Steag Lünen
Kraftwerks-Aus - der Riese geht in Rente

Gehörschutz mussten die Beschäftigten sonst hier tragen - nun herrscht Stille in der Halle neben der Rauchgas-Entschwefelungsanlage. | Foto: Magalski
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  • Gehörschutz mussten die Beschäftigten sonst hier tragen - nun herrscht Stille in der Halle neben der Rauchgas-Entschwefelungsanlage.
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Bauarbeiter modernisieren im Hof hinter der Verwaltung in diesen Tagen die Kanalisation. Vorschrift ist Vorschrift, dass das Steag-Kraftwerk schon seit Wochen vom Netz ist, spielt da keine Rolle.

Im Dezember noch stand das Kraftwerk in Lippholthausen unter Dampf, erzeugte Energie. Ende des Jahres war dann Schluss mit Strom, Fernwärme und Mineralbaustoffen bei der Steag an der Moltkestraße in Lünen - nach achtzig Jahren. Wenn Kraftwerke in Ruhestand gehen, dann ist das eine Rente auf Raten. Licht aus und Tür zu, das funktioniert nicht bei den Riesen, denn alles muss raus: Kraftstoffe, Fette, Säuren, Laugen, Ammoniak und Gas. "Trockenlegung" wird dieser Prozess in der Fachsprache der Kraftwerker genannt, abgeschlossen sein soll die spätestens Ende Oktober. Firmen geben sich dafür auf dem Gelände die Klinke in die Hand.  Arbeiter eines Spezialunternehmens zerlegen im ehemaligen Trafogarten vor dem Kraftwerk den letzten Transformator, die Teile verschwinden, zum Abtransport bereit, in einem Container. Ein Tanklaster saugt mit zischendem Geräusch Staub aus einer der Anlagen. Im Inneren der Rauchgas-Entschwefelung stehen Männer in Schutzanzügen und lösen mit Hämmern Ablagerungen von den mit Gummi ausgekleideten Wänden. Wo Abgase aus der Verbrennung der Kohle in einem riesigen Turm mit einer Kalklösung zu Gips reagierten, herrscht ansonsten gähnende Leere. Die Flügel des Rührwerks, das die Gipsmasse unermüdlich in Bewegung hielten, wirken wie ein monströser Ventilator.

Maschinen werden per Gesetz zu Schrott

Martin Jann kennt hier jeden Winkel. Der Ingenieur ist verantwortlich für den Umweltschutz und den Immissionsschutz am Kraftwerk Lünen. Jann ist seit über einem Vierteljahrhundert dabei und geht im Herbst in Rente. Feierabend für das Urgestein, zeitgleich mit seinem Kraftwerk. Mitarbeiter begegnen ihm nur selten, als Martin Jann an diesem Morgen durch die Gebäude läuft und über den Hallen, in denen rund um die Uhr Betrieb war, liegt nun eine unwirkliche Stille. Der Ingenieur zeigt den Schmelzkammerkessel, die Kohlemühlen, die Maschinenhalle, den drei Meter hohen Abgaskanal und wenn er über die technischen Superlative des Kraftwerks spricht, ist da nicht nur Stolz. Nein, es klingt fast wie eine Liebeserklärung. Martin Jann fällt es nicht leicht, das Steag-Kraftwerk sterben zu sehen, daran gibt es keinen Zweifel, und so wie ihm geht es vielen Mitarbeitern. Maschinen, die im Kraftwerk stehen, sind voll funktionstüchtig, auf hohem technischen Niveau und doch werden sie per Gesetz zu Schrott. Die Zeiten, in denen chinesische Ingenieure deutsche Technik abbauten und ins Reich der Mitte exportierten, sind Geschichte. "Der Bau neuer Anlagen direkt vor Ort ist deutlich günstiger, als Abbau, Verschiffung und Wiederaufbau", erklärt Kraftwerksleiter Kai Uwe Braekler und ergänzt: "Der Abriss bedeutet immense Wertevernichtung und Wohlstandsverlust."

In Werne endet die nächste Kohle-Ära

Das Ende des Kraftwerks hat auch auf anderer Ebene Folgen. "Arbeitsplätze fallen weg, nicht nur für unsere eigenen Beschäftigten, sondern auch die Firmen, die hier die Instandhaltung gemacht haben", so Braekler. Steag-Mitarbeiter bleiben aber auch in Zukunft in der Region. "Das Trianel-Kraftwerk, hier haben wir die Betriebsführung, wollen wir weiter optimieren, gemeinsam mit unserem Kraftwerk in Heil ist es für sie sichere Energie- und Wärmeversorgung unabhängig von Sonne und Wind in der Region von Bedeutung." Im Stummhafen in Lünen und am Westenhellweg in Bergkamen geht es weiter, dafür endet im Kreis Unna in wenigen Tagen eine weitere Kraftwerks-Ära: In Werne gehen im Kohleblock am Gersteinkraftwerk  die Lichter aus, nach über hundert Jahren.

Thema "Kraftwerk" im Lokalkompass:
> Kraftwerk macht am Abend Geräusche

Autor:

Daniel Magalski aus Lünen

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