Kirmes - auf dem Platz und im Kopf...

Die funkelnden Lichter der Kirmes mit ihren bunten Farben, Formen und Bewegungen sind jährlich der Höhepunkt der künstlichen Illuminationen vor dem abendlichen Sternenhimmel auf der anderen Rheinseite. Sehnsüchtig betrachte ich die Kirmes – geniesse die Bewegung der Schiffe auf dem Wasser, der Strassenbahnen auf den Brücken und der fliegenden Bauten auf der Rheinwiese.

Eine unendliche Lust steigt in mir auf, mal wieder auf der Geisterbahn zu fahren. Ich liebe Geisterbahnen und fürchte sie gleichzeitig. Sie ziehen mich an und stoßen mich gleichzeitig ab. Wenn aus einem Sarg plötzlich ein phosphorisiertes Plastikgerippe herausspringt, mir genau vor das Wägelchen und mir eventuell noch mit kalter Hand die Wange streichelt, dann liegen die Nerven blank und dann schreie ich auch laut, egal wie alt ich bin.

Dreimal hintereinander bin ich schon Geisterbahn gefahren, damit die Angst weg geht – es nutzte mir nichts. Die Angst wurde größer und die Gier nach Horror ebenfalls. Sich von etwas abgestoßen fühlen und angezogen zugleich... Kennen Sie das ? Es kann zum Lebensdilemma werden,.

Das habe ich auch schon im zwischenmenschlichen Bereich erlebt. Ein Mensch, der mich wahnsinnig anzieht und gleichzeitig Distanzen in mir auslöst, das ist mir allzuwohl vertraut. Da ist die Leidenschaft, die mich hinzieht zu seiner Seele, seinem Körper und gleichzeitig ist es die Vernunft, die mich von ihm weg treibt, weil er auf einer völlig anderen Eisscholle lebt, als ich. Und Platz für uns beide ist weder auf meiner, noch auf seiner Eisscholle. Daher darf das Eis nicht schmelzen.

Mein Freund begleitet mich auf der Geisterbahnfahrt am hellen Freitagnachmittag. „Ich muß Dich doch beschützen“, sagt er und sitzt tapfer neben mir. Während ich mir die Seele aus dem Leib schreie, lacht er sich kaputt. Na, ja – als erfahrender Weltreisender in der Mitte der sechziger hat man keine Angst mehr vor Plastikgerippen...

Er will auch keine Angst haben – im Gegensatz zu mir. Ich geniesse es ja, das Gruseln, die Ambivalenz der Gefühle. Es ist möglicherweise mein Schicksal, so sein zu müssen.
Über das Schicksal mache ich mir öfter Gedanken, weil ich es gerne für mich arbeiten lasse. Ich habe es längst aufgegeben, Entscheidungen nur noch alleine treffen zu wollen. Die schwierigen Dinge des Lebens überlasse ich dem Schicksal. Soll ES das doch machen, dafür wurde es schließlich erfunden.
Wie sieht das Schicksal eigentlich aus ? Mann oder Frau ? Ich möchte nicht, das mein Schicksal ein Mann ist – ich kann Männer im Grunde genommen nicht leiden, weil man mit ihnen nicht gut reden kann.

Ich möchte aber auch nicht, das mein Schicksal eine Frau ist – ich kann Frauen im Grunde genommen nicht leiden, weil sie zu viel reden.

Ein Kind soll es erst recht nicht sein – so viel Verantwortung kann man einem Kind nicht aufbürden.

Ich entscheide mich, das mein Schicksal ein Transvestit sein soll – ein buntes schrilles Wesen, mit allen Wassern gewaschen, nur nicht mit Weihwasser. Ein bisschen tuntig darf es auch dabei sein – das passt zu meiner Affinität zur Kirmes, zur Geisterbahn und zum Kettenkarussell.

Nach der Geisterbahn war der Flug durch die lauen Dämmerstunden-Lüfte auf dem winzigen Sesselchen ein solcher Genuß, das wir über sieben Runden einfach sitzen blieben. Die Stimme von Campino im Hintergrund, die Sterne am Himmel und die tausenden von bunten Lichtern unter uns flogen wir unserem Schicksal entgegen.

Ich hatte die Tunte vorher noch herausgefordert und gesagt „Du wirst dafür verantwortlich gemacht, ob die Kette reißt oder nicht“. Damit wäre ich ja nun wirklich überfordert gewesen. Aber mein Schicksal hat es gerichtet. Die Kette riss nicht und ich konnte mich anschließend noch im Mäusezirkus an hunderten von kleinen Mäuschen erfreuen, die entgegen der geweckten Illusion, eine Maus als Zirkusdirektor zu sehen, die ihre Mäuse zu Kunststücken dressiert hat, die also völlig zirkus-a-typisch, nur in einem riesigen Käfig herum rasten und aus einem Topf nicht mehr herauskriechen wollten, auf dessen Boden sich offensichtlich eine Mäuseleckerei befand.

Da waren Mäuse bei, die es auf sich nahmen mit bis zu fünf Mäusen auf ihrem Rücken auf dem Topfboden zu fressen – sie wären eher erstickt, bevor sie was vom Fressen hergeben. Wir blieben wirklich so lange stehen, bis es einigen Mäusen gelang, so einen Freßsack nach oben zu katapultieren. Die Maus war so dick wie ein Hamster, hatte offensichtlich über Tage nur dort unten gesessen am Topfboden und gefressen. Irgendwie kam mir das bekannt vor.

Die Kirmes und ihre bunten Lichter – eine Orgie von Farben, musikalischen Klängen, Stimmen aus Lautsprechern, die immer noch so klingen, als hätte der Sprecher eine Wäscheklammer in der Nase, Lose mit vielen Nieten, ungenießbare Lebkuchenherzen, Küsse in der Berg- und Talbahn.

Ach, bei dieser Gelegenheit möchte ich nicht unerwähnt lassen, das mich in jungen Jahren in der Geisterbahn mal jemand geküßt hat. Jemand Fremdes. Wohl einer von den hübschen Mitarbeitern, die dort herumstanden und stets mit den Mädels schäkerten. Sehen konnte ich den Mann im Dunklen nicht – aber ich erinnere mich noch an den Pfefferminzgeschmack von seinem Kaugummi. Das war anziehend und abstoßend zugleich und erklärt vielleicht meine Affinität zu Geisterbahnen...

Autor:

Karin Michaeli aus Düsseldorf

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