"Wer etwas leisten will, soll seine Chance bekommen"

ZDH Präsident Otto Kentzler | Foto: ZDH
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Immer mehr Handwerksbetriebe geben auch jungen Leuten eine Chance, die früher als "hoffnungslose Fälle" galten. "Schließlich können sie die gesuchten Fachkräfte von morgen werden", setzt Handwerkspräsident Otto Kentzler auf die Erfolge des dualen Ausbildungskonzepts. Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung (11. Juni 2012) spricht Kentzler über die Veränderungen auf dem Ausbildungsmarkt, handwerkspolitische Ziele und die notwendige Gelassenheit im Hauptstadt-Zirkus.

Herr Kentzler, „die Klage ist ein Gruß des Kaufmanns“, heißt ein altes Sprichwort. Viele Betriebe beklagen die mangelnde Ausbildungsreife der jungen Leute. Schulabgänger könnten nicht mal richtig schreiben und rechnen, heißt es. Sehen Sie das auch so?

Otto Kentzler: Ich glaube nicht, dass die jungen Leute heute dümmer sind als früher, auch wenn es sicherlich Defizite gibt. Aber das Umfeld hat sich geändert. Nicht selten fehlen im Elternhaus Mutter oder Vater, die zum Beispiel morgens sagen: Komm, steh pünktlich auf, tue etwas!

Ihr Kollege, der Präsident des Deutschen Industrie- Handelskammertages, Heinrich Driftmann, fordert sogar, Kopfnoten für Betragen, Fleiß und Ordnung in den Schulzeugnissen wieder einzuführen. Ein guter Vorschlag?

Kentzler: Sollen wir den Lehrern mehr zutrauen als uns selbst? Ich finde es am besten, jemand macht ein Praktikum in unserem Betrieb. Mein persönlicher Eindruck ist mir viel wichtiger, um einen Kandidaten zu beurteilen. Damit haben wir bei der Auswahl von Mitarbeitern fast immer richtig gelegen.

Sie halten Noten für nicht so wichtig?

Kentzler: Wichtiger ist es mir, wenn jemand den Willen zeigt, etwas zu leisten, etwas in die Hand zu nehmen. Dann sollte er eine Chance bekommen, auch wenn er schlechte Noten hat.

Viele Betriebe scheinen aber immer noch nach der Devise vorzugehen: Wir nehmen nur die Besten der Besten.

Kentzler: Natürlich will das Handwerk auch Abiturienten gewinnen, die bei uns zum Beispiel eine Lehre mit einem Studium verbinden können. Es hat jedoch längst ein Umdenken stattgefunden: Es gibt immer mehr Betriebe, die zum Beispiel auch jungen Leuten eine Chance geben, die früher noch in der Warteschleife zwischen Schule und Ausbildung hingen oder als hoffnungslose Fälle galten. Schließlich können sie die gesuchten Fachkräfte von morgen werden.

Knapp jeder vierte Ausbildungsvertrag in Deutschland wird aber vorzeitig aufgelöst. Und da, wo besonders viele Lehrstellen unbesetzt sind, bei Bäckereien, bei Metzgern, Klempnern und im Hotel- und Gaststättengewerbe, ist die Zahl der Abbrecher besonders hoch. Der DGB meint deshalb: In diesen Branchen sind zu viele Betriebe nicht ausbildungsreif, weil sie die jungen Leute so schlecht behandeln.

Kentzler: Ich glaube, da kommen mehrere Dinge zusammen: Manche junge Leute haben sich einfach falsche Vorstellungen gemacht und brechen deshalb ihre Ausbildung ab. Manche kommen mit dem rauen Ton nicht zurecht, der in einigen Ausbildungsberufen herrscht. Da braucht man ein dickes Fell. Andererseits sehe ich schon, dass einige Chefs noch dazulernen können: Ein brummiger Meister, der jeden morgen um sieben seine Mitarbeiter abkanzelt, das geht nicht auf Dauer gut. Manche hören sich das heute dreimal an, dann sind sie weg. Da müssen wir uns reformieren, vielleicht auch das eine oder andere Ritual vergessen. Als ich als Lehrling angefangen habe, haben sie mich losgeschickt, irgendetwas zu besorgen, was es gar nicht gab. Solche schlechten Scherze müssen ja nicht unbedingt sein.

Wenn in Deutschland Auszubildende knapp sind, könnten Sie sich auch welche im Ausland suchen. In Spanien oder Griechenland gibt es genügend junge Arbeitslose.

