uralte Kultur vor, die aktuell niemand sonst auf dem Planeten sehen kann. Der Auftritt wurde minutenlang bejubelt.
Am Rodelberg zeigten der Japaner Shoji Hano am Schlagzeug und Hans Peter Hiby am Saxophon, was solch ein kleines feines Duo ausmacht. Hano begann im Alter von vier Jahren zu trommeln, seit Ende der 1970er Jahre ist er in Japans Szene bekannt. Peter Brötzmann trat mit ihm auf, seitdem ist Hano der deutsche Free Jazz sehr wohl bekannt. Mit Peter Hiby, der sein erstes Tenor-Sax von Brötzmann erhielt, hatte er einen kongenialen Partner auf der Bühne, bei dem der intensive Austausch ihrer jeweiligen Ideen und seien sie noch so komplex, zu äußert variantenreichen Improvisationen führte.
Sana Nagano enterte die Festivalhalle mit ihren Smashing Humans, einem international besetzten Quintett. Nagano startete als Dreijährige mit ihrem Violinenunterricht, studierte in den USA, spielte in mehreren Big Bands und Combos bis sie ihre Smashing Humans gründete. Da standen Sechs auf dem Podium, die die feingegliederten Kompositionen Naganos detailgenau umsetzten.
Bei dem Namen Vienna Improviser Orchestra denken viele Mœrsianer an das Vienna Art Orchestra, das in Moers große Erfolge feierte. Doch ein Vergleich bietet sich nicht, das 15-köpfige Orchester unter der Leitung von Michael Fischer unterscheidet sich erheblich in der Besetzung und in den Arrangements der jeweiligen Stücke. Nika Zach, Isabell Kargl und Boglárka Bábiczki setzen ihre Stimmen als menschliche Instrumente ein und prägen damit einen eigenwilligen Sound, der zu stehenden Ovationen des Publikums sorgte.
Haydon Chisholm war der Improviser in Residence 2015 und bildete ein Duo mit Wolff Parkinson White. Chisholm ergänzte und ersetzte sein Saxophonspiel mit lyrischem Sprechgesang, dass mit den experimentellen Sounds Whites (Synthesizer et cetera) einen Klangteppich knüpfte, der durch seine immer wieder nicht erwartbaren Veränderungen faszinierte. Im Anschluss des Auftritts ließ White ein Statement an das Hintergrundbild werfen: „Fuck Spotify“, eine unmissverständliche Kritik an diesem Musikdienstleister, wobei beim Unternehmen 90% der Einnahmen (nicht validierbar) verbleiben und die Künstler*innen die Dummen sind.
Bitte im zweiten Teil weiterlesen. Danke schön.
Klaus Denzer
Autor:Klaus Denzer aus Moers |
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