Wenn die Glocken nach Rom fliegen...

...dann steht Ostern kurz vor der Tür und manche Gäste an der Mosel verstehen früh am Morgen die Welt nicht mehr.

Es ist Karfreitag an der Mosel. Mit mehreren Besuchern aus der Stadt verweile ich im kleinen Moseldorf und nach einem ausgedehnten Mahl mit Moselwein am Gründonnerstagabend haben die Gäste Freude daran, endlich einmal auszuschlafen.

Das ist allerdings im gesamten Moselgebiet vom Elsaß über Luxemburg bis an die Untermosel nach Cochem am Karfreitagmorgen kaum zu bewerkstelligen. Mit einem Riesengetöse legt sich morgens zwischen 6.30 Uhr und 7.00 Uhr ein hölzerner Klapperklangteppich über die frühmorgendliche Stille des Dorfes und einige der Gäste denken, es ziehe ein Orkan auf, während Gäste aus dem weiter entfernten östlichen Teil der deutschen Republik denken, es setze sich eine Panzerparade in Gang. Jedenfalls springen sie alle völlig erschreckt aus dem Bett, eilen ans Fenster und ihr vorsichtiger Blick erspäht eine Gruppe von weiblichen und männlichen Schulkindern, die voller Freude an einem vor der Brust hängenden Holzkästchen eine Kurbel drehen, die in dem Kasten ein höllisches Holzklappergeräusch in Gang setzt.

„Et laut zum eeischte Mool – mer kommen nach mool“ - rufen sie laut. (Es läutet zum ersten Mal, wir kommen nochmal). Und das tun sie dann eine viertel Stunde später nochmals und zur vollen Stunde um 7.00 Uhr zu Beginn der Messe ein letztes Mal mit dem Ruf „Et laut de Biieetglook“. (Es läutet die Betglocke). Ja, und dann beginnt die Frühmesse und auch in der Messe werden die Glocken durch die Klappermaschinen ersetzt, die in der tollen Akustik des Kirchenschiffes so richtig zur Geltung kommen.

Und das ganze wiederholt sich am Mittag nochmal, wenn die Kinder zum Mittagsgebet aufrufen und am Abend ebenso, wenn zur Abendmesse aufgerufen wird. Manche Kinder haben so ihre eigenen Sprüchlein parat, so wenn sie z.B. rufen „Et laut Mettisch“ - dann singen sie leise „de Gäss get beckisch“. (Es läutet zu Mittag und die Ziege wird böckisch). Aber das darf niemand hören.

Natürlich wollen meine Gäste wissen, warum die Glocken nun nicht mehr läuten und stattdessen die Kinder diesen Lärmteppich über das Dorf legen. Geduldig erkläre ich ihnen, das am Gründonnerstagabend die Glocken nach Rom fliegen zur Beichte beim heiligen Vater und das sie in der Osternacht erst wieder zurückkehren, um dann am Ostersonntag klar und rein ein Jubelgeläut anzustimmen, so das es vom Elsaß über Luxemburg bis zur Untermosel nach Cochem von allen Bergen schallt und Freude sich in den Tälern ausbreitet.

Mürrisch lauschen mir die leicht verkaterten Gäste und ziehen sich leicht vergrätzt in ihre Betten zurück. Beim Frühstück erklären sie mir, meine Geschichte sei Blödsinn – noch niemals sei eine Glocke aus dem Kirchturm herausgeflogen und vom Elsaß über Luxemburg bis hin zur Untermosel nach Cochem seien die Leute wohl schon zu sehr weingeschädigt im Hirn.

Am Nachmittag unternehmen wir einen wunderbaren Spaziergang über die Höhen der Berge hin zum nächsten Moseldorf, wo wir in einer gemütlichen Gaststätte im warmen Sonnenschein auf der Terrasse sitzen, Brote verzehren mit heimischem Schinken und dabei einen Elbling genießen, der die Sonne in sich gespeichert hat. Die sympathische Wirtin erzählt bereitwillig wie der Wein hergestellt wird und stellt zwei Flaschen auf den Tisch als Ostergeschenk für uns alle und wir loben die Gastfreundlichkeit der Wirtin in höchsten Tönen und erfreuen uns an dem Blick ins weite Moseltal.

Am Nebentisch sitzt ein älteres Ehepaar aus Dresden und als sich plötzlich zur abendlichen Gebetstunde ein hölzerner Klangteppich über das Dorf legt und die Kinder fröhlich mit ihren Kleppern die Runde drehen, fragen sie die Wirtin, warum die Kinder das denn machen. Und mit tiefem Ernst in der Stimme gab die fromme Frau zur Antwort: „Das ist, weil die Glocken nach Rom geflogen sind. Aber in der Osternacht kehren sie wieder und werden am Sonntag die Ostern einläuten.“

Ja, und meine Gäste meinten nun nach mehreren Gläsern Elbling und den leckeren Schinkenbroten, es könne ja doch durchaus etwas dran sein – an dieser Geschichte, wo die Glocken nach Rom fliegen.

Autor:

Karin Michaeli aus Düsseldorf

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