Marketing-Experte Professor Harald F. Ross appelliert an den Einzelhandel

Professor Harald Ross im Gespräch mit Bernd ten Eicken, Objektleiter des Rhein-Bote Düsseldorf | Foto: Siegel
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Online-Shopping ist für viele einfach, praktisch und sogar hipp – und stetig auf dem Vormarsch. Doch für den Einzelhandel sollte er keine Gefahr, sondern eine Herausforderung darstellen. Professor Harald F. Ross erklärt dem Rhein-Bote, warum und wie der Einzelhandel agieren sollte.

Der Einzelhandel beklagt eine zunehmende Bedrohung durch Online-Anbieter? Ist diese Angst berechtigt?

Prof. Ross: Nicht nur, aber auch. Der stationäre Einzelhandel wird von jeher von starken Wettbewerbskräften bedrängt: Früher waren es der Katalogverkauf, die Haustürgeschäfte oder die Buchklubs, die Alternativen zur Ladentheke boten. Später kamen TV-Home-Shopping-Sender oder lokale Factory-Outlet-Center als Konkurrenten hinzu. Heute attackieren Online-Händler die Existenzen der selbständigen Anbieter. Der Einzelhändler sollte sich immer auf seine Kernkompetenz – seinen Laden – konzentrieren. Aber auch die Augen vor der digitalen Entwicklung nicht verschließen, sondern mitziehen. Denn wer sich nicht mitmacht, ist bald raus.

Besitzt der Online-Handel eine besonders intensive Verdrängungs-Qualität?

Nahezu alle Haushalte sind heutzutage mit digitaler Technik ausgestattet. Handys, PCs oder Tablets sind für geschäftliche Zwecke nutzbar und geeignet, damit einzukaufen. Das finden zunehmend viele Kunden cool und hipp.

Befinden sich die Online-Geschäfte bereits auf der Überholspur?

Aktuell werden in Deutschland gerade einmal weniger als 10 Prozent aller Einzelhandelsumsätze über die virtuelle Ladentheke umgesetzt. Insbesondere Bekleidung, Schuhe, Lederwaren, Reisen und technische Geräte werden häufig im Internet geordert. Mehr als 90 Prozent aller Geschäfte werden jedoch immer noch vor Ort getätigt. Damit besitzt der stationäre Einzelhandel insgesamt noch eine überragende Marktstellung. Oft macht er als Multichannel-Anbieter auch einfach mit.

Wie ist diese Entwicklung wissenschaftlich einzuordnen?

Hilfreich ist ein genauer Blick auf die Soziologie. Die verstärkte Nutzung digitaler Medien wird sich fortsetzen, denn sie gehört zur Kategorie der Megatrends. Mit Megatrends werden langfristige Entwicklungen bezeichnet, die als „Blockbuster gesellschaftlicher Veränderungskräfte“ gelten. Solche dominieren das Wirtschafts- und Gesellschaftsleben über Jahrzehnte.

Wenn das so ist, gibt es weitere Entwicklungen dieser Art?

Ja, weitere Megatrends sind der Demografische Wandel und die Individualisierung.

Welche Lösungen bietet hierbei das Marketing?

Nehmen wir an, dass nur die Digitalisierung aktuell eine Herausforderung für den Einzelhandel darstellt, dann sind folgende Lösungen empfehlenswert: Eine gute und einfühlsame Beratung, eine verstärkte Identifikation mit den Stammkunden im Sinne der Kundenbindung. Die Hinwendung zu neuen Zielkunden, die zunehmend auch alt sein können, sowie ein aufmerksamer Service als weitere Erfolgsfaktoren.

Was können Sie dem Einzelhandel außerdem empfehlen?

Eine abwechslungsreiche Inhouse-Kaufumgebung mit gutem Design, mit innovativer Beleuchtung und behaglicher Aufenthaltsqualität. Attraktive Schaufenster und Eyecatcher sorgen außerhalb der Geschäftsräume für optische Vielfalt. Visuell, statt virtuell, lautet die Devise. Erlebnisbetonte Geschäftsevents befördern Kaufanreize, Verankerung und weitere Kauflust. Eine ausgewiesene Internetkompetenz des Bedienungspersonals ermöglicht, dass ein Beratungsgespräch mit einer bestens informierten Kundschaft auf Augenhöhe stattfindet.

Warum ist die Generation 50plus wichtig?

