Forensik in Lünen: „ Fliegenhirnidee “ oder „ Leuchtturmprojekt “?
Die Standortentscheidung der Landesregierung in Lünen auf dem Gelände von Viktoria I/II eine Forensische Klinik mit zunächst 150 Plätzen (der Standort hat aufgrund seiner Größe noch weiteres Potenzial) zu errichten stößt bei den Lüner Bürgerinnen und Bürgern auf Ablehnung und Unverständnis. Ich teile die Ansicht vieler, die sogar behaupten, die Entscheidung sei so absurd, allein schon aufgrund der zentralen Lage und Nähe des Grundstücks zur Innenstadt, dass man sie mit drastischen Worten, vielleicht sogar als „Fliegenhirnidee“ (John Updike), abqualifizieren müsse. Aber ist dies wirklich gerecht? Könnte es sich nicht sogar im Gegenteil um eine gute Idee handeln, ja sogar um ein sog. „Leuchtturmprojekt“ mit Vorbildfunktion für ganz NRW und die Bundespolitik?
Die Essenz beider Ideen im Folgenden nacheinander kurz skizziert:
Wenn das Bewerterteam von Frau Steffens bei der Standortauswahl nicht nur mit dem Zeigefinger über die Landkarte gehuscht wäre, sondern sich vor Ort ein Bild von dem Lebensumfeld gemacht hätte, wären es nicht nur auf das idyllische Wethmar mit Wandermöglichkeiten nach Cappenberg gestoßen, sondern, und hier trügt etwas die Bergmannsidylle, auf ein Wohnquartier in bahnhofsnahem Umfeld, das von hoher Arbeitslosigkeit geprägt ist und in dem viele kinderreiche Familien, alte Leute und nicht zuletzt Migrantinnen und Migranten mit ihren Familien leben.
Unabhängig von Erbsenzählerei, ob ein solcher Standort schon die erforderliche Mindestpunktezahl für die Erreichung eines gesetzlichen Anspruchs zu einer integrationspolitischen Förderung zur Steigerung des Lebens- und Wohnumfeldes und dem Abbau integrationsbedingter Hindernisse erreicht hat („Soziale Stadt“, vgl. Dinslaken Lohberg), lässt sich mit hinreichender Sicherheit sagen, dass die Einrichtung einer Forensik in einem schon ohnehin sozial gefährdeten Wohnquartier zu einer sozialen Segregation (Endmischung: arme Familien hier und reiche dort) führen würde, mit weitreichenden Folgen für die dort verbliebenen Menschen. Ist es deswegen wirklich eine Übertreibung, die Standortentscheidung für Viktoria I/II als eine „Fliegenhirnidee“ zu bezeichnen?
Oder handelt es sich bei der Standortwahl sogar ganz im Gegenteil um eine gute und innovative Idee? Also um ein „Leuchtturmprojekt“ mit Modellcharakter für NRW und den Bund? Gelänge dies Sozial-Experiment in einem Wohnumfeld mit regionaler wirtschaftlicher Schwäche (an dieser Stelle sollte der Leser etwas leiser lesen, um die nötige Diskretion zu wahren), hoher Zuwanderung sozial benachteiligter Schichten und Überalterung der Bevölkerung, könnten dann, wenn der Leuchtturm seinen Betrieb erfolgreich aufgenommen hätte, endlich überall in NRW und ohne lästige Vorprüfungen über die Köpfe der Wählerinnen und Wähler hinweg Forensikstandorte entstehen, insbesondere stärker noch als bisher im Wohnumfeld „kleiner Leute“. Warum? Einfach weil es in Lünen funktioniert hätte. Studien und eine abschließende Evaluation der Stadtentwicklung würden beweisen, dass sich die Bildungs- und Integrationschancen der Migranntenkinder nicht verschlechterten, sondern sich sogar verbessern würden, weil sie dann endlich im Unterricht ganz unter sich wären und kein Deutsch mehr lernen müssten. Auch die Imagearbeit und Stadtteilidentität würde sich neu definieren, freilich auf einem niedrigeren Niveau als vorher…Sicherlich würden auch die Beschäftigungschancen im Quartier steigen, weil die Klinik auch ausbilden würde und die Beschäftigten zum örtlichen Konsum beitragen würden, sodass sich die ökonomischen Situation (nach anfänglichen Schwierigkeiten mit Insolvenzen und Leerständen von Geschäften) insgesamt verbessern würde. Wenn dies alles dann aber doch nicht funktionieren, also das Leutturmprojekt scheitern würde, wäre dies auch vertretbar. Es würden, freilich zulasten der Steuerzahler (aber das macht ja nichts!), ordentlich Fördermittel fließen, um aus der Sache heraus zu kommen und die Situation sozial abzufedern. Außerdem könnte, nicht zuletzt um Synergieeffekte zu nutzen, auf dem Gelände der Forensik eine Stabsstelle für Quartiermanagement eingerichtet werden, weil das Grundstück sich aufgrund seiner zentralen Lage und Nähe zu dem dann sozial schwierigen Wohnquartier besonders eignen würde. Dies sollte der Bürger-Beirat, der als Feigenblatt des guten Willens vom Ministerium bei der Planung sicherlich großzügigerweise frühzeitig einbezogen werden würde, ebenfalls berücksichtigen.
Die Standortentscheidung ist eine „Fliegenhirnidee“ und die Bezeichnung keine Übertreibung (Vielleicht versteht dies irgendwann auch mal Herr Superintendenten Moselewski, der immer noch nicht begriffen hat, dass er als Kirchenvertreter sich in eine laufende Diskussion nicht einmischen darf und er seiner Kirche dadurch eher schadet als nutzt).
