Abscheuliche 2500 Kilometer
10 Stolpersteine für Rose und Salomons

Geschäftsleute Rose, Knappenweg 38 Foto Stadtarchiv Lünen | Foto: Foto Stadtarchiv Lünen
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Lünen. Seit 1700 Jahren gibt es jüdisches Leben in Deutschland. Für viele steht dabei das Erinnern und Gedenken an die zahlreichen Opfer des Nationalsozialismus besonders im Mittelpunkt. Katrin Rieckermann hat dafür, unterstützt von weiteren Mitgliedern des Arbeitskreises Lüner Stolpersteine, monatelang ganze Arbeit geleistet. Für insgesamt zehn neue Stolpersteine der Familien Rose und Salomons wurden zahlreiche Informationen zusammengefügt und alles in Kurzform auf die 9,6 x 9,6 cm großen Gedenksteine als Inschriften zusammengefasst.
Die Verlegungen beginnen am Mittwoch, den 17. November 2021, ab 11 Uhr am Knappenweg 38. Schülerinnen und Schüler des Freiherr vom Stein Gymnasiums umrahmen unter Federführung von Martin Hendler die Veranstaltung mit textlichen und musikalischen Beiträgen.
Udo Kath vom Arbeitskreis Lüner Stolpersteine: „Unter den Sponsoren befinden sich unter anderem mit Barbara Bergmann aus Lünen-Horstmar und Margret Vietz aus Neuenrade die Cousinen von Klara Rose. Abike Ullrich kommt aus Hamburg. Ihre Großtante Lieselotte Sirp wurde nicht nur im gleichen Jahr und gleichen Tag wie Irma Salomons geboren, sie befand sich auch zur gleichen Zeit 1944/45 als Lehrerin in Bergen-Belsen.“

Familie Rose, Knappenweg 38
Sieben verschiedene Schicksale – 5 wurden ermordet – 2 überlebten

In der Victoriasiedlung steht am Knappenweg 38 ein stattliches Eckgebäude. Hinter der Fassade verbirgt sich im Verbund mit der Adresse „Im Rechten Eck 1“ die alte Struktur mit Schaufenstern. Denn hier lebten und betrieben der am 20. November 1881 geborene Kaufmann Salomon Rose mit seiner am 10. April 1882 geborenen Frau Betty, geb. Grünewald und ihren fünf Kindern Martha, Werner, Hildegard, Regina und Klara einen Kolonialwarenladen, in dem auch Arbeitertextilien und Lebensmittel verkauft wurden. Hier ließ man auch auf Kredit „anschreiben“. Salomon Rose war Soldat im 1. Weltkrieg, liebte Motorradfahren und das Reparieren von Wasch- und Nähmaschinen seiner Kunden. 1933 verwehrten SA-Männer über eine Woche lang den Kunden den Zugang zum Geschäft. Einer von der SA kam ins Geschäft und sagte: „Jude Rose, mach´Deinen Laden zu, sonst nagel ich ihn Dir zu!“. Personen, die in Einkäufe tätigten, wurden fotografiert. Kunden von Rose sagte man, dass ihre Namen in den Zeitungen bekanntgegeben werden würden. Danach blieben immer mehr Kunden aus Angst vor der öffentlichen Denunzierung aus. Selbst Vertreter weigerten sich an Rose zu verkaufen. Das Geschäft wurde am 1. April 1938 aufgegeben.

Am Tag der Reichspogromnacht, am 9. November 1938, wurde seine Haustür aufgebrochen. Nazis jagten Salomon Rose ins Haus, stießen seine Frau zu Boden und stahlen Arbeitskleidung. Unter Anwendung von Gewalt wie Fußtritte und Schläge, wurde er zur 1,5 Kilometer weit entfernten Lippe getrieben und musste sich auf das Geländer der Brücke setzen. Man schrie ihn an: „So Jude, jetzt ins Wasser mit Dir ! Arbeiter der Zeche Victoria schrien voller Empörung der SA ein ´Pfui !´ entgegen.“ Das rettete wahrscheinlich sein Leben. Denn er wurde nicht ins kalte Wasser gestoßen sondern, kaum fähig zu gehen, unter Schlägen und Fußtritten ins Stadthaus gebracht. Dort wurde er zusammen mit seinem Sohn Werner und anderen jüdischen Männern acht Tage lang eingesperrt. Salomon Rose arbeitete anschließend im Stuckgeschäft Vollmer und später im Beckinghausener Sägewerk Kipper bis 1943. Vorher musste die Familie ab 1941 den Judenstern tragen.

Danach wurde Tochter Martha 1942 im Alter von 30 Jahren ins besetzte Polen deportiert und ermordet.
Am 27. Februar 1943 mussten Vater und Sohn sich in der Dortmunder Steinwache melden. Seine Frau einen Tag später. Die Eheleute wurden 1943 in das rund 1000 Kilometer entfernte Konzentrationslager (KZ) Auschwitz deportiert und hier ermordet.

