Es ist kompliziert – Vier Herausforderungen für die Alzheimer-Forschung
In den USA wurde im Juni mit Aduhelm das erste Alzheimer-Medikament seit fast zwei Jahrzehnten zugelassen. Doch es sollte keine falsche Hoffnung aufkommen. Das Medikament mit dem Wirkstoff Aducanumab beseitigt zwar schädliche Eiweißablagerungen im Gehirn. Diese Amyloid-Plaques werden mit der Alzheimer-Krankheit in Zusammenhang gebracht. Allerdings wurde noch kein Nachweis darüber geliefert, dass damit auch eine Verbesserung der kognitiven Leistung von Patient*innen einhergeht. Aduhelm kann Alzheimer weder heilen noch stoppen. Weltweit arbeiten Forscherinnen und Forscher mit großem Einsatz an weiteren Therapieansätzen, doch die Alzheimer-Krankheit ist äußerst komplex und noch nicht vollständig verstanden. Die gemeinnützige Alzheimer Forschung Initiative e.V. erklärt vor dem Welt-Alzheimer-Tag am 21. September vier Gründe, warum es so schwierig ist, ein Medikament gegen die Krankheit zu finden.
1. Der Krankheitsverlauf ist lang und komplex
Forscherinnen und Forscher gehen davon aus, dass die Alzheimer-Krankheit in Form einer Kaskade verläuft, also in einer Kettenreaktion, bei der im Gehirn über einen Zeitraum von möglicherweise bis zu 30 Jahren unterschiedliche Veränderungsprozesse ineinandergreifen. Diese führen schließlich zum Absterben von Gehirnzellen und zum Gedächtnisverlust. „Wenn die ersten Symptome auftauchen, sind in der Regel schon mehrere Jahre bis Jahrzehnte vergangen und die nachweisbaren Hirnveränderungen schon sehr weit fortgeschritten. Ursachen und Verlauf sind zu diesem Zeitpunkt nicht mehr ohne Weiteres nachzuvollziehen“, erklärt Prof. Thomas Arendt, Leiter des Paul-Flechsig-Instituts für Hirnforschung der Universität Leipzig. Deshalb ist es schwierig, einen wirksamen therapeutischen Ansatz zu finden. Außerdem sind die Grundlagen der Alzheimer-Krankheit bisher noch zu wenig verstanden. „Wir können schon kaum nachvollziehen, wie ein gesundes Gehirn arbeitet. Bei mehr als drei Nervenzellen verstehen wir nicht mehr, wie die Funktionsweisen und Wechselwirkungen im neuronalen Netz reguliert sind. Deshalb ist Alzheimer-Grundlagenforschung auch so wichtig“, sagt Arendt, der auch Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirates der Alzheimer Forschung Initiative ist.
2. Es gibt keine passenden Modelle
Diese Komplexität in konkreten Forschungssettings und Modellen abzubilden und zu untersuchen, ist eine große Herausforderung. „Die Mausmodelle, die in der Alzheimer-Forschung oft genutzt werden, sind auf zu kurze Zeitspannen ausgelegt. Die Ergebnisse haben deshalb nur eine begrenzte Aussagekraft für die Mechanismen der Krankheit, deren Verlauf sich auf mehrere Jahrzehnte erstrecken kann. Außerdem sind Ergebnisse aus Mausmodellen nur sehr begrenzt auf den Menschen übertragbar, denn die Störungen betreffen ja die Kognition, eine sehr typisch menschliche Fähigkeit“, so Thomas Arendt. „Evolutionär gesprochen, sind Mäuse einfach zu weit weg von der Komplexität, der wir uns bei dieser Erkrankung gegenübersehen.“ Dies könne als Hinweis gedeutet werden, dass es etwas spezifisch Menschliches geben muss, dass die Krankheit bedinge.
3. Es fehlen verlässliche Biomarker für eine frühe Diagnose
Es gibt bisher noch keinen Biomarker, mit dem man den Ausbruch der Alzheimer-Krankheit frühzeitig und niedrigschwellig diagnostizieren kann. Biomarker sind körperliche Merkmale, anhand derer Krankheiten erkannt werden können, beispielweise unterschiedliche Blutwerte oder die Körpertemperatur. Für die Alzheimer-Krankheit wird zurzeit weltweit an unterschiedlichen Bluttests geforscht. Durch einen Bluttest zur frühzeitigen Diagnose würde nicht nur die Diagnose beim Facharzt vereinfacht. Auch die Medikamentenforschung würde profitieren, denn es könnten Testpersonen gefunden werden, die noch keine Symptome haben. In dieser frühen Phase könnten Wirkstoffe bessere Ergebnisse erzielen, so die Annahme der Forscherinnen und Forscher. „Die Verfügbarkeit eines Blut-Biomarkers ist die Voraussetzung für jede wirksame Wirkstoffentwicklung, denn nur so können wir die frühen Erkrankungsstadien identifizieren, in denen eine Behandlung auch Aussicht auf Erfolgt hat. Ich bin aber zuversichtlich, dass es in wenigen Jahren gelingen wird, einen derartigen Bluttest zur Früherkennung zu entwickeln“, sagt Arendt.
4. Der Wirkstoff muss durch die Blut-Hirn-Schranke
Die Blut-Hirn-Schranke ist eine wichtige Barriere zwischen unserem Blut und dem Zentralnervensystem. Sie übernimmt eine Art Filterfunktion, indem sie nur bestimmte Stoffe aus der Blutbahn in das Gehirn hinein- und Abbauprodukte wieder herauslässt. Damit wird verhindert, dass schädliche Substanzen wie Krankheitserreger oder Giftstoffe in unser Gehirn eindringen können. Aber auch die meisten Medikamente können die Blut-Hirn-Schranke nicht überwinden, was die Entwicklung eines Alzheimer-Medikamentes erschwert. Deshalb ist die Behandlung von Erkrankungen des zentralen Nervensystems, wie der Alzheimer-Krankheit, eine große Herausforderung. „Moderne Methoden des computergestützten Moleküldesigns werden es aber in naher Zukunft erlauben, Wirkstoffe so zu modifizieren, dass sie in der Lage sind, die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden“, erklärt Arendt.
Autor:Christian Leibinnes aus Düsseldorf |
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