Vom Fliegen und Flanieren
Die Zugvögel kehren um Richtung Süden, weil es ihnen hier zu kalt ist im ersten März-Drittel des Jahres 2013. Wie gerne wäre ich dabei ! Im Herbst, wenn sie sich zusammenfinden für ihren langen Flug, muß ich manchmal ein wenig weinen, wenn sie in ihrer eleganten Formation am Himmel uns verlassen. Warum kann ich nicht mitfliegen ?
Bei einer dunklen Abendwanderung mit guten Freunden an der Saarschleife hörten wir sie vor Jahren im Herbst über uns schnattern – ein kleines Mädchen war dabei und wir winkten alle kräftig gen Himmel und riefen laut „Auf Wiedersehen und gute Reise !“ Das war ein schöner, fast ein heiliger Moment – auch wegen dem kleinen vierjährigen Mädchen, das voller Inbrunst sich ein paar kleine Tränchen aus dem Äuglein wischte, weil die Vögel nun von dannen zogen. „Sie kehren wieder“ - trösteten wir uns gegenseitig. „Sie kehren wieder und dann scheint für uns alle wieder die Sonne“.
Nun kehren sie wieder um im ersten Drittel des März, weil es ihnen hier zu kalt ist.
Mir ist es hier auch zu kalt. Ich fliege mit. Ja, ich erlaube es mir, verrückt zu sein und gehe mit auf Reisen. „Die schönsten Reisen macht man vom Fenster aus“, war der Schlußsatz in dem Film „Narren des Glücks“. Sie kennen den Film nicht ? Oh, mon dieu – er ist wunderbar. In einem von den Deutschen besetzten Dorf in Frankreich während der vierziger Jahre werden nach Evakuierung der Dorfbewohner die Insassen eines „Irrenhauses“ alle freigelassen. Niemand kümmert sich um sie. Sie gehen in das verlassene Dorf und nehmen dort die Häuser und die Läden ein. Fangen an, in Freiheit ihr Leben zu leben. Backen Brot, machen sich die Haare gegenseitig schön im Friseursalon, spielen Karten in der kleinen Bar beim Pastice und eine kleine Seiltänzerin entdeckt den Dorfzirkus und läuft zwischen zwei Häusern über das Seil zu ihrem Geliebten, der sie auf dem Balkon erwartet.
Der Krieg geht zu Ende und die Menschen, die für kurze Zeit sehr glücklich waren, werden wieder eingesperrt im „Irrenhaus“.
„Was soll's ?“, sagte am Ende einer der Protagonisten und schaut zum Fenster hinaus in den weiten Himmel, „Was soll's, die schönsten Reisen macht man doch immer noch vom Fenster aus“.
Ja, das war der einzige Film den ich je in meinem Leben in einem Lichtspielhaus sah, in dem am Ende das Publikum applaudierte.
Die schönsten Reisen mache ich vom Fenster aus an diesem kalten Märzentag. Ich fliege mit den Vögeln in den Süden und sehe mich dort unbeschwert flanieren. Flanieren ist eine der schönsten Tätigkeiten, die wir Menschen ausüben können. Früher gab es noch den „Flaneur“ - der tauchte schon mal auf in Romanen von Klassikern, wie Balsac oder Hermann Hesse. Er scheint ausgestorben zu sein. Der Flaneur flanierte des flanierens wegen am Ufer eines Flusses entlang oder über eine Einkaufspromenade und schaute dabei interessiert auf das Geschehen um sich herum.
Bei einem Besuch der Stadt Leningrad in den achtziger Jahren, die heute Petersburg heißt, flanierte ich mitten im Winter im Schnee über den Newskiprospekt an der Newa entlang. Verschiedene Flaneure sprachen mich an, gingen ein Stück des Wegs mit mir und erforschten meine Herkunft, um sich dann nach einer kurzen Weile wieder zu verabschieden. Das hat mir gefallen. Ein Stück des Wegs gehen, ein wenig plaudern und sich dann wieder verabschieden – unverbindlich und freundlich.
Nun ja, ich träume ja gerade vom Süden, von der Wärme. Dort habe ich diese Art der russischen Flaneurkommunikation zwar nicht erlebt – brauche ich dort aber auch nicht. Dort nicht. Wenn ich dort angelandet bin mit meinen Zugvögeln nehme ich Platz in der Hafenbar. Ich sitze so gerne in Hafenbars und schaue, wer alles ankommt mit den Schiffen und wer geht. Nach einer Woche der Beobachtung habe ich ein Bild in meiner Seele von den Menschen dort. Ich habe beobachtet, wer sich wie und wohin bewegt und vergesse dabei den Ort, in dem ich normalerweise lebe. Die Beobachtung derer, die kommen und gehen, hält mich gefangen – genauso wie mich die Fischer gefangen halten mit ihrer Arbeit an den Netzen.
Auf der Insel Karpathos beobachtete ich über Tage die Fischer mit ihren Netzen und eines Abends, als der Himmel sehr dunkel wurde und starke Stürme aufkamen, war Not bei den Fischern. Sie konnten gar nicht schnell genug die Fische aus den Netzen herausfingern, um ihre Schiffe in Sicherheit zu bringen. Es war der Moment, wo wir Touristen unser Flaniergehabe beiseite legten und den Fischern halfen, schnell fertig zu werden. Fische aus dem Netz heraus picken ist anstrengender, als man glaubt. Gemeinsam hatten wir es geschafft, vor den gefrässigen Wellen fertig zu werden und alle Schiffe waren beizeiten an das rettende Ufer gebracht.
Ein Bündel Fische für jeden von uns war der Lohn. Und eine Flasche Wein dazu. Aber wie sollten wir die Fische bearbeiten ohne Ofen im Hotelzimmer ? Kein Problem ! Eine junge Frau zeigte uns, wie man Fische auf einem Stein braten kann. Sie sammelte sehr wenig Geäst am Strand, zündete es an und legte einen großen Stein auf das Feuer. Der Stein wurde heiß und darauf wurden nun die Fischlein gebraten.
Ja, so einen Abend möchte ich wieder erleben, wenn ich mit den Vögeln nach Süden ziehe – weg von hier, weg von der Kälte, die auch im Herzen manchmal so schmerzlich zu spüren ist. Und das hat weniger mit dem Wetter zu tun. Aber das ist eine andere Geschichte...
Autor:Karin Michaeli aus Düsseldorf |
5 Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.