Wenn die Ratten aus der Toilette klettern

Wolfgang Schöpper kennt sich gut aus in der Kanalisation. | Foto: Magalski
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  • Wolfgang Schöpper kennt sich gut aus in der Kanalisation.
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Hinter dem Gitter beginnt die Kanalisation. Draußen zwitschern die Vögel, Autos brummen vorbei, die Sonne schickt warme Strahlen zur Erde. Ein paar Meter weiter, im Kanal, ist es kühl und still. Willkommen in der Lüner Unterwelt!

Mit einem Klicken öffnet sich das Schloss. Thomas Richert, Vorarbeiter im Kanalbetrieb, hat den Schlüssel dazu. Bahn frei für den Besuch in der Unterwelt. Der Boden ist weich und mit Schlamm bedeckt. Jeder Schritt der Gummistiefel wirbelt kleine schwarze Wölkchen auf. "Kohlenstaub", bemerkt Wolfgang Schöpper. Der Pumpenwärter kennt sich aus. "Der kommt von der Frydagstraße." Kohle gibt es da genug. Der Regen spült den Staub in den Kanal. Rund 325 Kilometer Kanalisation durchziehen Lünen. In den wenigsten kann man so bequem laufen wie hier. In den kleinen Rohren übernehmen Kamerawagen den Job der Kanalarbeiter. Vom Lüner Stummhafen nimmt ein großes Rohr, Durchmesser 2,20 Meter, das Regenwasser mit. Ein Summen ist zu hören, mal lauter, mal leiser. "Das sind die Autos, die über die Schachtdeckel fahren", erklärt Wolfgang Schöpper. Seine Worte hallen durch den Kanal.
Wenn die Männer des Stadtbetriebes Abwasserbeseitigung Lünen in die Kanalisation steigen, haben sie zwar ein Dach über dem Kopf, müssen aber trotzdem immer auf das Wetter achten. Heute sieht alles gut aus. Sonne und kleine Wölkchen. "Regnet es aber, kann es hier unten lebensgefährlich werden." Wolfgang Schöpper zeigt auf einen schmutzigen Rand an der Mauer des Kanals. Bis da stand das Wasser beim letzten großen Regen. Eine Flutwelle von gut einem Meter, die alles mit sich reißt.
Überhaupt ist es in der Kanalisation nicht ungefährlich. Der Selbstretter ist immer dabei. Die kleine Tasche ist schwer, aber wichtig. Atemluft in einer Stahlflasche und eine Maske finden sich darin. In der Kanalisation können giftige Gase die Luft zum Atmen nehmen. "Hier ist alles in Ordnung." Wolfgang Schöpper tippt auf das Gaswarngerät. Das würde piepen, wenn Gefahr droht. Entsorgt jemand illegal Benzin oder Öl im nächsten Gulli, kann das auch im Regenwasserkanal für dicke Luft sorgen. Im Abwasserkanal macht besonders Schwefelwasserstoff Probleme. Es stinkt wie faule Eier. Kot und Essensreste sind oft der Auslöser.
Was Menschen ziemlich ekelig finden, ist für andere ein Paradies. Ratten! Die kleinen Nager bauen sich aus Binden und Tampons, die durch den Kanal schwappen, ein kuscheliges Nest für ihre Babys. Futtern sich an den Essensresten satt, die einfach in die Toilette geschüttet werden. Wer das macht, hat übrigens gute Chancen, dass bald mal eine Ratte aus der Toilette in die Wohnung klettert. Das ist kein modernes Märchen. Die klugen Ratten folgen dem Geruch der sicheren Nahrung und landen so in der Schüssel. Doch auch wenn Essensreste und Binden nicht ins Klo gehören - das sind noch die harmloseren Dinge, die auf diesem Weg im Abwasser landen. Schmutzige Wäsche, Spritzen, Kondome - all das schwimmt in der Brühe mit.
In der Kanalisation gibt's fast nichts, was es nicht gibt. "Sogar ganze Fahrräder und einen Kaugummiautomaten haben wir schon gefunden", erinnert sich Wolfgang Schöpper.
Am Ende des Tunnels, neben der romantischen Schlossmühle Lippholthausen, verschwindet das Regenwasser aus dem Stummhafen gleich wieder in der Dunkelheit. Im einzigen Regenklärbecken Lünens. Thomas Richert: "Weil gleich nebenan soviel Industrie ist, leiten wir das Wasser nicht ungeklärt ins Rückhaltebecken." Die Lüner Unterwelt, sie ist ziemlich spannend. Doch das ist schon wieder eine ganz andere Geschichte.

Autor:

Daniel Magalski aus Lünen

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