Der Notfall-Test: Wer hilft der kranken Julia?
Julia geht es schlecht. Sie ist blass, schwitzt stark, der Kreislauf bricht fast zusammen. Sie braucht dringend Hilfe. Doch wird Julia die in der Lüner Innenstadt bekommen? Der Lüner Anzeiger machte mit Experten den Test.
Der Fall von Reinhard Hermanns aus Brambauer hat in der letzten Woche schockierend gezeigt: Selbstverständlich ist Erste Hilfe im Notfall für viele Menschen nicht. Der Lüner lag, wie berichtet, bewusstlos an einer großen Kreuzung. Doch kaum jemand half. Für unseren Test am Christinentor, dem südlichen Ende der Fußgängerzone, unterstützen uns die Profis des Ortsvereins Lünen beim Deutschen Roten Kreuz. Mit etwas Schminke simuliert Sebastian Baranowski, Ausbilder für Lebensrettende Sofortmaßnahmen und Erste Hilfe in Lünen, einen Notfall. Das Szenario: Julia, 17 Jahre alt, hat zu wenig getrunken, hat nun in der Hitze starke Kreislaufprobleme.
Der Test beginnt mit einer Überraschung. Es dauert kaum zwei Minuten, da bleiben die ersten Helfer stehen. Familie Gilge kümmert sich um Julia, die auf einer Bank sitzt. Joanna Gilge ist Arzthelferin und weiß sofort, was zu tun ist. "Ich habe einen Blick dafür", lacht sie nach der Auflösung. Den hat auch Andrina Kownatzki, die mit ihrer Mutter anhält. Andrina ist Krankenschwester, hat Routine in Hilfsmaßnahmen. Doch so gut der Test startete, so schlecht geht es weiter. Ein Paar mit Hund schaut Julia interessiert an, unterhält sich vielleicht sogar über sie. Schaut noch einmal. Wieder. Und geht dann doch vorbei. Damit sind sie in "guter" Gesellschaft. "Ganz viele haben mich angesehen und nicht geholfen", erzählt "Opfer" Julia in einer kurzen Pause. Erschreckend: In zwei Stunden hält nicht ein einziger Radfahrer oder Autofahrer an, um zu helfen. Auffällig ist auch: Es sind nur Frauen, die den ersten Schritt machen. "Niemand muss sich Sorgen machen, dass er etwas falsch macht", macht Sandra Sawallich, Zugführerin beim Deutschen Roten Kreuz, deutlich. "Falsch reagiert nur, wer gar nichts macht." Denn für den Patienten zählen Minuten, manchmal sogar Sekunden. Den Notruf könne jeder wählen. Oder andere um Hilfe bitten.
Roswitha Opterweid weiß, wie es sich anfühlt, wenn man Hilfe braucht. "Mit hat in einer ähnlichen Situation niemand geholfen", sagt die Lünerin. Deshalb ist es für sie klar, dass sie hilft. Wie Ayca Dilber, die sofort den Puls überprüft und Julias Beine hochlegt. Alles richtig gemacht.
Wer seine Kenntnisse in Erster Hilfe auffrischen will und keine Bescheinigung braucht, kann das sogar oft kostenlos. "Die meisten kommen aber zu uns, weil sie es müssen", weiß Ausbilder Sebastian Baranowski. Für den Führerschein oder den Betrieb. "Ganz wenige machen es freiwillig. Dabei können wir Helfer immer gebrauchen. Nicht nur in unseren Kursen, sondern auch in der ehrenamtlichen Arbeit beim Roten Kreuz."
Die zweite Runde. Wir erhöhen die Hemmschwelle. Julia sitzt nun abseits das Bürgersteigs auf einer Wiese, etwa sechs Meter entfernt. Ihr geht es sichtbar schlechter. Es dauert aber länger, bis Hilfe kommt. Obwohl viele die junge Frau bemerken. Nach 15 Minuten geht eine Frau auf Julia zu. Claudia Schmidt ist bei den Johannitern. Helfen - für sie ist das Ehrensache.
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