Schlemmen statt Schwimmen...
Der Freitagmittag steht in der Tür. Ich habe endlich frei. Die Badetasche steht schon gepackt im Büro – und nicht nur das. Auch die Tasche für das Fitneßstudion steht daneben. Beide Taschen glotzen mich blöd an. „Wir gehen ja gleich – ich muß nur noch die Post einwerfen“, raune ich den Taschen hoffnungsvoll zu und ziehe aber vorsichtshalber die Jacke an. Man weiß ja nie, was auf den zwei Minuten bis zum Briefkasten alles passieren kann.
Auf den zwei Minuten zum Briefkasten passierte heute viel. Nach einer unruhigen Nacht, in der ich als aufmerksame Beobachterin des Weltgeschehens versuchte mir auszumalen, wo man außerhalb Europas in Frieden auf dieser Welt leben könnte, war ich reichlich müde und zerschlagen.
Ich sinnierte noch darüber nach, das Suizid in unserer Gesellschaft aufs Strengste verboten ist. Sobald eine professionelle ärztliche Person der Tatsache gewahr wird, das sich ein Mensch umbringen will, ist sie verpflichtet, dies zur Anzeige zu bringen, damit der lebensmüde Mensch gerettet wird. Wenn sie aber weiß, das mit deutschen Waffen tödliche Einsätze geflogen werden, kann sie das nicht zur Anzeige bringen. Mit solch paradoxen Gedanken schlenderte ich zum Briefkasten und war reichlich verwirrt über die unterschiedlichen Bewertungskriterien menschlichen Lebens.
Wie automatisch eilten meine Beine zur Straßenbahn, um in die Stadt zu fahren. Warum sollte ich schwimmen gehen, mich anstrengen. Das Leben ist doch ohnehin so schwierig. Zum Rhein zog es mich hin, zum Kaffee trinken auf der Rheinuferpromenade.
An der Kö sehe ich jede Menge weiße kleine Zelte stehen. Neugierig gehe ich hin und schaue, was es dort gibt. Es ist Gourmet-Festival in Düsseldorf. Die Besten der Besten kredenzen Weine und kleine appetitliche Speisen.
Essen ist der Sex des Alters. Ich gebe zu, das ich viel Sex habe... Das hier kam mir wie gerufen, zumal ich noch nichts Eßbares zu mir genommen hatte.
Das Victorian bietet u.a. afrikanisches Cous Cous an mit Hüttenkäse und Minze an Gurke und Tomate. Ich nehme diese kleine Miniportion in der Größe eines Apfels, weil sie nicht so teuer ist, wie die anderen Speisen und fange an, zu genießen. Genieße es, wie die Servicekraft liebevoll die Gurken in so hauchdünne Scheibchen schneidet, das diese sich ein wenig drehen und mit elegantem Hüftschwung das kleine Gourmethäufchen zieren. Obenauf eine kleine Honigtomate. Das esse ich sehr langsam und sehr bewußt und bedauere, das ich nicht den Beruf einer Kaltmamsell ergriffen habe.
Drei Burka-Personen eilen schnellen Schritts an den Stehtischen vorbei, auf denen sich auf den Tischdecken Glasplatten befinden und darauf Gläser und Blumensträuße. Eine Burka wischt im Vorübergehen mit wehendem Schleier die Glasplatte vom Tisch und diese geht zu Boden samt Gläsern und Blumenvase. Die Blumenvase bleibt heil. Die Burkaperson hat es nicht gemerkt. Ich muß lachen. Die anderen lachen nicht.
Ich bin stolz auf mich, möchte schlank bleiben und freue mich, das ich nur so eine winzige Portion zu mir genommen habe.
Dann komme ich an einem kleinen Zelt vorbei, wo die herrlichsten Äpfel ausgestellt sind. Man kann sie alle kosten. Einer ist saftiger und süßer als der andere. Auf der Thecke steht ein Teller mit Apfelpfannkuchen – der Teig ist mit Hefe ausgebacken in einer gefetteten Pfanne. Ein Traum von einem Apfelpfannkuchen und während ich mir den Apfelkuchen noch verbiete, zahlt meine Hand schon die 3,- Euro für das kleine Wunderwerk mit Zucker und Zimt obendrauf und ich nehme Platz auf einer Bank neben einer älteren Dame. Der Verkäufer schneidet die Küchlein in kleine Stücke – und ob Sie es glauben oder nicht: in jedem Stückchen ist ein Apfelstückchen. Wir essen schweigend, genießen das Manna des pfälzischen Apfelkuchenmeisters.
