Stein sein

Dieses Miststück von kleinwüchsigem Altrocker hatte mich mit Wucht und Wut im Bauch über die Straße getreten. Und da lag ich nun im Rinnstein einer Hauptverkehrsstraße, gefährlich nah neben einem Gully.

`Jetzt bloß kein Starkregen´ bibberte meine kleines steinernes Herz.

Ich fror.
Und zwar ganz erbärmlich!

Vorher hatte ich es mir so schön gemütlich gemacht. Auf einer kleinen begrünten Verkehrsinsel, im kuscheligen Gras. Das war schon voll okay, dass es der Stadt an Geld fehlte und sie hier nur alle Jubeljahre mal das Gras schneiden ließ. Das war zwar auch schon Hundebesitzern aufgefallen und manch ein stinkender Haufen war direkt neben mir gelandet. Aber so alles in allem hatte ich doch meine Ruhe und konnte den fließenden Verkehr beobachten.

Das hatte schon was Meditatives.
Bis auf die Huper und Blinker und Bremsenquietschenlasser. Das brachte dann aber mal Stimmung in die grasgrüne Bude, war mir also ganz recht. Da hatte ich wenigstens was, womit ich mich zusammen mit den Hundeführern aufregen konnte.

Mein Leben war ja sonst eher langweilig.
Bis zu dem Tag, als sich dieser Idiot mit der Lederkutte und den Springerstiefeln wild kotzend auf diese Verkehrsinsel begab und mich durch die Gegend kickte.

Als wenn so ein Stein keine Seele hätte!
Außerdem hat das sowieso weh getan. Werden Sie mal mit solcher Wucht getreten! Das gibt doch irre blaue Flecken!

Da lag ich also.
Die LKW-Reifen rückten mir auf die Pelle und ab und zu wurde ich auch von einem Fahrradreifen getroffen und kullerte dem Gullydeckel immer näher entgegen.

Da!
Ein Geisterfahrer!
Riss an seinem Lenkrad, rollte mit einem Affenzahn auf mich zu. Ich schrie noch auf, sah mein frühes Ende gekommen.
Aber er touchierte mich nur.
Also flog ich wieder.
Weg vom Gullydeckel, in einem hohen Bogen über die Straße.
Und blieb mitten auf einem Zebrastreifen liegen.

Es war richtig spannend. Ich lag dort und sah mir diverse Automarken von unten an. Linste in rostige Auspuffrohre und versuchte anhand der Abgase die jeweiligen Kennzeichen zu erraten. Das war natürlich absoluter Schwachsinn, vertrieb mir aber zumindest die Zeit. Nach zwei Tagen konzentrierte ich mich auf die Schuhe der Fußgänger. Ganz schnell war ich so weit, dass ich die Turnschuhmarken anhand ihres Profils auseinanderhalten konnte. Nur vor Stöckelschuhen hatte ich richtig Angst. Nicht auszumalen, wenn mich so ein Pfennigabsatz mitten im Bauch treffen sollte.

So tröpfelten die Tage vor sich hin und ich hatte schlimme Sehnsuchtsattacken nach dem Grün meiner Verkehrsinsel. Ich war ein Vertriebener. Ohne Aussicht auf Asyl. Wer würde mich schon haben wollen? Hässlich und grau wie ich nun mal war.

Ich hatte sämtliches Zeitgefühl längst verloren, als mich eines Tages eine kleine Hand hoch hob. Ich blickte in große und strahlende Blauaugen und traute meinen Ohren kaum:

„Du bist es!! Dich habe ich gesucht!! Du bist mein Glücksbringer und kommst jetzt in meine Hosentasche!!“

Asyl!
Man hatte mir doch noch Asyl gewährt!
Ich hatte ein neues Zuhause!
Eine Hosentasche...konnte mein Glück himmlischer und vor allem: wärmer sein?

Der Winter konnte kommen.
Und ich würde mein Glück machen.
Vor allem für Blauauge mit dieser bequemen Hosentasche.

Sie fragen sich, wie man wohl Glück macht?

Das ist wieder eine ganz andere Geschichte.

Autor:

Annette Kallweit aus Düsseldorf

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