Werner kam als „politischer Jude“ ab Juni 1944 nach Auschwitz. Am 22. Januar 1945 wurde er, fünf Tage vor der Befreiung des Massenvernichtungslagers, in einer langen Fahrt als Häftling mit der Nummer 117904 ins KZ Buchenwald transportiert. Er wurde hier im Alter von 24 Jahren ermordet. Die Rettung der noch überlebenden Häftlinge aus dem KZ Buchenwald am 11. April 1945 kam für ihn zu spät.

Die 1908 geborenen Schwester Regina heiratete einen Bergmann, überlebte den 2. Weltkrieg und wohnte später im Ruhrgebiet.
Ihre Schwester Hildegard, geboren 1910, arbeitete als selbstständige Schneiderin. Sie wurde von Paul Hannemann, einem Polizeibeamten und SS-Angehörigen geschieden, am 23. September 1943 von der Gestapo nach einer Denunziation unter dem Vorwurf der „Rassenschande“ verhaftet und fünf Tage später für rund sieben Monate in die Dortmunder Steinwache inhaftiert. Anschließend wurde sie nach Auschwitz deportiert, mit der Häftlingsnummer 76375 registriert und hier ermordet.
Klara Rose musste in einer Dortmunder Sackfabrik Zwangsarbeit leisten. Von September 1944 bis Kriegsende war sie im Arbeitslager Kassel-Bettenhausen (Henschel-Werke) inhaftiert. Sie lebte danach noch kurz in Lünen, wanderte aber anschließend nach Vancouver in Kanada aus. Neben ihren zwei eigenen Kindern adoptierte sie, als verheiratete Klara Hermann, Brigitte, das Kind ihrer ermordeten Schwester Hildegard.

Familie Salomons, Münsterstraße 101
Abscheuliche Irrfahrt endete nach 2500 Kilometer mit dem Tod

Irma Salomons kam am 15. Januar 1921 als Tochter des damals 32jährigen Kaufmanns Paul Friedrich Salomons und seiner 29jährigen Frau Grete, geb. Judenberg, zur Welt. Sie wohnten in der Münsterstraße 101 in Lünen. Hier war auch der Sitz ihres Geschäftes, indem Manufakturwaren, Weiß-, Woll- Kurzwaren und später auch Tabak verkauft wurde. Wie alle jüdischen Geschäftsinhaber wurden auch Salomons und seine Familie schon seit 1933 von den Nazis mit der Forderung „Kauf nicht beim Juden“ schikaniert. Paul Friedrich Salomons floh in die Niederlande, seine Tochter und seine Frau folgten im Januar bzw. Dezember 1940. Grete und Irma lebten in Utrecht, hier wohnte bereits seit dem 16.11.1938 die aus Dortmund umgezogene Ella Edelstein, eine Schwester von Grete.
Während Paul schon im April 1940 in das Durchgangslager Westerbork verschleppt wurde, bevor die Wehrmacht im Mai im Rahmen des Angriffsplans gegen Frankreich völkerrechtswidrig auch die Beneluxstaaten überfallen hatte, wurden Grete und Irma 1942 ebenfalls nach Westerbork entführt, Irma war damals 21 Jahre alt. Grete 50.

Am 18. Januar 1944 wurden alle Familienmitglieder von den Niederlanden aus ins Konzentrationslager nach Theresienstadt in der damaligen Tschechoslowakei deportiert.
Paul und Grete Salomons wurden rund 10 Monate später von Theresienstadt aus am 1. Oktober 1944 getrennt auf verschiedenen Transporten Em Nr. 693 und 1361 in das KZ Auschwitz verbracht und dort zwei Tage später am 3. Oktober 1944 ermordet. Paul wurde 55 und Grete 52 Jahre alt.

Irma kam bereits vorher am 18. Mai 1944 von Theresienstadt mit dem Transport Em Nr. 160 nach Auschwitz. Ihre Irrfahrt führte sie später von hier aus Polen in das rund 900 Kilometer entfernte KZ Bergen-Belsen im Kreis Celle. Sie hatte ihre abscheuliche Odyssee quer durch Europa mitten im Krieg in primitivsten Transportmitteln, zusammengepfercht mit anderen NS-Opfern unter unmenschlichen Bedingungen nach rund 2500 Kilometer quer durch Europa beendet. Kurz nachdem das KZ Bergen-Belsen durch die Alliierten befreit wurde, starb Irma am 25. Mai 1945 an den Folgen der Haft im Alter von 24 Jahren.
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Sponsoren der sieben Stolpersteine für die Familie Rose, Knappenweg 38: Barbara Bergmann und Margret Vietz (Cousinen von Klara Rose), IGBCE-Ortsgruppe Victoria Lünen, Siedlerverein Barbara, SPD-Ortsverein Lünen-Nord, Katrin Rieckermann, Simone Pawlowsli, Anette und Norbert Janßen.
Sponsoren der Stolpersteine für die Familie Salomons, Münsterstraße 101: Abike Ullrich (Hamburg – die Großtante Lieselotte Sirp arbeitete 1944/45 als Lehrerin in Bergen-Belsen und hat am gleichen Tag wie Irma Salomons Geburtstag), Stefan Salzmann und Hartmut Wagner, Elisabeth Exner Stöcklein und Bodo Stöcklein.
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Autor:

Udo Kath aus Lünen

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