Es kommt eine schlanke Frau auf uns zu, eine Passantin. „Schmeckt es ?“ fragt sie laut und kess. Wir nicken irritiert. „Sehen Sie !“, ruft sie dem Pfälzer zu, „Ihre Apfelkuchen schmecken, hahaha !“
„Selber essen !“, rufe ich der Frau zu. „Dat machen die niemals net wegen ihrer Figur“, war die lakonische Antwort der alten Dame neben mir.
Normalerweise wäre hiermit Schluß gewesen mit der Schlemmerei, wenn nicht, ja wenn nicht da dieses Zelt gewesen wäre mit der Aufschrift „RentGiorgio!“ Giorgio ist ein Koch und man kann ihn buchen. Der kommt dann nach Hause und kocht Ihnen was. Giorgio hat auf der Thecke einen riesigen Käselaib. Von diesem kratzt er Käse ab, schwenkt in der Kuhle des Käselaibs frische heiße Spaghetti al dente, gemixt mit kleinen Pepperonischeibchen, Knoblauchscheibchen und Tomatenscheibchen sowie Ruccola – und das alles noch übergossen mit Olivenöl. Das ist so eine verdammte Herausforderung an die lukullische Seele, das man hier einfach zugreifen muß ! Ein Teller mit dem ersten Glas Wein des Tages kostet 10 Euro und mit dem ersten Biß beginnt die Reise in das orgiastische Paradies der Schlemmerei. Als mich Giorgio fragt, ob es mir geschmeckt habe, sagte ich ihm, man solle ihn nicht leihen, sondern direkt heiraten. Darauf schaute er verdutzt. HAR !
Ob es das alles im kommenden Jahr noch gibt, fragt mich mein beschwipstes Unterbewußtes immer im Gedenken an die Tagesschauen mit ihren nicht aufhören wollenden Kriegsnachrichten. Das beschwipste Unterbewußte lenkte mich dann aber zielstrebig zu einem österreichischen Weinstand aus dem Burgenland. Man kann ja auch mal ein Glas Wein trinken, ohne was zu essen. Der rote Pinot noir ist wie Samt und Seide. Er zergeht in der Seele und ich könnte mir vorstellen, das das Burgenland im Falle eines dritten Weltkrieges vielleicht verschont bleibt. Eine kleine Hütte dort mit diesem herrlichen Wein und meinem Laptop würde mir genügen. Immer noch besser, als Kanada. Meine Auswanderüberlegungen gingen gar bis dorthin und bis Alaska.
Die Weinverkäuferin scheint zu ahnen, das ich dem Sex des Alters im Burgenland frönen möchte und kommt mir einer Flasche Weißwein auf mich zu. Ob sie mir noch einen Weißen einschenken dürfe ? Dankend nehme ich an und schaue zu, wie sie im mitgebrachten Glas weit über das Normalmaß hinaus mir einschenkt. Das gehe aufs Haus, meint sie freundlich.
Ich sitze am Kögraben vor dem Wasser auf einem Stuhl an einer Stelle, wo man normalerweise nie sitzen kann, genieße die gute Stimmung, die sich bei mir einstellt und lasse den freundlichen älteren Herrn gerne neben mir Platz nehmen. Weitere Burkapersonen passieren die Kö. Der Herr und ich tauschen uns darüber aus, warum das so ist. Das ist so, weil die wohlhabenden Frauen der Scheichs gerne auf der Kö einkaufen – deshalb knubbele sich das hier so mit den Burkas. Wir sind beruhigt. Hätte ja auch anders sein können. Wir sind ja alle nicht unberührt von den Nachrichten. Bevor es politisch wird, schlendere ich weiter in der Absicht, nun sei Schluß für heute mit der Schlemmerei !
