Das Moers Festival vier Tage live und in Farbe für jeden zu sehen
mœrs festival Phase I – Das Raumschiff ist gestartet

Stillman/Burgwinkel/Landfermann | Foto: André Syman / mœrs festival
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Mit dem ersten Ton in der Festivalhalle am Freitagnachmittag startete das Moerser Raumschiff in eine unbekannte, eine bislang unentdeckte Dimension des Festivalmachens. Erstmals präsentiert sich ein Festival dieser Größe und Bedeutung komplett als Live-Stream im Internet. Weltweit ist dieses Event vier Tage lang kostenfrei zu sehen und zu hören. Das Vorhaben wird dieses Jahr nicht allein von der Musik bestimmt, da dürfen sich Tim Isfort, der künstlerische Leiter, und sein Team sicher sein, denn die Themen Technik und Gesundheit werden auch die Gespräche und Diskussionen bestimmen.

Die Festivalhalle ist ein großes TV-Studio, vollgepackt mit Technik für die Bild- und Tonübertragungen, die beiden Bühnen befinden sich diametral gegenüber und sind zirka 18m auseinander. In der Mitte sind die Bild-, Ton- und Lichtregie platziert, so dass sich die Tontechniker et cetera nur nach links oder rechts umdrehen müssen, um die Musiker in Szene zu setzen. Während auf der einen Bühne musiziert wird, wird auf der anderen für das nächste Konzert aufgebaut. Zur gleichen Zeit dürfen nur 100 Personen in der Halle sein, spielt eine Großformation wie „The Dorf“, nähert man sich dieser Zahl inklusive aller Techniker und Helfer schnell an, dann können nur wenige Musikredakteure und Fotografen dem Auftritt beiwohnen. Außer den Musikern tragen alle anderen Gesichtsmasken oder „Visiere“. Auf dem Boden sind rote Punkte aufgebracht, nur dort dürfen die wenigen Stühle in etwa 2m Abstand stehen. Jede Stunde wird ein detaillierter Putzplan in der Halle, in den Vorräumen und in der Eishalle abgearbeitet. In der Eishalle findet die Essensversorgung der Musiker statt und dort werden auch die Umkleidekabinen genutzt. Zudem dient sie als Erholungsort für die Volunteers und es gibt einen Interviewbereich. Ist der letzte Ton eines Auftritts verklungen, gibt es die deutlich hörbare Anweisung der Regie, alle (Notausgangs-) Türen zum Lüften zu öffnen. Insgesamt lässt sich festhalten, dass alle erdenklichen Maßnahmen zum Gesundheitsschutz erdacht und eingehalten werden.

Das Freitagsprogramm bot eine typische, ja, das kann man im vierten Jahr seiner Regie so sagen, Tim-Isfort-Mischung. Es eröffneten die drei lustigen Herren von „PoiL“ aus Frankreich, es folgte Jan Klares „The Dorf“, anschließend boten das Auner Quartett, unterstützt vom Landesjugendorchester NRW, Beethoven-Werke dar. Dies war solchermaßen bemerkenswert, die musikalische Umsetzung geriet großartig, und da in dem Beethovenjahr 2020 aus bekannten Gründen nahezu alle Veranstaltungen zum Jubiläum abgesagt werden mussten, war das ein Genuss für alle Klassikerfreunde.

Luise Volkmann leitet das Ensemble „Été Large“, ein Kollektiv von 13 Musiker*innen aus sieben Nationen. Sie fand es großartig, dass sie in Moers endlich wieder eine Möglichkeit hatte, aufzutreten. Sie äußerte sich zwischen zwei Songs wie folgt: „... wenn alte Räume verschwinden, man neue Räume finden kann, und das man halt eben in dieser Interaktion, in der man es macht, weiß, was man schaffen kann, und einfach so die Gesellschaft auch weiter bringt und ich hoffe wirklich, das nach Corona die Kultur in der Bedeutsamkeit für Publikum und für Musiker weiter, ja wichtig, einen wichtigen Stellenwert in der Gesellschaft hat und ich danke dem mœrs festival ganz herzlich für diese Initiative.“ Dem ist nichts hinzu zufügen.

Dass Chilly Gonzales in Moers auftrat, war eine absolute Überraschung, denn der Improvisationsanteil an seinen Stücken ist überschaubar. Doch Gonzales ist ein brillanter Unterhalter und seine Pianokunst belebte die musikalische Mischung des ersten Tages. Sein Auftritt zeigte alles, was modernes Spiel ausmacht, vom Beherrschen des Boogie-Woogie, der Auseinandersetzung mit Jazz-Klassikern wie „Take Five“, dem Reduzieren einer Melodie bis zur Minimal Music eines Steve Reich und schnellen, impulsiven Kompositionen. Eltern, wenn sich eure Kinder diesen Auftritt ansahen, dann wundert euch nicht, dass eure Mädchen nicht mehr mit adrettem Pferdeschwanz am Klavier sitzen, sondern das offene Haar wild hin und her werfen, dass eure Jungs nicht mehr brav auf dem Schemel sitzen, sondern stehend die Klaviertastatur bearbeiten. Dann, liebe Eltern, werden aus euren Kindern keine Notennachspieler*innen, sondern wahre Pianist*innen, die das, was sie sehen, hören und fühlen in Töne umsetzen.

Die weiteren Protagonisten des Freitags waren: „nine for three“, „Stillman/Burgwinkel/Landfermann“, „BÖRT“, „André O. Möller with the Ensemble Just Systemrelevant" sowie die von Jan Klare kuratierten Künstler der „mœrs sessions“. In drei unterschiedlichen Besetzungen zeigten diese Profis, wie sie sich in kürzester Zeit auf einander einspielen können. Der erste Tag endete weit nach Mitternacht nach annährend zwölf Stunden Übertragung.

Autor:

Klaus Denzer aus Moers

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