Stadturlaub mit Hindernissen
Ein kleiner Stadtkrimi mit überraschenden Ergebnissen - Tatort: der Breitscheider Wald
Das tägliche Urlaubserleben an Orten, die man normalerweise mit der Arbeit verknüpft, ist köstlich. Normalerweise ruft die Mittagspause nach einer bestimmte Zeit mit lauter krächzender Stimme einen zurück an den Ort seiner Taten.
Das im Urlaub mal so mitten in der Woche zu genießen ohne den Druck, wieder zurückzukehren ins Büro zu einer bestimmten Zeit, hat was frivoles.
Noch frivoler ist es, sich dann draußen vor der Tür nach der köstlichen vegetarischen Lasagne von einem Herrn ins Gespräch verwickeln zu lassen, um dann mit dem am hellichten Tag mit einem Glas Wein anzustoßen. Das ist Sünde !
„Essen ist der Sex des Alters“, sage ich zu dem Mann. „Oh, dann haben Sie aber wenig Sex“, sagt er und ich entscheide mich, mich über diese Aussage zu freuen. Deutet sie doch darauf hin, das ich wenig esse ? Oder doch nicht ? Deutet sie etwa auf etwas anderes hin ? Weil ich das halt so gesagt habe, halt...
Ich bereue meinen flotten Spruch, weil ich mit dem Mann ja gar nicht über mein Sexualleben sprechen will. So hangele ich mich weiter zum nächsten Spruch. Ich sage lächelnd „Wenns Arscherl noch brummt, ist's Herzl gesund“. Das hatte ich mal in Rüdesheim in der Drosselgasse auf einem Wandteller gelesen als Sechsjährige. Damal mußte ich wegen dem Wort „Arscherl“ darüber schrecklich lachen – vergessen habe ich den Spruch nie.
Warum ausgerechnet bei diesem streng dreinblickenden Mann mit dem Anzug und der lila Krawatte auf geblümtem Sommerhemd ich diesen Spruch nun bringen mußte, weiß nur mein Unbewußtsein.
„Sie haben wohl heute Ihren witzigen Tag !“, lacht er mich an. Ich verweise darauf, das ich einen fliegen ließ, also einen Flieger ohne mich in den Urlaub fliegen ließ und nun glücklich sei, meine nähere Umgebung mal als Urlauberin zu erleben.
Das gefiel dem Mann sehr gut. Er sei noch nie in seinem Leben verreist, habe immer nur gearbeitet in seinem landwirtschaftlichen Betrieb und kenne es gar nicht anders, als das man zu Hause sei. Vieh sei zu versorgen, die Ställe auszumisten und er könne ja schlecht die ganze Arbeit seiner Frau aufbrummen. Ja, da hat er recht.
Ein netter Typ. Wir plaudern noch so ein wenig hin und ein wenig her und zum Abschied gab er mir seine Visitenkarte. Ich solle doch mal kommen und bei ihnen Rhabarberkuchen essen. Sie seien sehr gastfreundlich, bei ihnen sei immer was los. Sie seien so ein Haus der offenen Tür.
Das gefiel mir außerordentlich gut. Wo erlebt man heute so was noch ?
Zufällig, rein zufällig, wurde ich beim googeln nicht fündig – na, dachte ich – fahre doch mal einfach so mit dem Auto Richtung Breitscheid aufs Land – kannst ja mal von weitem gucken, was das da ist.
Ich mache mich also auf den Weg zu der Adresse des freundlichen Unbekannten. Und was soll ich Euch sagen ? Da war gar kein Bauernhof. Da war nichts, absolut nichts ! Lediglich ein alter Wohnwagen stand dort auf einer Wiese, aus dem es furchtbar angebrannt roch. Offensichtlich hatte dort jemand seine Sardinen verbruzelt.
Während ich mich entfernte, konnte ich natürlich nicht wissen, das der mit der lila Krawatte schon mit dem Handy hinter dem Fenster stand und hinein flüsterte „Sie war da – sie fährt soeben mit dem Auto die Landstraße entlang und ich sehe, das sie die Abkürzung durch den Wald nimmt. Schlagt nicht zu fest zu ! Ich will sie lebend haben...“
Hätte ich das mal gehört, ich schwöre Euch, ich hätte einen anderen Weg genommen........
