Prozess-Auftakt: Baby lag tot auf der Couch
Ihr Gesicht versteckt die Frau auf dem Weg zur Anklagebank hinter einem Ordner. Montag begann sechs Jahre nach dem Fund von zwei Baby-Leichen vor dem Landgericht in Dortmund der Prozess gegen die Mutter.
Im September vor sechs Jahren brannte es in der Wohnung der Frau nahe der Cappenberger Straße in Lünen - in den Tagen nach dem Feuer überschlugen sich die Ereignisse. Die Brand-Ermittlungen in der Messie-Wohnung förderten schlimme Dinge zu Tage, denn im Schutt lagen die Skelette von zwei Babys. Körperverletzung durch Unterlassen, durch Aussetzung und Verletzung der Fürsorgepflicht werden der Mutter vorgeworfen, denkbar ist nach einem Hinweis der Kammer aber auch eine Verurteilung wegen Totschlags durch Unterlassen oder Körperverletzung mit Todesfolge. Carola Jakobs verlas am Montag zu Prozessbeginn die Anklage. Stück für Stück schlüsselt die Oberstaatsanwältin in ihrem fast fünfzehn Minuten dauernden Vortrag auf, wann die Mutter ihre Kinder nach deren Geburt über Stunden allein in der Wohnung gelassen haben soll - insgesamt in über sechzig Fällen. Wie Oberstaatsanwältin Jacobs erläutert, geht die Mutter in dieser Zeit zur Arbeit, besucht Freunde und ein Konzert. "Die Kinder litten in dieser Zeit unter Hunger, Durst und Erschöpfung."
Ermittler: "Wohnung war voller Müll"
Was Kriminalhauptkommissar Thomas Seifert von der Polizei Dortmund, der damalige Leiter der Ermittlungskommission, im Anschluss als Zeuge vor Gericht schildert, ist schwer zu ertragen, gibt seine Erinnerung doch Einblick in das ganze Drama. "Die Wohnung war voller Müll, man watete durch Unrat, im Schlafzimmer war nicht zu erkennen, wo das Bett stand", erzählt Polizist Seifert dem Gericht. Im Beruf bringt es die Angeklagte bis zur stellvertretenden Betriebsleiterin in der Gastronomie, gelobt von den Kollegen und den Erzählungen nach mit einem besonderen Blick für Sauberkeit. Ihr Leben sei aus dem Ruder gelaufen, gab die Angeklagte in der Vernehmung bei der Polizei zu Protokoll, doch um Hilfe bittet die Mutter nicht und war dazu nach eigener Aussage auch nicht in der Lage. Arbeitskollegen und Bekannten, die die Frau auf eine Schwangerschaft ansprechen, erzählt sie von angeblichen Magen-Darm-Problemen. Ihr Bauch sei als Folge der Erkrankung aufgebläht, und offensichtlich schöpft niemand Verdacht, auch nicht bei der zweiten Schwangerschaft. Im Internet habe die Frau sich über die Pflege von Säuglingen informiert, ihre erste Tochter bringt sie dann laut Aussage ohne fremde Hilfe in der Badewanne zur Welt. Das Kind habe sie alle drei bis vier Stunden gefüttert, doch wenn bei der Arbeit etwa Schichten von acht Stunden anstehen, gerät das System aus dem Rhythmus.
Zweite Baby-Leiche im Wäschesack
Im April vor sieben Jahren stirbt die Erstgeborene dann im Alter von nur fünf Monaten. Die Angeklagte sei an diesem Tag von der Arbeit gekommen und findet ihre Tochter "tot und schon ganz kalt" auf der Schlafcouch im Wohnzimmer. Ihre Leiche lässt die Mutter - so steht es im Vernehmungsprotokoll - einfach an Ort und Stelle liegen und lebt von da an offensichtlich mit verschlossener Wohnzimmertür. Ihre Schwester stirbt ein Jahr später im Alter von nur knapp einem Monat. Die Überreste entdeckt die Spurensicherung bei der mühsamen Durchsuchung des Mülls in der Wohnung in einem Wäschesack. Montag schwieg die Angeklagte zu den Vorwürfen, ihre Anwältin signalisierte dem vorsitzenden Richter Dr. Alexander Donschen aber die Bereitschaft zu einer Erklärung zu einem späteren Zeitpunkt. Neun Prozesstage gibt es zunächst bis Anfang Juli.
Thema "Babyleichen" im Lokalkompass:
> Baby-Leichen: Prozess geht an Landgericht
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