Heimat, der Ort an dem ich mich verstanden fühle

Stellen Sie sich vor, Sie werden relativ plötzlich in ein fremdes Land versetzt.
Alles ist hier anders. Die Menschen sehen anders aus, sie sprechen eine andere, unverständliche Sprache, sie verhalten sich anders. Es riecht anders, es fühlt sich anders an, es ist einfach nicht das was Sie kennen.
Und nun nehmen Sie ein Grundbedürfnis, beispielsweise „das Verrichten einer Notdurft“, das Sie befriedigen wollen. Viel zu lange haben Sie es vor sich hin geschoben, weil alles so fremd ist. Mittlerweile steht Ihnen das Wasser bis zum Kragen, überall Menschen, die anders aussehen, sprechen, riechen: In absoluter Verzweiflung stürmen Sie auf jemanden zu und kreischen „Ich platze gleich“. Er grinst Sie nur breit an und alles was Sie sehen, während Ihnen das Wasser vom Kragen hinunter an den Beinen entlang läuft, sind die großen, funkelnden Goldzähne, die Sie zu verhöhnen scheinen.
Wie fühlen Sie sich?

Das ist das Gegenteil von Heimat.

Und nun stellen Sie sich vor, dass es Ihnen nach einer Weile in diesem fremden Land gelungen ist, sich einigermaßen zurechtzufinden. Sie haben sich an den Anblick der Menschen gewöhnt, Sie können sich verständigen, so dass Sie sich jederzeit, im Prinzip zu einer Toilette durchfragen könnten. Sie haben einen Einblick in die landesüblichen Rituale und Bräuche gewonnen, und Sie haben all das sogar schätzen gelernt.
Nach Jahren kommen Sie zurück in das Land Ihrer Herkunft.
Wie fühlen Sie sich?

Nichts scheint mehr zu sein, wie es einmal war.
Auch das ist das Gegenteil von Heimat.

Heimat umfasst für jeden Menschen etwas anderes.
Für mich ist es, unabhängig von Nationalität oder Geographie, der Ort, an dem ich mich verstanden fühle.
Ein wesentliches Mittel zur Verständigung, also um Verständnis zu schaffen, ist für mich (als Frau:-) die Sprache. Ich empfinde es als Segen, meinen Gedanken und Gefühlen in Form von Worten Ausdruck verleihen zu können. Ein wahrer Wortschatz ist das, der mir so etwas ermöglicht.
Wie viele Möglichkeiten stehen uns beispielsweise allein zur Verfügung, um das Wort „schön“ zu erklären: Musik ist schön, Landschaft ist schön, der Abend war schön, schön ist lecker, schön ist gemütlich, schön ist gutaussehend, mein Mann findet mich „schön“. Die meisten anderen Menschen finden mich eher „groß“.
Und hier wird’s interessant: „Meine Frau ist die Schöne.“ „Welche Schöne? Meinen Sie die Große?“
Eigenartiger Weise ist es gerade auch das Wort, das unumgänglich Missverständnisse aufwirft.

Für ein gutes Verständnis, ist eine Nachfrage von Zeit zu Zeit wichtig. Die Nachfrage enthält die Chance des (Verständnis-) Findens und sie bringt das Interesse am Gegenüber zum Ausdruck. So erwächst Beziehung. Und kaum haben wir ein zartes Beziehungspflänzchen sprießen sehen, entsteht auch schon das erste Wortgefecht. Wie finden wir jemals zueinander?

Noch fehlen mir die Worte, um erklären zu können, weshalb es ausgerechnet Worte sind, die ich mit dem Begriff „Heimat“ in Verbindung bringe, aber es ist wohl so, dass ich bisher nichts Zielführenderes gefunden habe, als das Wort, um mich verständlich zu machen und um andere verstehen zu können.

Autor:

Femke Zimmermann aus Düsseldorf

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