Ich fuhr also mit meinem alten DKW-Junior vorbei an diesem schrecklich vergammelten Wohnwagen und machte mir so meine Gedanken. Da ich noch ein wenig im Wald spazieren gehen wollte mit meinem Russel-Terrier, nahm ich die Abkürzung durch den Wald. Es fing schon an zu dunkeln. In Gedanken war ich noch ganz bei dem Film „Liebe auf italienisch“ mit Sophia Loren und Marcello Mastroianni. Den hatte ich mir tags zuvor auf Video angeschaut. Er hatte mich derart beeindruckt, das mich das Thema nicht verlassen wollte.
Sophia spielt eine Prostituierte, deren Stammkunde Marcello war. Drei Söhne hatte sie, die sie alle weggegeben hatte in Pflege, weil sie nicht für sie sorgen konnte. An den reichen Marcello machte sie sich zum einen heran weil sie ihn liebte und zum anderen weil er reich war. So konnte sie von ihm stets Geld abzwacken für den Unterhalt der Söhne, die sie heiß und innig liebte. Sie erschlich sich eine Ehe mit ihm – es ging aber wegen seiner ständigen Liebeleien nicht gut aus. Sie trennten sich und bei der Trennung eröffnete sie ihm, das sie drei Söhne habe. Einer sei von ihm. Das dramatische an der Geschichte war nun, das er unbedingt wissen wollte welcher Sohn der seinige sei, damit er ihn fördern könne. Und genau das wollte die kluge Sophia, die nie weinen konnte, nicht. Sie wollte, das er alle Söhne gleich behandele.
Die Geschichte war echt italienisch mit gewaltigen Zornesausbrüchen und zerkratzten Gesichtern auf beiden Seiten der ewig Liebenden. Sie fand ihren glücklichen Abschluß, als er ihr drohte, diese Geschichte den mittlerweile erwachsenen Söhnen zu erzählen, nämlich, das einer von ihnen sein Sohn sei. Das versuchte sie mit Todesandrohungen zu verhindern bis hin zu einer wüsten Schlägerei mit Marceollo. Und dabei erlahmten ihrer beider Arme und sie sanken zu Boden und küßten sich.
Schnitt: Hochzeit von Mama und Papa und am Ende sagten alle drei Jungs zu ihm „Ciao Papa“ - es war der Moment, wo Sophia zum ersten Mal in ihrem Leben weinen konnte. Und das „tat so gut“.
Ein wunderschöner kluger Film, dessen tieferen Sinn ich immer noch im Gedächtnis verarbeite, lenkt mich ab von dem schmuddeligen Wohnwagen.
Jonny, der kleine Terrier, fiepte schon ungeduldig, wollte raus aus dem Auto. Ich parkte und wir gingen in den dunklen Tann. Es wurde langsam dämmrig, in der Ferne hörte ich einen Bussard schreien, in der Nähe zwitscherten die Zaunkönige ihr Lied. Es duftete nach Harz und nach Waldmeister. Es wurde kühl, unheimlich kühl.
Ich hörte ein Auto herannahen. Es hörte sich so an, als würde es hinter meinem Auto parken. Aber ich hörte keine Tür zuschlagen. Ich hörte nur diesen Klang eines ausgehenden Motors – und dann unheimliche Stille. Jonny fing an zu zittern und zu fiepen. Er hatte Angst. Ich nahm das Bündel von Hund auf den Arm und stolperte über Hölzer in Richtung meines Autos. Vorsichtig spähte ich durch das Gebüsch und sah vor meinem Auto einen alten schwarzen Opel Rekord stehen mit vier Männern darinnen. Sie rauchten und sahen nicht vertrauenswürdig aus. Ich saß in der Falle. Kein Mensch hätte mich in diesem Moment dazu bringen können, auf mein Auto zuzugehen. Die Angst saß mir im Körper – kalter Schweiß stand mir auf der Stirn. Der Hund, hoffentlich fing er nicht an zu bellen. So gut ich konnte, hielt ich ihm die Schnauze zu und trat den Rückzug an in den dunklen kalten Wald.
Ich gelangte auf einen Pfad und fing an mit dem immer schwerer werdenden Hund auf dem Arm zu rennen. Ich rannte immer geradeaus – ich rannte um mein Leben. Mein Bauchgefühl sagte mir, das hier etwas schreckliches geschehen würde, wenn ich nicht vorsichtig wäre.
