Das Moers Festival vier Tage live und in Farbe für jeden zu sehen
mœrs festival Phase II – Die Umlaufbahn ist erreicht
Am Freitag startete das Raumschiff „mœrs festival“, am Samstag hat es die erste Umlaufbahn erreicht auf der die Hardcore-Fans der Improvisationsmusik reichlich beschert wurden. Aus der Festivalhalle brachte der Live-Stream gehörig viel Dampf in die Wohnzimmer dieses Planeten oder wo auch immer die Zuschauer die Gigs verfolgten. Die Crew um Tim Isfort erdachte sich um die Konzerte herum ein umfassendes Unterhaltungs- und Mitmachprogramm, wozu das Internet reichlich viele Gestaltungsmöglichkeiten bietet. Der Aufforderung via Twitter, Facebook, Insta-Kram und dergleichen das Festival mit zu gestalten, wird von den Zuschauern fleißig aufgenommen. Manche senden vierminütige Filme ein, wobei „sie“ die Regisseurin und Kamerafrau zugleich ist, und „er“ einen Festivalbesucher darstellt – gekonnt! Andere senden Photos mit den Orten, an denen der Stream verfolgt wird, beispielsweise bauten begeisterte, langjährige Moers-Besucher ein Scheunen-Kino, indem sie und Freunde die vier Tage verbringen. Es melden sich aber auch Musiker, die in den letzten Jahrzehnten Gast in Moers waren. Jamaaladeen Tacuma postete etwa, sinngemäß, wie großartig er die Idee findet, trotz der Corona-Beschränkungen den Musikern, die seit knapp drei Monaten ohne Auftritte und Gagen sind, nun endlich mal wieder einen guten Ort zu bieten, sich präsentieren zu können. Der gute Ort Moers zeigt der musikalischen Weltgemeinschaft „was geht“.
Zur Überraschung Vieler funktioniert der Live-Stream ausgesprochen gut. ARTE liefert einen fantastischen Job ab. Der Ton ist ausgezeichnet, die Kameraführung exzellent. Für das Bildmaterial setzt ARTE zwei fahrbare Hauptkameras ein, zwei Mitarbeiter sind um die Musiker herum mit Schulter-Kameras unterwegs, einer bedient eine voll schwenkbare Kamera an einem 5m langen Stativ, zudem gibt es eine Kamera hoch oben an der Decke der Halle. Das Licht ist wohl dosiert, insgesamt arbeitet eine Hand in die andere. Dem entsprechend ist das allgemeine Lob vor Ort und in den sozialen Medien hoch.
Marlies Debacker aus Belgien eröffnete den Samstagnachmittag musikalisch. Zusammen mit Carl Ludwig Hübsch (Tuba), Florian Zwißler (analogem Synthesizer) und Etienne Nillesen (Schlagwerk) holte die Pianistin alle denkbaren und nicht für möglich gehaltenen Töne aus einem Instrument, das man eigentlich über die schwarzen und weißen Tasten bespielt. Doch Debacker schnarrte die Saiten im Inneren des Pianos mit den Fingern und diversen Hilfsmitteln an, klopfte und drückte, bezog die Pedale mit ein und war somit in der Lage, permanent zwischen dem konventionellen Sound des Pianos und einem perkussiven und pseudo-elektronischen Sound hin und her zu wechseln. Auch Hübsch spielte seine Tuba auf zwei Weisen, traditionell und eher ... untraditionell, in dem er statt des Mundstücks beispielsweise über einen Schlauch Luft zuführte. Nillesen begnügte sich im Prinzip mit einer Snare-Drum, die er, analog zu Debacker und Hübsch, unterschiedlich mit verschiedenartigen Gerätschaften anschlug, streichelte, beklopfte oder tatsächlich mit Trommelstöcken spielte. Zwißler wiederum drehte an den Reglern seines Synthesizers und hatte daran einen flötenartigen Stab angeschlossen, mit dem er seine Töne produzierte. Das Zusammenspiel der Vier offenbarte eine hohe Improvisationskunst und zeigte, dass die leisen und die langsamen Passagen oftmals die Hörenswertesten sind.
Nach diesem Quartett trat Wolfgang Puschnig zu seiner Solo-Saxophonnummer an, es folgte mit „Ventil“, „LFANT“, „Askari/Jeffery/Klare/Krämer“ und „Reluctant Games“ ein Jazz&Impro-Höhepunkt nach dem anderen. Niels Klein brachte eine Komposition mit nach Moers, die er für sein Trio und das EOS Kammerorchester Köln schrieb. Laut seiner Aussage mischen sich Improvisationen und komponierte Elemente und erzeugen etwas Neues jenseits von Klassik und Jazz. Die darauf folgenden „Gewalt“ rissen mit ihren punk-artigen Stücken alles harmonische ein, residieren sie doch unter den Begriffen Avantgarde, Noise, Dance, Industrial und Existentialism. Silke Eberhard „beruhigte“ mit ihren Gästen wieder die Jazzgemeinde, „Gywn Wurst“ ist eine Kunstfigur von Antoine Arnera, dem Keyborder von „PoiL“, die am Freitag auftraten. Er arbeitet mit Samples und vorproduzierten Sounds, die er zu seinen Klängen aus dem Keyboard hinzuspielt. Zum Abschluss des Samstages traten noch das Duo „Training“ auf sowie wiederum drei Formationen in der Reihe der „mœrs sessions“.
Autor:Klaus Denzer aus Moers |
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