Die Stadt muss jetzt handeln, sie darf nicht auf eine Entscheidung bezüglich „Erlensundern“ aus Düsseldorf warten. Sie muss vielmehr dem Ministerium ein Ersatzgrundstück offerieren und zwar möglichst schnell, weil sonst wichtige Fristen verstreichen. Sonst setzt sich die Fliegenhirnidee durch, Victoria I/II würde endgültig Standort der Forensik und das angrenzende Wohnquartier voraussichtlich „Soziale Stadt“.
Wollen dies Bürgermeister und Stadtrat in Lünen wirklich?
Die Entscheidung und der Schwarze Peter liegen übrigens jetzt in Lünen und nicht in Düsseldorf !
Thomas Gorski
Unna, den 30.11.2012
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Für alle, die ihn noch nicht kennen. Hier mein dringender Appell an Bürgermeister Stodollick und den Rat der Stadt Lünen vom 27.11.2012
Sehr geehrter Herr Bürgermeister Stodollick,
bitte hören Sie damit auf, von Lünen als einer "Stadt ohne Forensik" zu
träumen. Das ist, wie so oft bei Träumen, mit Verlaub gesagt, blanker Unsinn.
Das war Ihre Stadt, bevor die schöne Nachricht aus Düsseldorf eintraf. Ihre
verfehlte Strategie, übrigens auch die der Bürgerinitiative, ist schädlich
für die Stadt, zudem wecken Sie damit Hoffnungen bei den Bürgerinnen und
Bürgern, die Sie nicht erfüllen können. Ihre Stadt ist per Kabinettsbeschluss
auf der Grundlage eines formal korrekten Verfahrens unwiderruflich und de
facto eine Forensik-Stadt geworden. Daran ist nicht zu rütteln und damit
müssen Sie sich abfinden. Oder glauben Sie, das Ministerium sei dazu bereit,
die Büchse der Pandora bezogen auf einen Standort außerhalb der Stadt noch
einmal zu öffnen? Glauben Sie überdies, dass Sie dazu in der Lage sind, den
Kampf gegen die Argumente einer anderen Stadt, die sich ebenfalls mit Händen
und Füßen wehren wird, aufzunehmen? Das alles sind für den jetzigen Standort
Victoria I/II gefährliche Illusionen. Es geht jetzt nur noch um
Schadensbegrenzung. Es geht jetzt nur noch um das "Wo" und "Wie". Und das
haben Sie und der Rat der Stadt in der Hand. Der Presse entnehme ich, dass
Sie den Konflikt der beiden konkurrierenden Standorte (Zeche Victoria I/II
und Erlensundern) scheuen, um wie ich vermute, des lieben Friedens willen.
Das ist nachvollziehbar, aber letztlich unverzeihlich, weil fatal für die
Zukunft der Stadt.
Schaudert Ihnen nicht vor dem notwendigen Automatismus, der greift, wenn die
von Ihnen in der Presse propagierte Ablehnung des Verkaufs des
Stadtwerkegrundstücks durch den Rat der Stadt wirklich erfolgt? Damit wäre
nämlich die Victoriabrache wegen fehlender Alternative unwiderruflich wieder
erste Wahl. Der Standort dort wäre dann durch Ihr gefährliches Vabanquespiel
(Alles oder Nichts-Strategie) unwiderruflich Forensikstandort. Oder gibt es
neben den erwähnten Grundstücken noch andere Alternativen, die Sie zum
Nachteil der ehemaligen Bergleute und Migrantinnen und Migranten in der
anliegenden Zechensiedlung gegenüber dem Gesundheitsministerium bei der
Abfrage verschwiegen haben?
Die weiteren 4 Städte in NRW, die ebenfalls von der Forensik betroffen sind,
allen voran Wuppertal, suchen übrigens bereits in ihren Stadtgebieten nach
alternativen Standorten. Halten Sie sich für schlauer als die Bürgermeister
dort? Die Stadt braucht jetzt einen Strategiewechsel und zwar möglichst
schnell, weil uns, wie Sie wissen, die Zeit wegrennt. Ich habe die Vermutung,
dass Sie zum Nachteil der Viktoriasiedlung das Problem einfach aussitzen und
das Verfahren verfristen lassen wollen. Das wäre eine elegante, aber auch
unredliche Art das Problem zu lösen. Ich erwarte von Ihnen, dass Sie sich
umgehend mit dem Gesundheitsministerium in Verbindung setzen und auf der
Grundlage eines Ratsbeschlusses fristgerecht ein geeignetes Grundstück zur
Verfügung stellen. Sonst wird man nämlich dort später die Hände in Unschuld
waschen und sich bei Nachfragen darauf berufen, dass die Entscheidung für die
Zechenbrache, unabhängig von guten Gründen gegen den Standort, richtig war,
weil eben nur dieses Grundstück fristgerecht zur Verfügung stand.
Ich vertraue in der jetzigen Situation auf mutige und charakterstarke
Ratsmitglieder, die trotz ihrer Parteizugehörigkeit, ihrem Wohnort und
Wahlkreis über Ihren Schatten springen und zum Wohle der Stadt eine
sachbegründete Standortauswahl treffen.
Mit Freundlichen Grüßen
und Glück Auf
Thomas Gorski
Unna, den 27.11.2012
Autor:Stephan Gorski aus Lünen |
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