Ich hatte die Rechnung ohne die Spanier gemacht. Die locken mit einem Käse-Schinken-Teller und dazu einem Vino Tinto – das alles für 8 Euro. Gut, meine letzten 20,- Euro kann ich auch noch ausgeben. Der Wein macht es mir leicht und ich esse Schinken von „der Kuh“, Käse „vom Schaf“ und dazu den herrlichsten Vino Tinto aller Zeiten auf der anderen Seite von der Kö. Die Seite, wo die Banken sind. Hier hat die Deutsche Bank einen Innenhof mit Pflanzen wie im Dschungel, darin eingebettet ein Kaffeehaus. Ein absoluter Geheimtip für jeden Liebhaber der Jugendstilarchitektur. Und ich sitze genau gegenüber dieser Prachtbank auf einer kleinen Bank und genieße meinen Tinto und Käse und Schinken. Es ist zu viel des Guten. Ich packe den großen Rest von Schinken, Käse und Brot sorgfältig in die Serviette ein und wünsche mir, den Fifty-Fifty-Mann wiederzusehen, der so krumm am kleingestellten Stock geht und der offensichtlich die Häppchen liebt, wie wir alle. Dem möchte ich das geben. Mein Rundgang führt mich auf die andere Seite der Kö, wo er seinen Job macht – und siehe da, plötzlich taucht er wieder auf und lächelt mich an. Wir haben uns als Liebhaber der Häppchen ja schon ohne Worte erkannt. Ich biete ihm das kleine Eßpäckchen an, erzähle ihm, was drin ist und das es mir zu viel war und ob er es haben möchte. Ja, das wollte er – aber ich mußte ihm doch die Zeitung noch dafür abkaufen. Darauf bestand er. Ich krame also mein Geld zusammen, was gedacht war für eine Flasche bulgarischen Rotwein für zu Hause und kaufe von den restlichen 11 Euro, die ich habe, ihm die Zeitung ab, damit er das Eßpäckchen nimmt. Übrig bleiben mir nach Aufrundung 8, Euro.
Na, wenn das mal gut geht ! Ich eile zum bulgarischen Weinstand und frage die freundliche Verkäuferin, was der Rotwein aus dem Süden Bulgariens koste. 9,50 Euro, war die Antwort. Sie liefere gerne aus, ich solle die Adresse mitteilen und ab 6 Flaschen würde der Versand stattfinden. Ich gab zu verstehen, das ich jetzt, sofort eine Flasche mitnehmen wolle, weil ich mir beim Spanier so eine schöne Salami gekauft habe, die ich zu Hause genießen wolle mit meinem Freund und einem Wein und für eine Flasche für 9,50 Euro würde es ohnehin nicht mehr reichen. Ich bedankte mich freundlich und schickte mich an, weiterzugehen.
Nach wenigen Schritten faßte mich jemand am Ärmel. Es war die bulgarische Weinverkäuferin. Wieviel Geld ich denn noch hätte ? 8 Euro, war die Antwort. „Kommen Sie, ich gäbe Ihnen die Flasche gerrne mit und dänken Sie bei Trinken an Bulgarien“, lächelte sie mich an. Wir machten den Deal – und was soll ich sagen: der Merul aus Thrakien schmeckt wunderbar, während ich das hier schreibe.
Und für mich habe ich viele Erkenntnisse gewonnen heute. Es schließen sich immer wieder Kreise. Immer wieder geschehen kleine wundersame Dinge, Dinge, die liebenswert sind, Dinge, die mir zeigen, das jeder Tag eine kostbare Perle ist auf der Schnur des Lebens.
Ja, das war mein Weg zum Briefkasten, auf dem ich mich entschied, zu schlemmen, statt zu schwimmen. Und ich bereue es nicht, in diese wunderschöne Welt der gehobenen Gourmets eingetaucht gewesen zu sein. Es war ein bunter Film, in dem ich die Ehre hatte, mitspielen zu dürfen und wenn ich jetzt noch ein paar Wochen keine Nachrichten mehr schaue, mag diese schöne Stimmung hoffentlich anhalten.
Verzeihen Sie mir, das diese Tagesnotiz ein wenig länger ausfiel, als sie gewöhnlicherweise ausfallen sollte. Aber es war einfach zu viel passiert an diesem Freitag, dem 22. August.
Autor:Karin Michaeli aus Düsseldorf |
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