Wir Deutschen schrumpfen Jahr für Jahr und werden immer weniger. Die wenigen Babys von heute werden nicht verhindern, dass in mehr als 40 Jahren siebzehn Millionen Menschen fehlen. Das gab es noch nie. Bald wird die wichtigste Zielgruppe die Generation 50plus sein. Die jungen und alten Alten – ob arm, ob reich – verfügen über die höchste Kaufkraft aller Zeiten. Sie fühlen sich oft 10 bis 14 Jahre jünger, als sie wirklich sind, sind erlebnisorientiert und geben ihr Geld häufig auch für hochwertige Produkte, Genuss- und Markenartikel aus.

Sind persönliche Produkte ein Ziel?

Die Individualisierung, also persönlich zugeschnittene Leistungen werden stärker nachgefragt. Die Ansprüche gestalten sich ausgewählter und persönlicher – ein weiteres Wachstumsfeld für Einzelhändler, Dienstleister oder Handwerker. Persönliche Beratung und Bedienung und mit entsprechenden Produkten oder Leistungen, die nur für „den“ Kunden hergestellt oder zusammengestellt werden, sind topp. “Sense and Response“ laute das Motto. Das bedeutet, dass erst dann verkauft wird, nachdem das Produkt nach individuellen Wünschen oder Anforderungen bestellt und bereitgestellt wurde.

Wie erreicht man aber gerade die junge Käuferschicht, die bereits regelmäßg online bestellt?

Indem man über die digitalen Medien sein Geschäft bekannt macht. Die Stadt und seine Geschäfte müssen so attraktiv sein, dass sie im Gegensatz zum Online-Shopping einen klaren Mehrwert bieten. Meiner Meinung nach wird über kurz oder lang eine Sättigung einkehrern, da der Online-Einkauf kein wahres Einkaufserlebnis mit sich bringt.

Was ist beim Umgang mit den Kunden im Geschäft das A und O?

Der Einzelhändler muss seine Kunden und deren Bedürfnisse kennen und jeden als individuellen Menschen betrachten, so dass sie sich aufgenommen fühlen. Nur dann sind sie bereit, auch Geld auszugeben. Wertschätzung lässt Kunden wiederkehren – ob sie nun für 5 oder 5.000 Euro einkaufen. Und die Gehälter der Einzelhändler zahlen zufriedene, dauerhafte Kunden – und keine Manager.

Was sollte bei der „Führungsriege“ eines Unternehmens beachtet werden?

Marketing sollte auf strukturelle und personelle Kontinuität setzen. Die durchschnittliche Verweildauer eines Marketingverantwortlichen in einer Firma beträgt heute etwas mehr als drei Jahre. Das ist zu kurz, da Marktprozesse Zeit benötigen, um kontinuierlich zu reifen. Wer also auf mittel- oder langfristige Unternehmensziele aufbaut, der braucht personelle und strukturelle Konstanz.

Welche Rolle spielen Werbegemeinschaften und das Stadtmarketing?

Werbegemeinschaften, Einzelhandel und Stadtmarketing müssen getrennt arbeiten, aber gegenüber den Zielgruppen gemeinsam und koordiniert auftreten. Werbegemeinschaften können – auch gebündelt – ihre rein werblichen Aktionen realisieren und als Vereinigungen dennoch autark bleiben. Ein Hauptverantwortlicher (City-Manager) sollte deren Interessen koordinieren und umsetzen. Das Stadtmarketing muss in seiner strategischen Funktion den Werbegemeinschaften ständig neue Impulse geben und diese für die Zukunft fit machen. Wichtig ist: Marketingaktivitäten sind immer auch Investitionen in den Markt: Das investierte Geld soll zurückfließen – möglichst mit Gewinn. Dann wird daraus auch ein ökonomischer Prozess, der Anreize schafft.

Was geben Sie dem Einzelhandel als Schlussempfehlung mit auf den Weg?

Der stationäre Handel muss sich verstärkt mit innovativen Ideen und Entwicklungen befassen. Die richtige Einstellung und Strategie tragen dazu bei, mögliche Nachteile der Digitalisierung aufzufangen und zu kompensieren. Eine Bedrohung stellt sie dann nicht mehr dar. Mit den richtigen Instrumenten und kann man gegenüber den Kunden und Interessenten punkten und für sein Geschäft werben.

Hintergrund zu Professor Harald F. Ross

Der studierte Diplom-Kaufmann Professor Harald F. Ross ist Unternehmer und Experte für Marketing und Kommunikation. Als Honorarprofessor lehrt er in Köln und Mönchengladbach. Außerdem hält er Vorträge für Unternehmen, Werbegemeinschaften oder Mitarbeiter des Stadtmarketings.

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Autor:

Kirstin von Schlabrendorf-Engelbracht aus Düsseldorf

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