"Mordanschlag"
Zieht man in ein anderes Stadtviertel (hier vom Süden ins Zentrum),
so verliert man leider manch lieb gewonnenen Nachbarn rasch aus
den Augen. Doch sehr bald gewinnt man wieder neue Freunde hinzu,
so man sich häufig in die Öffentlichkeit begibt.
Einer dieser neuen Freunde, von Beruf Konditormeister, erzählte mir
vor einiger Zeit eine kleine Episode aus den 50er Jahren. Damals war
er selbst noch ein ganz junger Bursche, der seinem Vater (ebenfalls
Konditormeister, wie zuvor schon der Großvater) bei der Auslieferung
der Backwaren behilflich sein musste.
Bereits zu jener Zeit bewohnten im Umkreis von Meerbusch begüterte
Bürger feudale Villen: Unternehmer, Direktoren, Professoren u. dergl.
Meist an Wochenenden hatte Sohnemann die Aufgabe, bei den Kunden
dort anzuschellen, um ihre Bestellungen entgegen zu nehmen, damit
diese Waren alsdann direkt vom Wagen aus ins Haus geliefert werden
konnten.
Ein Professor der Uni bestellte u. a. regelmäßig einen von ihm heiß
geliebten und geschätzten Rosinenstuten. Eines schönen Tages hatte
tags darauf in Vaters Laden das Telefon geläutet, und am anderen Ende
meldete sich eine Angestellte des Herrn Professors. Man ließ den
Meister zwecks einer Unterredung zu sich bitten.
Als beide sich wenig später in Professors Herrenzimmer gegenüber
saßen, sprach dieser mit ernster Miene: "Sie hatten wohl einen Mord-
anschlag auf mich vor?" Verdutzt gab hierauf der Meister zu verstehen,
dass er absolut keine Ahnung hätte, um was es hier ginge. Daraufhin
deutete der Professor auf einen kleinen Nagel, welcher auf seinem
Schreibtisch lag - das Corpus Delicti. "Dies hier befand sich in meinem
Rosinenstuten! Und ich muss schon sagen, das ist für wahr ein ziemlich
starkes Stück!"
Oh je - nun kam der Meister zwar ein wenig ins Schwitzen. Aber dann
konnte er dem Professor klipp und klar erklären, warum dies zuweilen
vorkommen könnte. Rosinen werden aus der Türkei oder aus Griechen-
land -verpackt in Holzkisten- angeliefert. Somit kann es manches Mal
schon passieren, dass sich ein loses Nägelchen in die Ware "verirrt",
welches dann später beim Verlesen der Zutaten quasi durch die Finger
"schlüpft" und somit in den Teig gelangt. Dies sei allerdings in seiner
Praxis nun garantiert zum ersten Mal vorgekommen.
Nach und nach verlief die Unterredung dann doch freundlicher. Und
mit einem kleinen "Wässerchen" sowie einem Händedruck wurde der
Meister letztendlich verabschiedet, nicht ohne ihm zusätzlich zu ver-
sichern, dass sein köstlicher Rosinenstuten sowie auch alle anderen
Backwaren weiterhin angeliefert werden durften.
B. Bo. / Juli 2011
Foto: Auszug aus einem "Wilhelm-Busch-Album"
Autor:Brigitte Bogers aus Düsseldorf |
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