Kentzler: Die hohe Jugendarbeitslosigkeit ist der Sprengstoff für Europa. Es ist allerdings nicht so einfach, Jugendliche hier auszubilden. Sie sind meistens noch jung, ohne Familie in einem fremden Land. Es gibt deshalb ein paar Modellversuche, bei denen die jungen Leute in Internaten oder Wohnheimen leben. Sie müssen aber erst mal so viel Deutsch lernen, dass sie in der Berufsschule mitkommen.

Die Bundesregierung hat jetzt eine Werbeoffensive gestartet, um Fachkräfte aus dem Ausland zu gewinnen. Reicht das?

Kentzler: Das ist für einige Wirtschaftsbereiche sehr wichtig. Das Handwerk muss aber seine Fachkräfte schon selbst ausbilden. Deshalb gehen wir seit langem direkt auf die Gruppen zu, die bei Bildung und Ausbildung bisher zu kurz kommen, also beispielsweise Zuwanderer. Auch Jugendliche aus unseren Nachbarländern sind gerne gesehen.

Wie gut ist ihr Kontakt zur Bundesregierung? Haben Sie die Handy-Nummer der Kanzlerin?

Kentzler: Nein, mein Sekretariat stellt den Kontakt her. Aber wenn ich einen wichtigen Politiker in Berlin sprechen will, dann bekomme ich den auch. Ich glaube schon, dass wir in Berlin für viele Mittelstandsthemen der wichtigste Ansprechpartner der Politik sind, auch weil ich strikt darauf geachtet habe, keine Parteipolitik zu betreiben.

Sie haben sich am Anfang ihrer Amtszeit erstmal eine blutige Nase geholt, als sie forderten, Krankheitstage auf den Urlaub anzurechnen.

Kentzler: Ich erinnere mich. Seitdem weiß ich, dass Urlaub das höchste Gut der Deutschen ist, das darf man als Chef eines Wirtschaftsverbands nicht angreifen.

Was haben Sie dabei gelernt?

Kentzler: Es bringt nichts, einfach Vorschläge zu machen, ohne vorher zu eruieren, wie die Durchsetzungschancen sind. Ich bin inzwischen bei vielen Themen gelassener geworden.

Auch beim Kündigungsschutz?

Kentzler: Ich bin nach wie vor der Überzeugung, dass wir hier lockerere Regeln brauchen. Aber ich habe akzeptiert, dass es dafür keine Mehrheiten gibt. Also sage ich dazu lieber nicht mehr viel, statt mir unnötig Ärger einzuholen.

Auch in Fernseh-Talkshows sind Sie eher selten zu sehen Warum?

Kentzler: Mich stört diese Unsitte in Talkshows, dass jeder jedem ins Wort fällt, dass ich einen Gedanken nicht zu Ende bringen kann. Das ist für mich eine ganze schlechte Kultur, die da gelebt wird. So viel Anstand sollten wir noch haben, den anderen ausreden zu lassen.

Wir haben den Eindruck, dass sie auch in der Steuerpolitik nicht so richtig zu Wort kommen.

Kentzler: Wieso? Das Schlagwort „Mehr netto vom Brutto“ - das kam von uns.

Nur, ist daraus nicht viel geworden.

Kentzler: Was nicht ist, kann ja noch werden. Wir haben einen krassen Anstieg der Steuerkurve von 14 Prozent bei 8000 Euro auf 24 Prozent bei 12.000 Euro Einkommen. Experten sprechen von der Eigernordwand - hier schlägt die sogenannte kalte Progression am härtesten zu, weil untere Lohngruppenbezieher überdurchschnittlich abkassiert werden. Wir hatten jetzt Lohnabschlüsse von gut vier Prozent. Nur was bleibt den Arbeitnehmern davon wirklich übrig? Ich verstehe deshalb nicht, warum die SPD-geführten Länder einer abgemilderten kalten Progression nicht zustimmen.

Weil jetzt nicht die Zeit für Steuererleichterungen ist.

Kentzler: Das sind keine Steuererleichterungen. Der Staat hatte in den letzten drei Jahren sozusagen ungewollte Steuereinnahmen in Höhe von 13 Milliarden Euro, weil es im Steuerrecht keinen Inflationsausgleich gibt. Ich bin dafür, den Arbeitnehmern das zurückzugeben, was ihnen eigentlich zusteht.

Im Bundesrat hängt auch noch das Programm zur energetischen Gebäudesanierung. Glauben Sie, dass das bald durchkommt?