Die Wälder um Breitscheidt herum sind unendlich groß und gehen in eine unüberschaubare Tiefe. Hinter mir war Stille. Ich verlangsamte meinen Schritt, konnte nicht mehr laufen. Aber ich drehte mich immerfort um und jeden Schatten deutete ich als Verfolger. Ich weinte und betete. Es war so furchtbar. Wohin sollte ich nur gehen ? Einfach immer weiter nach vorne, sagte mir eine innere Stimme. Gehe einfach immer langsam weiter. Der Mond zeigte sich langsam am Himmel und vor ihm blinkte der Abendstern. Die konnten mir nun auch nicht helfen. Ich verließ meinen Pfad, nahm einen anderen Pfad, wollte ein Labyrinth erstellen, damit man mich nicht findet.
Ein Motor heulte auf. Sind sie weg ? Ich kann nicht zurückgehen. Ich kann keinen Notruf anwählen. Mein Handy liegt im Auto.
Schnitt:
Die vier Männer im Auto hatten mittlerweile Kontakt aufgenommen zu dem Mann mit dem geblümten Hemd und der lila Krawatte. „Wir finden sie nicht“. „Ihr müßt sie finden ! Macht die Reifen platt von ihrem Auto !“, schnauzte er sie an. Und pff pff pff, entwich aus allen vier Rädern die Luft. „Die kommt hier nicht mehr weg !“
„Jetzt verteilt Euch, sucht sie !“ Vier Männer verließen den schwarzen Opel auf leisen Sohlen und nahmen meine Verfolgung auf.
Ich wiederum war im Kreis gelaufen und kam just in dem Moment am Auto an, als die vier auf leisen Sohlen unterwegs waren, mich einzufangen.
Doch was war das ? Alle Reifen platt ! Wie soll ich von hier fortkommen ? Im Rekord steckte der Schlüssel. In diesem Moment erfaßte mich eine eiskalte Wut – ich schmieß mich in den Rekord, warf den Zündschlüssel an und gab Gas. Mit einem riesigen Motorgetöse schoß ich nach vorne und flog den Waldweg entlang, wie ein Indianerpfeil. Ich machte Hupkonzert, drehte die Scheiben runter und schrie: „Na, was wollt Ihr jetzt machen ? Dann fangt mich doch !“ - und fuhr los. Und raste durch den Wald wie eine gesengte Sau.
Am Ende der Fahrt ging es über die Bundesstraße geradewegs zur Polizei.
Nummerschildüberprüfung. Der Wagen war als gestohlen gemeldet.
In der gleichen Nacht wurde in einem alten Wohnwagen ein geblümter Mann mit einer lilafarbenen Krawatte verhaftet. Ein lang gesuchter Serienmörder gelangte in das engmaschige Netz der Polizei.
Seine Kumpel sind auf freiem Fuß. Muß ich mich nun fürchten ? Komme ich nun ins Kronzeuginnenschutz-Programm ?
„Nein“, sagte der Polizist freundlich lächelnd, „Sie müssen nur mittags in der Mittagspause sich nicht mehr von fremden Männern mit geblümten Hemden und lilafarbenen Krawatten einladen lassen...“
Mal ehrlich, hätte ich diesen Krimi erlebt, wenn ich in den Urlaub geflogen wäre ? Niemals. So beschert das Urlauben zu Hause mir nicht nur schöne Stunden auf Schiffen und in nächtlichen Wäldern, sondern auch noch einen kleinen life erlebten Krimi.
„Ja, Jonny, ist schon gut – Du bekommst jetzt Dein Leckerchen. Das haben wir uns verdient. Gut, das die Polizei nicht weiß, daß wir bei unserem kleinen Umweg durch den Wald alle vier umgenietet haben und das die nun verpackt, wie Puppen und beschwert mit Steinen ihre ewige Ruhestätte gefunden haben im Blauen See. Darauf trinkt sich die Mama jetzt noch einen Dujardin"...
Manchmal ist es gar nicht verkehrt, sich einen italienischen Film einzuverleiben, der vor Wut und Leidenschaft nur so strotzt !
Danke Sophia !
Autor:Karin Michaeli aus Düsseldorf |
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