Vor 80 Jahren in Brambauer
Stolpersteine erinnern an die „Polenaktion“
Lünen. Achtzig Jahre nach der sogenannten „Polenaktion“, bei der die Zusammenarbeit von Reichsbahn und Behörden das „Vorbild“ für die späteren Deportationen in die Konzentrations- und Vernichtungslager lieferte, wurden am 28. Oktober 2018 in Lünen-Brambauer neun „Stolpersteine“ für Opfer des Nationalsozialismus verlegt.
Darunter vier Steine vor dem Wohnhaus an der Waltroper Straße 32. Hier lebten die Eheleute Adolf und Fella Haberberg und ihre Söhne Herbert und Manfred. Am 28. Oktober 1938 wurden alle Familienmitglieder von der Gestapo verhaftet und über das Polizeirevier in Brambauer in die Dortmunder Steinwache gebracht. Anschließend wurden Sie nach Polen in das unter polnischer Bewachung stehende Auffanglager für aus Deutschland ausgewiesene Juden polnischer Staatsangehörigkeit in Zboncyn (Bentschen) bei Kattowitz abgeschoben. Während die Kinder Mitte September 1939 nach England überführt wurden, überlebten die Eltern nicht. Sie wurden im Konzentrationslager ermordet. Unterstützung bei den gesamten Arbeiten erfuhr der veranstaltende „Arbeitskreis Lüner Stolpersteine“ von der Stadt Lünen und den Wirtschaftsbetrieben Lünen (WBL).
Die Verlegung der Stolpersteine begann am Sonntag den 28.10.2018 um 11 Uhr an der Karl-Haarmann Straße 90. Hier wohnte der polnische Bergmann Stanislaus Rura und ehemalige Vorsitzende der Herz-Jesu Gemeinschaft und der Rosenkranzbruderschaft, der am 28. Februar 1941 im KZ Dachau ermordet wurde, nachdem er vorher im KZ Sachsenhausen inhaftiert war. Bei seiner Beerdigung in Brambauer, sperrten Gestapo-Männer mit Pistolen und in langen Ledermänteln gekleidet, die Zugänge zum Friedhof ab. Bei dem Trauerakt durfte der Name nicht genannt werden. Überlebende Verwandte, unter ihnen die 90jährige Enkelin Erika Krikau aus Wermelskirchen waren bei der Stolpersteinverlegung anwesend sein und schilderten persönliche Erlebnisse von „ihrem Opa“ . So soll der 63jährige Wetterkontrolleur der Zeche Minister Achenbach in der Gaststätte „Haus Ferige“ gerufen haben: „Noch ist Polen nicht verloren“! Diese Anfangszeile der polnischen Nationalhymne genügten, um von einem Lüner Bürger bei der Gestapo denunziert zu werden.
Auch zur Stolpersteinlegung der Familie Haberberg an der Waltroper Str. 32 gegen 11:30 Uhr reisten Sohn, Tochter und Enkelin von Herbert Haberberg aus England an, der damals noch im Alter von 94 Jahren in London wohnte. Am 6. März 2021 verstarb Herbert Haberberg in der Nähe von London im Alter von 96 Jahren. Der aktuelle Kulturpreisträger der Stadt Lünen, Michael Kupzyk, in dessen Film „Die Kinder der Turnstunde“ auch die „Haberbergs“ vorkommen, erläuterte hier das Schicksal.
Etwa 240 Meter weiter vor dem Wohnhaus der Waltroper Str. 62 wurden dann ab cirka 12 Uhr vier Stolpersteine für die Familie des ehemaligen Metzgermeisters Alfred Portje verlegt. Während er zusammen mit seiner Frau Erna und seiner 12jährigen Tochter Helga über drei Jahre versteckt in einer kleinen Bodenkammer der Dorfkirche im holländischen Den Helder überlebte, wurde sein Sohn Günter 1941 als 17jähriger verhaftet und im Konzentrationslager Auschwitz ermordet.
Extrakasten:
Vor achtzig Jahren wurden am 28. Oktober 1938 in Deutschland lebende polnische Juden kurzfristig verhaftet und zur Ausweisung an die Grenze oder direkt nach Polen gebracht. Darunter auch Einwohner aus Lünen. Die Abschiebung von mindestens 17.000 Betroffenen im Rahmen dieser „Polenaktion“, unter ihnen auch der spätere Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki, erfolgte überraschend und gewaltsam. Die Zusammenarbeit von Reichsbahn und Behörden bei der Aktion lieferte das „Vorbild“ für die späteren Deportationen in die Konzentrations- und Vernichtungslager. Eine Protestaktion in Paris gegen die „Polenaktion“ endete für einen deutschen Botschaftsmitarbeiter am 9. November 1938 tödlich und war Anlass für die Novemberpogrome, die auch in Lünen zur Ermordung von jüdischen Bürgerinnen und Bürgern durch die Nazis führte. Auch dieses furchtbare Ereignis geschah vor 80 Jahren.
Autor:Udo Kath aus Lünen |
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