Kentzler: Hier gibt es von der Opposition positive Signale, daher schauen wir mit gewissen Erwartungen auf die Sitzung des Vermittlungsausschusses am 13. Juni. Die Energiewende kann nur gelingen, wenn wir die Privathaushalte mitnehmen. Millionen von Einfamilienhäusern haben Sanierungsbedarf. Da sind steuerliche Anreize enorm wichtig. Das wäre ein tolles Programm, um die Binnenkonjunktur anzukurbeln. Das Geld ist doch da, die Leute kriegen ja kaum Zinsen dafür und sind froh, wenn sie es sinnvoll ausgeben können. Es wäre schön, wenn Bund und Länder bald einen Konsens finden.

Wünschen Sie sich die große Koalition zurück? Sie haben ja mal gesagt: „In Dortmund funktioniert Schwarz-Gelb, aber in Berlin nicht.“

Kentzler: Ja, der Fußball in Dortmund ist toll. Der Borussen-Trainer Jürgen Klopp hat gezeigt, wie wichtig es ist, ein gutes Team zu bilden. Das ist im Handwerk genauso. Wer als Meister ein schlechtes Team hat, kann keinen guten Betrieb führen. Die Mitglieder der Bundesregierung stellen sich allerdings, um im Fußballjargon zu bleiben, manchmal gegenseitig ein Bein.

Sie haben früher sogar von „Konzeptionslosigkeit“ gesprochen. Regieren Merkel und Rösler inzwischen besser?

Kentzler: Es ist zumindest nicht schlechter geworden. Sie versuchen jetzt wenigstens das, was sie vereinbart haben, auch durchzusetzen.

Auch bei der Rente mit 67, die noch die große Koalition beschlossen hat? Muss die Bundesregierung hier noch nachbessern?

Kentzler: Ich sage dazu ja lieber „Arbeiten bis 67“. Und dafür brauchen wir flexiblere Übergänge. Wir müssen als Unternehmen die Möglichkeiten schaffen, dass die Leute, die es wollen und auch gesundheitlich können, wirklich bis 67 arbeiten können. Und für diejenigen, die das nicht schaffen, weil vielleicht ihre Knie oder etwas anderes kaputt sind, müssen wir Ausgleiche schaffen, damit sie nicht schlechter gestellt sind. Das könnte zum Beispiel über eine Teilrente und eine an die Leistungsfähigkeit angepasste Teilzeittätigkeit gehen.

Herr Kentzler, Sie sind selbst im Herbst 70 geworden. Wie schwer fällt es Ihnen, im eigenen Betrieb loszulassen?

Kentzler: Das ist nicht so einfach, meinen Sohn machen zu lassen. Weil ich oft in Berlin bin, fällt mir das aber zunehmend leichter. Ich lege allerdings Wert darauf, meine monatlichen Zahlen zu bekommen. Da schaue ich schon drüber.

Streiten Sie mit Ihrem Sohn häufig?

Kentzler: Das kommt vor, ja.

Was macht er anders?

Kentzler: Ich habe zum Beispiel erkannt, dass eine Betriebsführung nicht mehr so hierarchisch sein muss, wie das früher einmal war. Mit den Leistungsträgern und einigen, die bei uns die Lehre gemacht haben, duzt sich mein Sohn teilweise. Das hätte es bei mir nie gegeben.

Und sonst?

Kentzler: Mein Sohn ist vielleicht nicht so impulsiv wie ich. Ich kann schon mal aus der Haut fahren, später ärgere ich mich, dass ich es getan habe. Die Mitarbeiter sagen dann: Da kommt der Alte schon wieder und will poltern.

War immer klar, dass Ihr Sohn und nicht Ihre Tochter den Betrieb weiterführt?

Kentzler: Meine Tochter arbeitet in Stuttgart bei Daimler, ist richtig gut, und will da nicht weg. Sie war sozusagen mein letzter Trumpf im Ärmel, falls mein Sohn nicht gewollt hätte.

Und wenn Sie mal nicht mehr Handwerkspräsident sind, fallen Sie dann in ein tiefes Loch?

Kentzler: Sie müssen sich um mich keine Sorgen machen. Wenn ich hier in Berlin fertig bin, werde ich wieder anfangen, Aquarelle zu malen und Klarinette zu spielen. Nur jagen kann ich leider nicht mehr.

Wieso?

Kentzler: Weil mein rechtes Auge zu schlecht ist.

Sie treffen nicht mehr?

Kentzler: Ich würde schon noch treffen. Aber mit einer Waffe muss man absolut sicher umgehen können. Und deshalb lasse ich es lieber sein.

Interview: Caspar Busse und Thomas Öchsner.

Quelle: ZDH

Zu Handwerksthemen finden Sie ebenfalls Beiträge unter http://malerillu.de. , dem Online Magazin der Maler- und Lackierer-Innung Düsseldorf sowie unter http://maler-düsseldorf.de und http://energie-und-fassade.de

Autor:

Heiner Pistorius aus Düsseldorf

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